2. Kapitel - Ankunft in Essen

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Die zwei ein halb Stunden Autofahrt vergingen sehr langsam. Normalerweise gingen sie bei mir immer sehr schnell um, doch dieses mal war es anders. Da brachte meine Musik mir gar nichts. Ich wurde ein paar mal ermahnt, ich solle nicht so laut Musik hören, doch ich ignorierte meine 'Mutter' so, als ob niemand im Auto säße. Nur ich alleine. Wir fuhren von der Autobahn und schlängelten uns durch den Feierabendverkehr. Das hieß Stau. Noch eine halbe Stunde mehr, als eigentlich gedacht. Ich hasste es, und ich werde es immer hassen.

Später stellte sich heraus, dass wir in eine ganz andere Richtung mussten. Das Haus lag nämlich in der ruhigen Gegend von Essen, also so sah es zu mindestens aus. Es war nicht viel los. Ein paar Kinder hier und da. Auch Leute in meinem Alter.

Das Auto kam zum stehen und meine Mutter stieg aus. Ich guckte aus dem Fenster und erblickte ein großes, neu gebautes Einfamilienhaus. Sie wollte nicht alleine mit mir dort einziehen. Nein, auf keinen Fall. Außerdem brannte ein Licht im Haus. Bei genauerem Hinsehen, erkannte man die Küche. Ich wollte nicht aussteigen, und blieb sitzen. Doch das klappte nicht so gut. Gerade als ich wieder dabei war mit Micha zu schreiben machte meine Mutter die Tür auf, nahm mir mein Handy weg und zog mich aus dem Auto. Was war mit dieser Frau los? So kalt hatte ich sie noch nie gesehen. Sie zog mich zum Kofferraum, wo meine Koffer schon standen - inklusive Longboard.

„Du nimmst dir jetzt ganz schnell deine Sachen und gehst zu dieser Haustür da drüben und klingelst.", während sie mir diese kurze Rede hielt zeigte sie auf das Haus, wo ich dachte das es unser neues Zuhause sei. Es stimmte also. Ich nahm ohne ein Wort zu antworten meine Koffer und ging auf das Haus zu. Als ich vor der Haustür stand klingelte ich, wie befohlen. Mir machte ein junger Mann die Tür auf. Er war vielleicht so alt wie mein Bruder. Was wollte er hier? Der war zwanzig Jahre jünger als meine Mutter! Das konnte sie doch nicht bringen. Ich verstand auch nicht wieso sie meinen Vater nach 25 Jahren Ehe einfach so verlässt wegen so einem Typen. Wie tickt diese Frau eigentlich? Auf jeden Fall nicht richtig.

„Du bist bestimmt Leonie oder?", sprach er mich an. Ich darauf gab nur ein : „Mh.", von mir und quetschte mich mit den Koffern an ihm vorbei. Ohne zu wissen wo mein Zimmer war, schleppte ich die Koffer die Treppe hoch und klapperte jedes Zimmer ab. Als ich mein Zimmer fand, stellte ich meine Koffer rein und legte mein Longboard verkehrt herum auf mein Bett. Mein Zimmer war schlicht eingerichtet. Meine Mutter hatte ihm anscheinend gesagt, dass Türkis meine Lieblingsfarbe sei, denn mein Zimmer war so gestrichen. Dunkles Laminat lag auf dem Boden und alle Möbel die in meinem Zimmer standen waren weiß. Wie früher, als noch alles okay war. Mein altes Doppelbett stand in der Mitte des Raumes. Darauf lag weiße Bettdecke mit Blumenmuster. Eigentlich war alles nach meinem Geschmack, doch wohlfühlen werde ich mich wohl nie. Ich will nach Hause. Das waren meine einzigen Gedanken zu dem Zeitpunkt. Doch ich musste sie wieder verwerfen.

Ich legte mich auf mein Bett und sah an die Decke. Weiß. Einfach nur weiß. In dem Moment fiel mir auf, dass meine Mutter mein Handy hatte. Ob ich es zurück kriegen würde?

Ich schleppte mich nach unten in das Wohnzimmer, wo meine ach so liebe Mutter saß und mit diesem Typen flirtete. Es kam alles hoch. Ich hätte zur Toilette rennen können, tat es aber nicht. Stattdessen räusperte ich mich angeekelt. Sie lösten sich und guckten gespannt zu mir. Sie erwartete eine Antwort. „Mein Handy?", fragte ich einfach. „Das kriegst du jetzt nicht." „Aber wieso nicht?" Ich regte mich immer mehr auf. Jetzt durfte ich nicht mehr Musik hören und nicht mit meiner Familie schreiben. „Ich würde gerne Musik hören und mit meinem Bruder schreiben!", fügte ich wütend hinzu. Nun mischte sich ihr ach so toller Freund ein und sagte spöttisch: „Oben steht ein Radio. Noch nie was davon gehört?"

Das ging zu weit. „Ach ihr könnt mich alle mal!" Mit diesen Worten lief ich hoch und hörte nur meine Mutter rufen: „Leonie, du kommst sofort wieder runter!" Mal wieder ignorierte ich sie und schloss mich in meinem Zimmer ein. Ich konnte jetzt schon nicht mehr. Alles musste raus. Ich fing an zu weinen. Mein Körper hatte jetzt schon zu viel. Ich konnte diese Person, die mir meine Freude nahm einfach nicht mehr 'Mutter' nennen. Nie wieder. Sie war Geschichte für mich. Bald würde ich 18 werden und einfach abhauen. Bald, war nicht der richtige Ausdruck. Ich hätte in 4 Monaten Geburtstag. Im Dezember. Der 18.Dezember. Das wird der beste Tag dieses Jahr werden, weil ich einfach abhauen würde. Zurück nach Hessen in meine Heimatstadt, zu meinem Bruder und seiner Freundin, oder zu meinem Vater. Dort war ich zu mindestens sicher. Nicht so wie hier, in diesem Haus. Meine Mutter war hier und auch noch dieser, wie sich heraus stellte, arrogante Typ. Like my Mum. Obwohl. Sie war nicht arrogant, sondern aggressiv. Niemand aus meiner Familie wusste wieso. Sogar meine Oma, die Mutter meiner 'Mutter' distanzierte sich von uns. Oder eher von dieser Hexe. Ich konnte das voll verstehen. Wer hätte gerne so eine Tochter? Ich denke niemand. Doch früher fanden mein Bruder und ich immer Zuflucht bei ihr. Mein Bruder musste alles genau so durchmachen, wie ich. Wir mussten beide leiden. Zum Glück hatte ich einen großen Bruder der mich in Schutz nahm, wenn meine Mutter wieder ausrasten wollte wegen irgendwas. Deshalb war ich auch oft dort, als er umzog. Zuhause hatte ich es nämlich immer schwer. Ich wurde misshandelt...


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Mein neuer Freund (GLP FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt