Neuer Tag, neues Glück?

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Nachdem wir noch lange geredet hatten, war ich spät ins Bett gegangen, aber das Ganze hatte sich wirklich gelohnt. Nur leider war die Euphorie am nächsten Morgen nicht mehr ganz die Selbe.

Mein Grauen aus Plastik machte sich an diesem Morgen wieder besonders laut bemerkbar.

"Biiip Biiip Biiip!"

"Ist ja gut! Nur noch ein bisschen..."

Aber anstatt auf mich zu hören schrie er weiter.

Wäre auch zu schön gewesen.

"Jaja, ich steh ja schon auf, du hast gewonnen." murmelte ich in mein Blümchenkissen hinein und hämmerte auf den Wecker ein.

Als ich dann nach einer gefühlten Ewigkeit endlich stand, machte ich mich auf den Weg ins Bad, Zähneputzen, Waschen und alles, was so dazugehörte.

Jedoch nicht ohne meinem kleinen Freund, dem Wecker noch ein paar Vorwürfe zu machen, warum er eigentlich immer gewinnen muss. Unfair, oder nicht?

Ich schminkte mich normalerweise nicht oft, aber heute sagte mir mein Gefühl, dass es eine gute Idee wäre. Also trug ich leicht Mascara auf und spazierte wieder zurück in mein Zimmer.

„Beeil dich, Schatz!" Du kommst sonst noch zu spät!", kam auch schon die besorgte Stimme meiner Mutter. Ich verstand sie ja, aber mittlerweile konnte ich die Uhr auch selber lesen.

„Ich weiß, Mama!" gab ich lachend zurück. Beim Anziehen beeilte ich mich jetzt wirklich, denn ich hatte nur noch 5 Minuten Zeit. Nach einem flüchtigen Blick in meinen nicht allzu großen Kleiderschrank, entschied ich mich für eine dunkle Jeans und ein schlichtes T-Shirt. So schnell es ging rannte ich die Treppe hinunter, schnappte mir einen Apfel und schrie: „Tschüss Mama!"

Noch bevor sie antworten konnte fiel die Tür ins Schloss und ich fing, mit meiner Schultasche, an zu rennen. Es war ein schöner Tag, die Sonne schien warm auf die Erde herab, sodass ich bald begann zu schwitzen, als ich die Haltestelle erreichte. Dabei musste ich erstmal lachen, denn ich war wirklich wie eine Bekloppte gerannt. Aber ich fuhr nicht mit dem Bus, das tat ich nie. Laufen ist preiswerter und man hat dazu noch seinen Morgensport, der ja so gesund sein soll. Doch mein Lachen verstummte, als ich eine dunkle Gestalt hinter dem milchigen Glas erkannte.

Mit langsamen Schritten ging ich daran vorbei und musste sofort grinsen. Ich sah den Typen zwar nur von der Seite, aber was er da versuchte war klar. Und umsonst. Er wollte doch tatsächlich den viel zu alten und vergilbten Fahrplan lesen. Obwohl er wirklich nicht schlecht aussah fand ich es ziemlich lustig und mir entfuhr ein leises kichern. Leider gerade so laut, dass er es hören konnte.

Sofort drehte er sich um und schaute mich feindselig an. Etwas erschrocken und peinlich berührt drehte ich mich so schnell wie nur irgend möglich weg. Tolle Aktion, schimpfte ich mich dabei in Gedanken.

Ich kannte nicht viele Jungs um die 20, aber die die ich kannte, waren eindeutig netter gestimmt. Na gut, sie trugen auch keine Snapback oder waren fast komplett schwarz angezogen. „Hi" meinte er plötzlich, als ich gerade den Boden mit Blicken durchlöchert hatte. Was sollte das denn werden? „Hey" erwiderte ich leise und schaute in haselnussbraune Augen. Er zog eine Augenbraue hoch. „Kennen wir uns nicht von irgendwoher?" raunte er mit unglaublich tiefer Stimme. Wie bitte? Ein Anmachspruch? Dazu noch der Älteste und Schlechteste aller Zeiten? Ich begann zu lachen und schüttelte den Kopf. Jetzt grinste auch er und meinte: „Vielleicht sollten wir das ändern." Inzwischen konnte ich mich nicht mehr halten und schüttelte wieder verlegen den Kopf, während ich ihn angrinste.

„Vielleicht auch nicht."

Mal ehrlich. Da stand irgend ein Typ an der sonst verlassenen Haltestelle und dachte er konnte auf Badboy machen. Und das mit mir. Ich habe wenig mit Jungs zu tun und kriege normalerweise nicht mal ein Hallo von ihnen. Mit wie vielen er wohl diese Nummer schon abgezogen hatte? Das wollte ich wahrscheinlich gar nicht wissen. Also beschleunigte ich meine Schritte und machte mich weiter auf den Weg in die Schule.

An der Schule angekommen wollte ich gerade Richtung Eingang gehen, da bemerkte ich, dass alle auf etwas hinter mir starrten. Also drehte ich mich um und erkannte den Jungen von der Haltestelle. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass er besser aussah als viele von hier. Für einen kurzen Augenblick umspielte ein triumphierendes Lächeln seine Lippen. Offenbar hatte er bemerkt, wie er von allen Seiten angestarrt wurde, aber dann wurde er wieder ernst und ging betont lässig auf den Eingang zu.

Plötzlich hörte ich meine drei Freundinnen Elena, Stephanie und Melissa meinen Namen rufen und als ich den Kopf drehte, kamen sie schon auf mich zu.

„Oh mein Gott, siehst du den Typ da?", fragte Melissa aufgeregt.

„Schau mal, der hat bestimmt mehr unterm T-Shirt!", warf Elena ein.

„Ich find's auch schön euch zu sehen.", lachte ich laut auf.

„Hey, der kam doch aus deinem Bus, oder nicht?"

Nun begann ich zu erzählen: „Er stand an der Haltestelle, an der ich jeden Morgen vorbeigehe. Wir haben kurz geredet."

„Na sag schon, wie heißt er?"

„Keine Ahnung, er hat nicht viel gesagt."

„Du bestimmt auch nicht.", lachten die anderen sofort.

„Sagt mal, ihr seid doch Frauen, wie wär's wenn wir unsere Multitaskingfähigkeiten nutzen. Kann ganz praktisch sein. Zum Beispiel kann man stalken und gleichzeitig laufen. Schafft ihr das?"

"Muss ich das denn unbedingt ausprobieren...?"

"Na komm, ich helfe dir sogar dabei."

Kaum zu glauben, wie schwer es sein kann jemandem zum Gehen zu bringen.

Den ganzen Tag lang hoffte ich, dass die Tür nicht aufging und er möglicherweise in einen unserer Kurse spazieren würde. Doch ich hatte Glück. Der Schultag endete, ohne dass ich ihm noch einmal über den Weg lief. Danach machte ich mich auf den Weg zu meiner kleinen Schwester Liv. Mutter und Vater arbeiteten jeden Tag lange und es wurde immer länger. Liv wurde älter und brauchte immer mehr. Ich dagegen konnte mir einen Job im Café in der Nähe sichern. Bald würde ich anfangen zu arbeiten. Doch noch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, erreichte ich den Kindergarten. Drinnen angekommen schrie Liv meinen Namen so laut sie konnte, stürmte auf mich zu und versicherte mir, wie brav sie gewesen sei.

Noch auf dem ganzen Nachhauseweg (und das waren ca. 15 min zu Fuß) plapperte sie fröhlich von ihren Puppen und den Spielen, die sie gespielt haben. In unserem kleinen Haus angekommen stellte ich mich in die Küche und kochte ihr Lieblingsessen: Spaghetti Carbonara. Es war einfach und schnell und schmeckte uns allen.

Den Tag verbrachte ich wie jeden anderen mit ihr vor verschiedenen Spielen, Kuscheltieren und machte noch ein bisschen vom Haushalt. Abends, nachdem Liv im Bett war, setzte ich mich dann noch hin, lernte bis in die Nacht und dachte über den Tag nach. Eigentlich ein Tag, wie jeder andere, außer dieser schräge Begegnung mit dem neuen Jungen. Zu dieser Zeit machte ich mir allerdings noch nicht allzu viele Gedanken um ihn.

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