Kapitel 4

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Etwa zur selben Zeit auf der anderen Seite des Atlantiks.

Karolina stampfte wütend mit dem Fuß auf und schnaufte empört. Das würde sie sich auf keinen Fall gefallen lassen! Ihr Großvater wusste schließlich ganz genau, dass sie sich mit ihren Freunden für diesen Abend verabredet und somit überhaupt keine Zeit hatte. Erst recht nicht für einen so blöden Empfang, wo sie den ganzen Abend in einem unbequemen Kleid steif herumstehen und mit irgendwelchen, angeblich wichtigen Leuten über völlig belanglose Dinge plaudern musste. Schon vor Wochen hatte sie ihm ihre Pläne mitgeteilt, aber er hatte ihre Wünsche natürlich wie immer königlich ignoriert und ihr befohlen, um sieben Uhr fertig zu sein.

Na gut! Sie hatte es ihm nicht vor Wochen, sondern vor zwei Tagen mitgeteilt, aber wer regte sich bitte schön über solche Kleinigkeiten auf? Es ging schließlich ums Prinzip und außerdem war sie ja auch kein Kleinkind mehr, auch wenn ihr Großvater sie herumkommandierte, als wäre sie nicht bereits zwanzig, sondern immer noch zehn Jahre alt! Sie würde sich nicht für den Rest ihres Lebens von ihrem Großvater Befehle erteilen lassen!

Karolina versuchte, sich etwas zu beruhigen. Eines stand schon mal von vorneherein fest: Dieses Mal würde sie ihrem Großvater nicht gehorchen! Sollte es denn ihr ganzes Leben lang so weitergehen? Ihr Großvater befahl etwas und sie spurte? Nein, nicht mit ihr!

Doch wie konnte sie sich nur drücken? Ihrem Großvater direkt ins Gesicht sagen, dass sie keine Lust hatte? Karolina schüttelte entsetzt den Kopf. Bei einer direkten Konfrontation mit ihm hatte sie bisher immer den Kürzeren gezogen und dieses Mal würde das nicht anders sein. Die einzige Konsequenz aus einer Konfrontation wäre, dass ihr Großvater sie den ganzen Abend beobachten lassen würde. Horror pur!

Nein, ihre Energie sparte sie lieber für einen anderen Streit auf. Das Beste wäre, sich einfach krank zu stellen. Und so beschäftigt wie ihr Großvater im Moment war, hatte sie auch gute Chancen damit durchzukommen. Er hatte einfach keine Zeit, um zu kontrollieren, ob sie wirklich krank war oder nicht, und ihre ehemalige Erzieherin hatte sie bisher immer täuschen können.

Diese wählte genau diesen Augenblick, um die Tür zu öffnen. „Karolina!", rief sie. „Sind Sie fertig?"

Karolina zuckte zusammen. Ihre Gedanken rasten. Was sollte sie nur vortäuschen? Eine Erkältung? Fieber? Aber nein, das konnte man überprüfen. Bauchschmerzen? Nein, besser nicht, dann würde sie nur wieder eines dieser ekligen Hausmittelchen schlucken müssen.

Migräne! Eine Migräne wäre der perfekte Vorwand, um nicht zum Empfang gehen zu müssen! Kein Arzt konnte ihr beweisen, dass sie log! Und was noch besser war, sie würde keines von Annas widerlichen Mittelchen schlucken müssen!

Anna betrat das Zimmer, um nach ihrem kleinen Mädchen zu schauen. Sie stand mitten im Zimmer und hatte sich immer noch nicht umgezogen, obwohl der Empfang in wenigen Minuten beginnen sollte. Vielleicht waren sogar die ersten Gäste bereits da und Karolina war noch nicht fertig! Ihr Großvater würde nicht erfreut sein.

Dann bemerkte sie Karolinas blasses Gesicht und die glänzenden Augen. „Karolina! Kind! Was hast du?", rief sie erschrocken. Sie eilte ins Zimmer.

„Perfekt!", dachte Karolina. Das war ja sogar noch einfacher, als sie gedacht hatte!

Sie gab ihrer Stimme einen leicht gepressten Ton, so als müsste sie sich zwingen, normal zu antworten. „Anna, ich habe dich gar nicht gehört", schwindelte sie und lächelte schief. „Ist es etwa schon so weit?"

Anna musterte ihren Schützling besorgt. Das Mädchen sah gar nicht gut aus, auch wenn sie so tat, als wäre alles in bester Ordnung. Vor allem das Glänzen ihrer Augen gab ihr zu denken. Ob sie Fieber hatte?

Königreich zu verschenken - XXL LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt