Kapitel 9

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte war ich gestresster als am Abend davor, in den Träumen alles zu verarbeiten war nicht wirklich gelungen und so kreisten meine Gedanken immer noch um Vyris und was gestern passiert war. Nach dem ich etwas gegessen hatte lief ich sofort zum Magier, der offenbar nicht nur Lehrer und Koch, sondern auch Arzt war. Er hatte Vyris soweit versorgt, dass er meinte, er würde durchkommen. Als ich mit einer herrlich duftenden Suppe in den Raum kam, lag Vyris auf einem Tisch, den der Magier mit Tierfellen soweit bequem gemacht hatte. Er musste ihn beobachten und wollte nicht das Vyris bei uns schlief, wegen der Verletzungsgefahr. Da musste ich ihm recht geben, Jaceey hatte leider nicht den ruhigsten Schlaf und ich war Nachts ein Paar mal davon aufgewacht, dass sie ihre Axt neben sich in den Boden schlug. Was auch nicht gerade zu meinem Wohlbefinden beigetragen hatte.

„Guten Morgen Raven, lieb dass du Vyris etwas bringst. Das hätte ich fast vergessen!" sagte der Magier lächelnd als ich in den Raum kam. „Das mache ich doch gerne." sagte ich nur und reichte Vyris seine Suppe. Die Wunde hatte sich verkleinert aber er sah immer noch sehr mitgenommen aus. Er bedankte sich nur leise und schlürfte die warme Suppe. Es fiel ihm schwer die Augen offen zu halten, das bemerkte man. „Geht es ihm besser?" fragte ich den Magier. Er war gerade dabei irgendetwas herzustellen und schüttete eine dunkelgrüne Flüssigkeit zu einer silbernen. „Ja, sehr viel besser. Allerdings kann ich dir nicht sagen wie lange er noch bei mir bleiben wird. Meine Heilmittel sind nicht die besten, weißt du. Ich bin zwar Magier, aber noch lange kein Waldläufer." sagte er, doch als er meinen verzweifelten Gesichtsausdruck sah, fügte er noch hinzu: „Ich gebe mein Bestes!" Er rührte mit einem großen Holzlöffel in der kleinen Schale herum und gab sie dann Vyris. Er hatte seine Suppe schon ausgetrunken und trank nun langsam das Gemisch, bevor er wieder in sich zusammenfiel und der Magier ihn mit einem weiteren Tierfell zudeckte. Er umwickelte Vyris' Wunde noch mit einigen weißen Seidentüchern, dann setzte er sich auf einen Stuhl. „Das wichtigste ist jetzt das er schläft." sagte er. Ich machte Anstalten zu gehen, doch der Magier zeigte auf einen Stuhl auf den ich mich setzen sollte. „Du warst eine wundervolle Dienerin bis jetzt, Vyris und du haben den Auftrag sehr gut gemeistert und ich weiß wie du ihm geholfen hast." Der Magier lächelte mich an als ich mich setzte. „Ich denke du bist bereit für deine erste Lektion. Ich werde dir etwas von meinem Wissen über das Gedanken lesen übermitteln, aber du solltest klein anfangen. Suche dir Tiere und übe mit ihnen bevor du dich an Menschen wagst. Ich kann dir nur etwas helfen, du musst selbst herausfinden wie du es anstellst." sagte er. Ich verstand nicht genau was er meinte, aber er legte zwei Finger auf meine Stirn und schloss die Augen. Ich merkte wie ein kleiner Energiestoß aus seinen Fingern in mich fuhr, dann löste er seine Finger wieder von mir und öffnete die Augen. „Du hast das Wissen nun in dir, aber wie du es hervorrufst kann dir keiner sagen, das musst du selbst heraus finden." Ich nickte nur. Da Vyris ja offensichtlich etwas länger hier bleiben würde, hätte ich genug Zeit um zu üben bevor wir wieder einen Auftrag ausführen würden. Ich nickte dem Magier zum Abschied zu und strich Vyris kurz durch die ungebändigten Haare. Jetzt, mit der Wunde am Kopf und wo er schlief, sah er schon fast hilfsbedürftig aus und er hatte auf einmal etwas kindliches an ihm. Ich hoffte inständig das er bald wieder gesund werden würde, Nefra hatte ich so weit wie möglich aus meinem Kopf verbannt.

Draußen lag der Nebel dicht über dem Gras und man konnte kaum einige Schritte weit sehen. Ich lief ein Stück und setzte mich hinter die Hütte auf die Wiese, auf der einige hochgewachsene Eichen wuchsen. Ich lehnte mich gegen den Stamm einer der Eichen und atmete die kühle Luft ein, es war befreiend und erfrischend zu gleich. Es dauerte eine Weile in der ich nur dort saß und die Stille genoss, bis ich etwas bemerkte. Es war eine kleine Haselmaus die um die Wurzeln herumkroch und kleine Samen sammelte. Wie ich meine Fähigkeiten einsetzte, dass sollte ich selbst herausfinden. Ich fixierte die Maus mit meinen Augen und dachte daran, an was sie wohl denken mochte. Es passierte nichts. Ich dachte an Kälte, an den Stoß den man bekam wenn Vyris in meinen Gedanken stöberte. Es passierte wieder nichts, die Maus piepte nur ein wenig und knabberte an einer Nuss. Ich streckte lachend die Hand aus um sie zu berühren und als ich ihr Fell auch nur leicht streifte durchfuhr mich ein Schlag. In meinem Geist sah ich unzählige Bilder ablaufen, bis ich überhaupt erkennen konnte was darauf war, war es auch schon vorbei und die Maus suchte erschrocken das Weite. 'Schon ganz in Ordnung, immerhin habe ich den Anfang geschafft.' lobte ich mich selbst, ich hatte nicht wirklich geglaubt das auch ich so etwas konnte aber mit dem Wissen vom Magier, das er irgendwie in meinem Unterbewusstsein verankert hatte, hatte ich es offensichtlich geschafft. Nur dass ich nicht wirklich verstanden hatte, was die Maus gerade dachte. Ich stand auf und lief etwas umher, ich konzentrierte mich auf ein Eichhörnchen, dass zwischen den Ästen der Eiche herum hastete. Langsam nährte ich mich ihm und konnte für einen Moment seine Aufmerksamkeit gewinnen, so dass er sich von mir berühren lies. Wieder gab es einen kleinen Stoß und die Welt die ich vor mir sah verschwand und machte Bildern Platz. Man sah kurz ein Eichhörnchen Nüsse ausgraben und wie es mit anderen spielte, doch die Sequenz war eben so kurz gewesen wie die der Maus, nur dass ich hier etwas gefasster auf die Gedanken des Tieres war. Ich hatte immerhin klare Bilder vor mir gesehen, kurz, aber einige. Begleitet worden waren die Bilder von einer quiekenden Eichhörnchenstimme, doch das verstand ich leider nicht. Tiersprache konnten nur die Eingeborenen der Waldläufer entschlüsseln, aber das brauchte ich auch gar nicht. Ich war mit meinem Ergebnis schon einmal zufrieden.

Raven - Tochter des Schicksalsحيث تعيش القصص. اكتشف الآن