2. Kapitel: Das Projekt

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In Arbeitsraum 201, in dem die Projektarbeit stattfinden soll, haben sich schon einige Schüler versammelt und die Tische zu einem Kreis zusammengeschoben, als Sina und Lasse eintreten. Sina sieht ein paar Leute aus ihrer Klasse und ein paar aus der b und der c. Dummerweise sind es grade die Leute, die sie sich nicht unbedingt ausgesucht hätte. Es sind die arrogante Elisha und ihre Proll-Mädels, die Carolin Kebekus und ihren Köln Porz Parodien alle Ehre machen würden und Nazi-Markus. Nazi-Markus ist eigentlich gar kein Nazi, aber sein großer Bruder ist einer und dessen Ruf hat auf Markus abgefärbt. So sehr, dass Markus wahrscheinlich selber schon dran glaubt, denn langsam aber sicher fängt auch er an, diesem Spitznamen gerecht zu werden. Sina und Lucy beobachten das schon eine Weile mit Unmut.
"Oh gut, ihr seid die letzten!", meldet sich auf einmal ein großes, blondes Mädchen, dessen Name Sina grade nicht einfallen will, zu Wort und steht auf.
"Soweit ich das mitbekommen habe, leitet Frau Lamberz dieses Projekt, allerdings hat sie sich noch nicht blicken lassen. Ich gehe gleich im Lehrerzimmer nachfragen, ihr könnt euch ja schon mal zusammensetzen!", und sie rauscht hoch erhobenen Hauptes aus dem Raum. Karina, fällt es Sina wieder ein. Karina ist der Name des Mädchens.
"Hui, die ist aber bossy heute!", raunt Lasse ihr zu und die beiden setzen sich an die zusammengeschobenen Tische.
"Boah nee, ich hab so einen Kater, ne!", sagt Elisha und verdreht die Augen. Markus holt ein Jojo aus der Tasche und fängt an, höchst konzentriert damit zu spielen. Die anderen sitzen einfach da und gucken durch die Gegend. Sina beobachtet das ganze mit hochgezogenen Augenbrauen.
"Hey, wisst ihr, dass wenn der Lehrer nicht erscheint, wir einfach gehen können?", sagt Ayşe, eine von Elishas Freundinnen.
"Seriously jetzt?", Elisha macht große Augen.
"Das schon, aber erst nach einer Viertelstunde", sagt Lasse.
"Hä, was redest du, zehn Minuten!", ereifert sich Ayşe.
Sina seufzt. Es interessiert sie herzlich wenig, ob man gehen kann oder nicht. Wahrscheinlich ja sowieso nicht. Und wenn, dann würde ja nur das Projekt ausfallen und es würde gar nichts bringen, in der Zeit großartig abzuhauen.
"Ey, wenn das so ist, dann geh ich!", sagt Elisha und steht auf.
"Hallo, nach fünfzehn Minuten!", sagt Lasse, aber Elisha ignoriert ihn und nimmt ihre gefälschte LV Handtasche vom Tisch.
"Wenn du gehst, geh ich auch!", sagt Ayşe. Langsam regen sich auch ein paar andere.
"Hallo, hat mir irgendwer zugehört?", fragt Lasse laut. "Warten wir doch wenigstens, bis Karina wieder da ist!"
"Stehst du auf die Schlampe, oder was?", motzt Ayşe.
"Ayşe, einfach mal Klappe halten, ja? Ich kann dich nicht ertragen so früh am Morgen!", brummt Lasse.
"Was ist dein Problem, du Spast?!", macht ihn Elisha an.
"Spast sagt man nicht, das ist Diskriminierung!", meldet sich ein kleines, schlankes Mädchen mit Hornbrille, von dem alle wissen, dass ihr Bruder das Down-Syndrom hat.
"Lass gut sein, Tamara", sagt Lasse.
Elisha und Ayşe zucken mit den Schultern und verlassen den Raum, ein paar andere folgen ihnen. Sina, Lasse, Markus und der Rest bleiben sitzen.
"Und nun?", fragt die kleine Tamara in die Runde, nun wesentlich selbstsicherer, da Elishas Gang weg ist.
"Wir warten auf Karina!", sagt Lasse.
Die kommt auch wenige Minuten später zurück.
"Wo sind denn alle?", fragt sie stirnrunzelnd.
"Die blöden Assis haben sich in ihr Ghetto verzogen", brummt Markus und schaut in die Runde, als würde er erwarten, dass irgendwer lacht. Aber das ist es Sina nicht wert. Dafür sind ihr die ganzen Leute hier und ihre Strukturen und ihre Schubladen, in die sie sich selber stecken, viel zu egal.
"Also, was hast du rausbekommen?", fragt Lasse.
"Frau Lamberz kommt heute nicht mehr", antwortet Karina. "Vielleicht ist sie morgen wieder da, aber heute sollen wir uns erst mal auf andere Projekte aufteilen."
"Cool!", ruft Tamara und springt auf. "Ich geh zu den Beatles! Kommst du mit, Sina?"
Überrascht schaut Sina auf. Tamara hat sie gefragt! Warum?
"Bitte wohin?", fragt Sina verwirrt.
"Ein paar Freunde von mir haben ihre Instrumente mitgebracht und wollen jetzt in der Woche ein paar alte Beatles Songs einstudieren!", erzählt Tamara begeistert.
Was soll ich da?, denkt Sina. Ich höre solche Musik ja nicht mal. Musik ist nie ein besonderes Interesse von Sina gewesen. Das einzige was sie mit einer gewissen Form von Leidenschaft hört, ist K.I.Z., besonders die alten Sachen, nicht bloß Hurra, Die Welt Geht Unter, wie die andern alle, die K.I.Z. erst letztes Jahr kennen gelernt haben.
"Komm schon, Sina!", sagt Tamara. "Meine Freunde sind wirklich cool!"
"Du hast Freunde?", fragt Markus.
"Fresse, Markus. Hast du welche?", fragt Lasse zurück.
"Also... ich weiß nicht was ich da soll, aber wenn ihr da jetzt hingeht, warum nicht?", sagt Sina und sie, Tamara und Lasse nehmen ihre Taschen und machen sich auf den Weg zum Musikraum.
Dort sind etwas zehn Leute versammelt. Einige haben Gitarre dabei, andere fuchteln mit Tambourinen und ein Junge am Klavier versucht verzweifelt, für Ruhe zu sorgen.
"Hallooooo, Leute!", er hämmert mit der Faust an die Tafel. Keiner reagiert. Tamara holt sich, Sina und Lasse Textbücher.
"Wir wollen als erstes Lady Madonna spielen!", ruft der Pianist.
"Du meinst wohl, du wolltest Lady Madonna!", ruft ein anderer Junge, seine Gitarre auf dem Schoß.
"Ganz ehrlich, alle wollen doch Let It Be, also warum geben wir ihnen nicht, was sie wollen!", sagt ein Mädchen mit kurzen, braunen Haaren und einer adretten, weißen Bluse, die in der Nähe des Pianisten steht. Sina hat sie noch nie vorher gesehen.
"Nein, ich wär für Imagine!", ruft jemand anders.
"Also, wer das geäußert hat, möge bitte den Raum verlassen!", sagt der Pianist und das kurzhaarige Mädchen lacht.
Sina sieht sich stirnrunzelnd nach Lasse um, aber er zuckt bloß mit den Schultern.
"Imagine ist ein Solosong von John Lennon!", raunt Tamara den beiden zu.

Weil sich niemand sein Leben aussuchtWhere stories live. Discover now