Kapitel 2#

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"Egal was ich mache...Ich dringe nicht zu ihm durch. Er versteht mich zwar, aber er ist ängstlich und flippt aus, sobald ich ihm zu nahe komme..."
Mein Vater schüttelte seinen Kopf seufzend und vergrub sein Gesicht dann in den Händen.

Drei Monate...drei ganze Monate war es schon her, dass der Junge in das Zimmer eingezogen war.
Seit damals war mein Vater jeden Tag immer mehr verzweifelt.

Untertags erledigte er seinen Job und abends und in der Früh ging er in das Zimmer, in dem sich der Junge befand.
Nicht mal seinen Namen wussten wir, da er nicht redete. Er aß auch nur sehr wenig und hatte das Zimmer kein einziges Mal verlassen.

Da mein Zimmer neben seinem war und die Wände recht dünn waren, konnte ich es jedes Mal hören, wenn er in der Nacht von Albträumen geplagt wurde, aber gesehen hatte ich ihn noch nicht...

Die Neugier quälte mich schon die ganze Zeit. Wie war er? Wie sah er aus? Was machte er die ganze Zeit?

Aber mein Vater hatte mir verboten, zu ihm zu gehen, da es vermutlich zu viel Stress sein würde...

"Wenn ich es nicht bald schaffe, zu ihm eine Verbindung zu knüpfen, könnte es zu spät sein..." Als ich das hörte, zuckte ich zusammen.

"Was meinst du damit?" Besorgt sah ich zu ihm, woraufhin er erneut seufzte. "Der Junge wurde als Testperson für eine Menge Medikamente benutzt...sie könnten Schäden hinterlassen haben; aber der Junge ist gar nicht in ein Krankenhaus zu bringen, was verständlich ist. Aber wenn wir nicht bald Tests durchführen können, werden ziemlich sicher irgendwelche Schäden bleiben..."

Mir tat er leid, aber was konnte ich tun? Im Gegensatz zu meinem Vater hatte ich keine Ausbildung darin, wie man mit Menschen umging... so oder so wollte ich helfen...

Wie immer nahm mein Vater eine Portion von dem Essen,  das ich gemacht hatte und brachte es dem Jungen. Den Schlüssel zu dem Zimmer steckte er danach wieder in seine Hosentasche...
Meine Neugier siegte und so schlich ich mich am selben Abend in das Zimmer meines Vaters und holte mir den Schlüssel.

Mein Vater hatte kaum die Möglichkeit, dem Jungen näher zu kommen, aber ich war schließlich viel häufiger da und könnte es vielleicht schaffen. Eigentlich eine recht billige Ausrede, aber ich wollte den Jungen einfach sehen.

So leise ich konnte schlich ich über den Gang zu seinem Zimmer und lauschte an der Tür. Von innen kamen keine Geräusche, was alles bedeuten konnte.

Vorsichtig schob ich den Schlüssel ins Schloss, woraufhin sich die Tür mit einem leisen Knarren öffnete, welches aber reichte, den Bewohner des Bettes in Alarmbereitschaft zu versetzen.

Kerzengerade fuhr er in seinem Bett hoch und drückte sich gegen die Wand, die an eine Seite seines Bettes grenzte.

Eigentlich wollte ich etwas Beruhigendes sagen, aber die Gestankwelle, die aus dem Zimmer kam, verschlug mir den Atem. Die Luft war stickig und roch nach Schweiß. Damit hätte ich rechnen sollen, da er seit weiß nicht wie lange nicht in der Außenwelt gewesen war, aber die Tatsache vorzufinden machte es noch schlimmer.

Währendessen ruhten seine Augen auf mir und folgten jeder noch so kleinen Bewegung von mir.
Nun, wo ich tatsächlich das Zimmer betreten hatte, fand ich, dass es eine sehr dumme Idee gewesen war. Ich hätte einfach auf meinen Vater hören sollen und ihn machen lassen...
Er würde es sicher irgendwie schaffen, aber nun war es zu spät. Jetzt, wo ich gesehen hatte, wie es dem Jungen ging, konnte ich nicht einfach weiter so tun, als würde es mich nicht betreffen. Schließlich war er ja auch irgendwie mein Bruder...auch wenn selbst ich Probleme hatte, ihn als das zu sehen.

Schwer schluckend betrat ich den Raum, auch wenn ich nicht ganz hinein ging, sondern nur zwei Schritte und mich dann an der Wand hinabsinken ließ.

Die Augen des Jungen musterten mich von oben bis unten, während ich noch Probleme mit dem Sehen im Dunkeln hatte. Nachdem sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, betrachtete ich ihn so genau, wie das abgedunkelte Zimmer es eben zuließ.

Er trug noch immer ein helles Krankenhausgewand, das aus einem Nachthemd bestand, das ihm bis zu den Knien reichte und locker über seinen Körper hing.

Seine Haut war fast komplett weiß und sein Gesicht wirkte eingefallen, was vermutlich daran lag, dass er immer nur ein, zwei Bissen von dem Essen, das mein Vater ihm gab, aß.
Das Einzige an ihm, das Farbe hatte, waren seine fettigen Haare, die ihm ins Gesicht hingen. Seine Augen waren zwar blau, aber sie wirkten glanzlos.

Komisch, was alles zu erkennen war, obwohl es so dunkel im Zimmer war.
Auch der Gestank war in der Zwischenzeit kaum noch wahrzunehmen, da ich mich daran gewöhnt hatte.

Wie spät war es eigentlich? Möglichst langsam, um den Jungen nicht zu verschrecken, zog ich mein Handy aus der Tasche und warf einen Blick darauf. Das Gefühl, dass meine Augen brannten, ignorierend drehte ich die Helligkeit hinunter und sah auf die Uhr. 2:37 Uhr zeigte die Anzeige auf meinem Startbildschirm an. Eigentlich sollte ich schlafen gehen, aber ich wollte nicht.

Meine Augen huschten zu dem Jungen, der noch immer am Bett saß und mein Handy misstrauisch musterte.

Nachdem ich es wieder ausgeschaltet hatte, ließ ich es wieder in meiner Tasche verschwinden.

Mir kam eine dumme Idee, aber ich entschied mich, es trotzdem zu machen. Ich würde mich einfach vorstellen.
Als ich begann, zu reden, zuckte er kurz zusammen.
"Ähm...Hey...Ich bin Kyle und der Sohn von dem Mann, der dich immer besuchen kommt. Eigentlich dürfte ich gar nicht hier sein, aber... ich weiß selbst nicht so genau, warum ich hier bin. Ich hoffe, dass wir vielleicht irgendwann Freunde werden können..."
Okay...das klang richtig dämlich. Vermutlich hielt er mich jetzt für hirnrissig oder so...
Von ihm kam keine Reaktion...was hatte ich auch erwartet.
Gähnend lehnte ich meinen Kopf gegen die Wand und beobachte ihn weiter. Dabei fiel mir nicht auf,  wie mir die Augen zufielen und ich in einem tiefen Schlaf versank...

Trust me (Boyxboy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt