Amors Kinder

71 10 14
                                    

Diese Kurzgeschichte existiert in überarbeiteter Form auch als separates Werk. Check it out! Würde mich freuen wenn du dort vorbei schaust... Deine Kiwiki

„Es gab eine Zeit, in der man sich Liebe noch nicht kaufen konnte. In jenen längst vergangenen Tagen mussten sich die Menschen noch selber verlieben. Und sie konnten nicht einmal wählen in wen oder wie sehr. Doch das entsetzlichste in diesen dunklen Zeiten, war der Liebeskummer. Dieses verhängnisvolle und erbarmungslose Gefühl sorgte für eine Verwahrlosung der erkrankten Menschen. Es wurde nie ein wirksames Heilmittel für Liebeskummer gefunden und so mussten die Menschen die damit einhergehenden Qualen ertragen, bis sie mit der Zeit erträglicher wurden. Doch die Schwächeren unter den Menschen, gingen daran kaputt. Es wurden Morde im Namen der Liebe begangen, Lügen verbreitet, Familien zerrissen und Freundschaften zerstört. Damals war die Liebe noch so unkontrollierbar und von einer zerstörerischen Gewalt, dass sie der Gesellschaft schadete. Verliebte Menschen vernachlässigten ihre Arbeit und Menschen die an Liebeskummer litten, konnten ihren Dienst an der Gesellschaft oft gar nicht erbringen. Die ganze Menschheit wurde von einem unkontrollierbaren Gefühl beherrscht. Doch dieses Grauen liegt nun schon lange zurück. In unserer heutigen Zeit sorgt der RKL, der Rat für kontrollierte Liebe, für eine intakte Gesellschaft. Aus diesem Grund haben wir uns heute hier versammelt, um daran erinnert zu werden, welches Privileg es ist, die Möglichkeit des kontrollierten Liebens und Entliebens zu haben. Halten sie dafür kurz mit mir inne um der Gründer des RKLs zu gedenken und ihre Arbeit zu ehren."

Mina sah sich in der Menge um. Der Platz vor der großen Bühne war aufgrund der Anwesenheitspflicht brechend voll. Die meisten Zuhörer hingen gebannt an den Lippen des Rats-Sprechers. Doch abseits der Menge, in den Schatten der Hauseingänge, standen Leute in Gruppen zusammen, die während der alljährlichen Rede des RKLs einen verächtlichen Ausdruck im Gesicht hatten. Sie wusste, wer diese Leute waren, auch wenn sie noch nie mit ihnen gesprochen hatte. Jeder wusste es. Sie nannten sich selbst Amors Kinder und waren als Rebellen, Aufständische und Gesetzlose bekannt. Manche von ihnen lebten unentdeckt unter den Bürgern der Neuen Welt, andere lebten zusammen mit ihresgleichen in Gemeinschaften und kapselten sich fast vollständig von der Gesellschaft ab. Sie hatten angeblich Spione in den Reihen des Rates, auf jeden Fall aber Computer-Spezialisten, die ihre Identitäten aus deren Datenbanken löschten. Amors Kinder verweigerten die Teilnahme an dem Neigungstest, der jedes Quartal für alle Bürger der Neuen Welt Pflicht war und bei dem ermittelt wurde, ob man jemandem mehr als nur platonische Gefühle entgegen brachte. Wenn dem so war, wurde analysiert, ob diese Neigung der Gesellschaft schadete und eine Entliebung vorgenommen werden musste.

Sie hatte von Fällen gehört, wo die Betroffenen sich geweigert, ja sogar zur Wehr gesetzt hatten, da sie diese Gefühle unbedingt behalten wollten. Dabei wusste jeder, dass Liebe unweigerlich irgendwann Liebeskummer nach sich zog. Und eine Entliebung erst dann vorzunehmen, wenn man bereits daran erkrankt war, war viel teurer. Der RKL begründete diesen Preisanstieg damit, dass der Erkrankte durch seine Gefühle bereits Schaden verursacht hatte, den es gutzumachen galt. Denn wer zu verliebt war, vergaß die Welt um sich herum. Die Liebenden schotteten sich von der Gesellschaft ab und leisteten ihren Dienst nur noch unvollkommen. Sie waren während der Arbeit abgelenkt, in Gedanken an den Liebsten versunken, unkonzentriert und eine Gefahr für das gut durchstrukturierte System, dass vom Rat beständig am Laufen gehalten wurde.

Ihre Gedanken schweiften zu der Geschichte der Gründung des Rates und der Entwicklung der kontrollierbaren Liebe. Die Entliebung war ein langwieriger Prozess der durch Hormon-Entzug und Stimulation verschiedenster Gehirnareale vonstatten ging. Sie selbst war noch nie verliebt und die Ergebnisse ihres Neigungstestes immer vollkommen im grünen Bereich. Dementsprechend musste bei ihr auch noch nie eine Entliebung vorgenommen werden. Anders war es bei Zoe, einer Freundin von ihr. Mit 16 Jahren war sie zum ersten mal verliebt gewesen. Der Neigungstest hatte das gezeigt, doch das Ergebnis der anschließenden Analyse hatte gezeigt, dass die Liebe der Gesellschaft nicht schadete. Doch noch bevor es zum nächsten Neigungstest kommen konnte, hatte sich Zoe immer mehr verliebt und es kam wie es kommen musste. Ihre „wahre Liebe", Mina konnte sich noch lebhaft an die Schwärmerei ihrer Freundin erinnern, meinte es mit ihr nicht so ernst, wie sie es mit ihm. Die Beziehung ging in die Brüche und Zoe erkrankte an Liebeskummer. Die Entliebung hatte ziemlich viel gekostet und Zoes Eltern ließen sie einen Teil davon bezahlen. Seitdem nahm Zoe den Neigungstest wirklich ernst und hatte schon zwei weitere Vorsorge-Behandlungen hinter sich, um erneuten Liebeskummer gleich von Anfang an aus dem Weg zu gehen.

THOUGHT-DOODLESWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu