Trotz der versprochenen 15° war es bedeutend kälter, bewölkt und regnerisch. Es war Mittwoch und die Woche war bereits bis heute so arbeitsreich gewesen, dass meinetwegen heute schon Freitag sein dürfte. Ich hatte den Bus nach Hannover genommen und bin an der Wallensteinstraße in die Straßenbahn umgestiegen.
Diese verdammte Ampel an der Wallensteinstraße! In der Regel war sie für 3 Minuten rot und anschliessend für 10 Sekunden grün. Kaum hatte man ein Drittel der Fahrbahn überquert, so musste die Ampel wieder auf rot zurückspringen und ich als Fußgänger fürchten, rücksichtlos überfahren zu werden, bevor ich die andere Seite der Straße erreicht hatte. Ich hatte schon ein paar Mal ins Auge gefasst, diese verdammte Ampel der Stadt zu melden und meinen Unmut zu äussern. Ich war verdammt gut darin, mich über meine Umwelt zu beschweren. Wenn sich jemand in meinem Umfeld sozial unangemessen betrug, so strafte ich ihn gerne mal mit Beschwerden beim Vorgesetzten. Ausser natürlich auf meiner eigenen Arbeit. Dort bemühte ich mich mit allen gut auszukommen und kein Aufsehen zu erregen. "Ich tu Dir nichts, also tu Du mir auch nichts.", lautete dort meine Devise. Ich war hinübergekommen. Gott sei Dank. Schon fuhr neben mir die Bahn in Richtung Schierholzstraße ein. Sollte ich laufen? Nee, ich war zu kaputt. In 2 Minuten würde eh die nächste kommen. Möglicherweise in Richtung Aegidientorplatz. Der Weg dauerte zwar länger, war aber entspannter. Ich rauchte noch hurtig eine Zigarette und war zu zwei Dritteln damit fertig, als die nächste Bahn anrollte. Ich warf den restlichen Stummel in den Zwischenraum von Bahnsteig und Straßenbahn und stieg in das veraltete grüne Gefährt ein. Immer noch war es nicht selbstverständlich, dass die Silberpfeile überall fuhren. Demnächst sollte wohl bereits das neuste Bahnmodell in Kraft treten. Ich nahm Platz und holte meine PSP hervor um mir noch bis zum Steintor ein wenig die Zeit zu vertreiben. Ich hatte keine Lust darauf, heute die Mitfahrer zu beobachten oder zu belauschen. Manchmal war es ganz interessant, aber weit häufiger total langweilig. Die Leute haben irgendwie verlernt, sich miteinander zu unterhalten. Jeder hat Stöpsel im Ohr, liest, durchforstet Stadtpläne oder ist mit einem Laptop beschäftigt. Was blieb mir übrig, als es der Masse gleichzutun und mich in mein Abenteuer zu versinken. Aaaah, tat das gut. Ich versuchte mich zur Zeit an "Monster Hunter Freedom". Ich hatte schon immer mal in die Spielreihe reingezockt, aber bin nie hinter die Faszination des Konzeptes gekommen. So langsam jedoch begann es mich zu packen, auch wenn ich die Steuerung auf einem Handheld doch relativ miserabel fand.
Am Wochenende würde ich die neuste Version für die Wii mal wieder weiterspielen...wenn mir nichts interessanteres dazwischen kommen sollte... Aber das würde es!
"Bing Bong! - Steintor" ertönte die Durchsage in der Bahn. Ich schaltete hastig auf Standby, und stieg aus der Bahn aus. Soooo, jetzt noch am Steintor umsteigen und schwupps würde ich in der Nordstadt Hannovers sein. Ich wohnte erst seit kurzem in dem Stadtteil. Lange Zeit hatte ich in Garbsen gelebt, aber der lange Fahrtweg und kein Führerschein hatte mich dazu gezwungen, näher an die Arbeit zu ziehen. Garbsen war ein toller, kleiner Vorort gewesen. Multikulturell, pulsierend, lebendig und sich ständig weiterentwickelnd. Vorstadt-Flair gepaart mit Dorfleben. Meine Großeltern lebten noch dort, somit kam ich noch hin und wieder in den Genuss, good old Garbsen einen Besuch abzustatten. Den Führerschein machte ich bereits, aber es würde noch ein wenig dauern. Ich war umgestiegen in die Bahn Richtung Nordhafen, fuhr die obligatorischen drei Stationen im Stehen und stieg an der Kopernikusstraße aus. Sollte ich heute den Fahrstuhl nehmen? Ich war immerhin ganz schön kaputt... Ach nee, der stank immer fürchterlich nach Urin. Ich nahm alle Kräfte zusammen und hastete die drei Treppenabschnitte nach oben. Auf dem weiteren Weg nach Hause kam ich an der Lutherkirche vorbei. Ein unangenehmes Klientel saß immer drumherum. Irgendwelche Alkoholiker mit ihren Hunden, die sich in Punkto Verhalten nicht viel von ihren vierbeinigen Partnern unterschieden. Sie waren laut, unberechenbar und verrichteten ihre Toilette überall hin in die Öffentlichkeit, wo sie es für richtig hielten. Es wurde entweder in den Gulli geschifft oder an die Kirchenmauer. Einmal habe ich am helligten Tag gesehen, wie einer dieser Penner sich mit runtergelassener Hose gegen die Kirche gelehnt und laut knurrend sein großes Geschäft verrichtet hat. Solche Entartungen waren mir aus Garbsen völlig unbekannt. Überhaupt, dass lag auf den Gehwegen in der Nordstadt ganz schön viel Scheisse herum. Es war ein richtiger Parcour-Lauf um sicher nach Hause zu kommen. Wenn ich morgens zur Arbeit ging, musste ich schon ab dem ersten Schritt aufpassen, nicht in einen Haufen zu treten. Was mich so richtig daran ekelte, war die Tatsache, dass man nie wissen konnte, ob die Haufen von Tieren oder von Menschen stammten...
Endlich zu Hause. Keine Scheisse unterm Schuh. Dann war der Feierabend ja gerettet. Nachdem ich die Haustür aufgeschlossen hatte, ging ich zum Briefkasten. Darin befand sich das übliche. Ein Haufen Werbeprospekte, irgendein Zahlenwust von der Rentenversicherung und ein unscheinbarer weisser Umschlag, auf dem nur mein Name handschriftlich geschrieben stand. Keine Briefmarke und kein Absender. Sah ganz nach einem Liebesbrief aus. Ich wusste zwar nicht, wer zur Zeit ein Auge auf mich geworfen haben könnte, aber man weiss ja nie. Den würde ich mir gleich bei einer Tasse Schwarztee durchlesen. Ich stapfte also mit den Briefen in der Hand die knartschende Treppe nach oben. Das Haus das ich wohnte war angeblich über 100 Jahre alt und eines der wenigen Häuser in Hannover, das beide Weltkriege halbwegs unversehrt überstanden hatte. Dementsprechend handelte es sich bei meiner Wohnung um einen netten, kleinen 3-Zimmer Altbau. Ich schloß die Wohnungstür auf, betrat die Wohnung, setzte heisses Wasser auf und zog mir anschliessend meine Schuhe und meine Jacke aus. Das Wasser kochte bereits und ich goss mir drei Beutel Ostfriesentee in einer Tasse auf. Ich mochte Tee am liebsten, wenn er schön stark war und ein kräftiges Aroma hatte.
Ich setzte mich mit meiner Tasse an den Küchentisch. Nachdem sie drei Minuten gezogen hatte, entledigte ich sie der Teebeutel und befülte sie mit drei Teelöffeln Zucker und einem guten Schuss Milch. So trank ich ihn am allerliebsten. Als ich umgerührt hatte, war ich schon ganz neugierig auf den Brief. Ein nettes Date wäre mal wieder durchaus eine Abwechslung in meinem tristen Dasein, das nur noch aus Arbeit und Feierabend zu Hause bestand. Wie lange schon? Locker 3 Jahre. Meine letzte Partnerin war ein richtiges Biest gewesen und ich war immer noch froh, sie los zu sein. Sich auf etwas neues einzulassen würde so einfach nicht gehen, aber es wäre durchaus ein Anfang, ein bisschen Spass zu haben. Ich öffnete den Brief vorsichtig am Rand und zog eine sandgelbe zusammengefaltete Din A4-Seite aus dem Umschlag. Ich klappte sie auseinander und konnte einen maschineschriftlichen Text lesen: