Werwolfs Blut

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Kapitel 1

«Was hast du getan?» Oh verdammt. Ich sah händeringend zu Boden, während meine Mutter, die inzwischen schnaubte wie ein wilder Bulle, mich durch ihre randlose Brille anfunkelte.

«Naja, es kann sein, dass ich gestern den einen oder anderen Jäger angegriffen habe», sie holte tief Luft und stiess sie dann zischend wieder aus. Das war gar nicht gut.

«Du willst mir also erzählen, dass du einen unschuldigen Menschen angefallen hast?» Ich nickte eifrig und wollte mir gleich darauf eine Ohrfeige verpassen. Ich musste nicht noch stolz darauf sein. «So unschuldig ist er nun auch wieder nicht. Immerhin hat er versucht den Hasen zu erschiessen, den ich... äh... du weisst schon.» Ich machte eine bedeutungsvolle Geste mit der Hand. Sie mag es überhaupt nicht, wenn wir über meine kleine Behinderung sprechen.

«Ich habe ihn auch nicht soooo schwer verletzt.» Unter ihrem Auge zuckte es. Das ist gar nicht gut. Diesen Blick hat sie meistens drauf, wenn mein Vater zu Besuch war. Ich machte mich darauf gefasst, dass sie mich anschreien würde und sie setzte gerade dazu an, als das Telefon klingelte. Ich schickte ein Stossgebet gen Himmel, als sie mich nochmal mit einem bösen Blick ansah, der mir sagte, dass diese Diskussion noch lange nicht zu Ende war und sich dann das Telefon schnappte. Ich holte mir meine Tasche und huschte wie da verschreckte Kaninchen, das ich gestern gejagt hatte, aus dem Raum. Mist. Diese Sache hatte meine Mutter ganz schön aufgemischt. Sie ist Psychologin und eigentlich nicht so schnell aus der Fassung zu bringen. Doch immer, wenn es um mein kleines Problem geht, flippt sie völlig aus. Ich bereute es jetzt schon, es ihr erzählt zu haben. Es war eh keine grosse Sache. Der Jäger hat es überlebt, davon habe ich mich selbst überzeugt. Immerhin hat er seine Lektion gelernt. Stell dich niemals zwischen einen Wolf und seine Beute. Ausserdem denkt er wahrscheinlich, dass ein riesiger Schäferhund ihn angegriffen hatte und kein sechzehnjähriges Mädchen, dass sich in einen bärengrossen Wolf verwandeln kann. Meine Mutter ist da anderer Meinung. Sie hat immer Angst davor, dass mir jemand aus Versehen Blut abzapft (wie zur Hölle soll das überhaupt gehen?), oder mich dabei beobachtet, wie ich meine Gestalt wechsle. Ich bin vorsichtig, was sie aber nicht zu kümmern scheint. Verdammt, ich bin kein Welpe mehr. Ich kickte einen Stein aus dem Weg, blieb aber sofort stocksteif stehen. Ein paar Passanten sahen mich merkwürdig an, doch das war mir, um ehrlich zu sein, egal. Was war das für ein Geruch? Der Wolf in mir meldete Gefahr und kurz geriet ich in Panik.

Doch dann merkte ich, dass es wahrscheinlich nur wieder eine Überreaktion meiner Instinkte war. Die Grossstadt war nicht gerade der ideale Platz für einen Werwolf. Da mein Geruchssinn stärker war als der der Menschen, musste ich mir angewöhnen, mit dem Mund zu atmen, um nicht die ganzen Abgase in meine überempfindliche Lunge zu bekommen. Meine Schule war nur ein paar Strassen weiter und daher kam ich noch vor Unterrichtsbeginn an. Schnell quetschte ich mir vor Mr. Banner in den Klassenraum (was wirklich schwer war, da er breit wie eine Wand war) und warf meine Tasche auf meinen Tisch, wobei ein paar Bücher herauspurzelten. Mr. Banner liess sich mit einem Ächzen auf seinen Stuhl fallen. Es quietschte Unheil verkündend was mir sagte, dass Mr. Banners neue Diät gescheitert war. Nach zwei Stunden Mathe, einer Stunde Physik, drei Stunden Bio und ein paar Stunden von etwas, was ich nicht mitbekommen hatte, was ich völlig geschafft und schleppte mich stöhnend zurück nach Hause. Meine Mutter war noch in der Praxis, also machte ich mir ein Schinkensandwich, was die Vorfreude auf die Jagd heute Nacht dämpfen sollte. Wieder hing dieser merkwürdige Geruch, eine Mischung aus Kupfer und Minze, in der Luft. Dieses Mal ignorierte ich den Wolf, der mich auf eine mögliche Gefahr aufmerksam machen wollte. Wahrscheinlich war das wieder irgendein neues Parfüm meiner Mutter. Sie liebte es, mit dem Zeug herumzuexperimentieren. Ich ging nach oben, um meine Hausaufgaben zu machen, was meine momentane Laune nicht gerade hob. Fluchend sah ich auf die Uhr. Immer noch mindestens wie Stunden bis zum Sonnenuntergang. Meine Mutter rief an, um mich darüber zu informieren, dass sie heute Überstunden machen musste. Super. Immerhin konnte ich dann einer psychologischen Unterhaltung über Selbstbeherrschung entgehen.

Kurz bevor die Sonne unterging, nahm ich meine Jacke und lief in das kleine Wäldchen mit den Nadelbäumen hinter unserem Haus. Die Abendluft strich kühl durch mein Haar, während ich meine Sachen auszog und sie hinter einer verrosteten Mülltonne legte. Dieser Prozess war nicht unbedingt nötig, doch ein Wolf mit BH ist ein sehr merkwürdiger Anblick. Ich kauerte mich auf alle Viere, atmete tief die Gerüche des Waldes ein und liess den Wolf aus dem Käfig.



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