Kapitel 1

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Ich gehe über den Friedhof. Überall um mich herum sind Menschen in Trauerkleidung, ohne Gesichter. Mir wird übel. Ich habe keine Kontrolle über meinen Körper. Ich gehe einfach geradewegs auf ein Grab zu. Die Gesichtslosen Trauergäste scheinen mich zu Betrachten. Ich fühle mich beoabachtet, verfolgt, ein Gefühl was ich nur zu gut kenne. Wer sind diese Menschen und was machen sie hier? Was mache ich hier? Der große, aber dennoch schlicht gehaltene Grabstein nähert sich. Aus dieser entfernung ist die Inschrifft verschwommen. Ich schaue mich um. Die Gesichtslosen scharren sich in einem Halbkreis um den Grabstein. Näher, immer näher komme ich dem Grabstein. Ich drücke die anderen beiseite und starre auf das Grab. Übelkeit. Kurz davor zu erbrechen. Auf dem Stein stehen die Namen meiner Eltern. Ich breche in tränen aus. So etwas fühlte ich seit Jahren nicht mehr. Tränen auf meiner Haut. Tränen auf meiner Haut. Ein stechender Schmerz durfährt meine Glieder und ich sacke zusammen. Ich schreie: "Was ist hier los!?". "Meine Eltern starben vor 17 Jahren!! Und wieso kann ich weinen!?" höre ich mich flennen. Ich krümme mich heulend am Boden. Ein finsteres lachen, wo kommt es her? Es ist nicht irgendein lachen, es ist ihr lachen. Warum passiert das? Ihr lachen. Es ist wie damals.

Schweißgebadet wache ich in unserem Zelt neben Ellena auf. "Ist heute wieder der Tag?" fragt sie behutsam: "Du hast geschiehen." "17 Jahre, auf den Tag genau." antworte ich. Ellena sieht mich Ratlos an. Aber ich weiß was sie denkt. Sie spricht es nur nicht mehr an. 17 Jahre, da kann ich doch froh sein, immerhin sind das 7 mehr als sie bekommen hat. Aber sie weiß das ich es nicht hören will. Zumindest nicht an diesem Tag. Ich versuche das Thema zu wechseln: "Schläft Julius noch?" "Ich glaube schon, er hat sich auf jeden Fall noch nicht gemeldet." antwortet sie und versucht dabei zu lächeln. Immernoch in meinem Schweiß liegend drehe ich mich zu meinem Wecker, den ich jedes mal aufs Neue in unser Zelt hänge: "Es ist schon 7.33 Uhr, versuch noch etwas zu schlafen, in drei Stunden wollen wir hier weg sein." Ellena klingt etwas beängstigt: "Darf ich dich etwas fragen Kurt?" Merkwürdig, sie spricht mich nur selten mit Namen an wenn wir allein sind. "Wir nennen unsere echten Namen nicht.", sage ich: "Also frag gar nicht erst." "Das ist es nicht." sagt sie: "Fehlt es dir nicht?" Wir kennen uns seit 3 Jahren und jetzt traut sie sich erst zu fragen. Julius hatte schon nach drei Wochen gefragt. "Manchmal" antworte ich ihr mit ernster Stimme. "Das ist gut." schluchzt Ellena: "Es tut mir leid." Toll. Jetzt weint sie gleich. Aber natürlich wird sie wie immer vorher raus gehen, da es ja unfähr gegenüber mir wäre. Manchmal glaub ich echt sie spinnt. Allerdings sind sie und Julius die einzigen die ich habe und uns verbindet unser Packt, unser Fluch, unser Leid. "Es ist in Ordnung, du bist ja nicht schuld. Und viel besser biste ja auch nicht dran." sage ich und brumme mit agressivem Unterton: "SIE ist daran schuld." hinterher. Ich drehe mich zu Ellena und schließe die Augen. Nach 17 Jahren werde ich IHN erwischen. Rache ist alles woran ich noch denken kann. Und SIE ist die nächste.


noch 3 JahreWhere stories live. Discover now