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Ein letztes Mal richtete ich mein kurzärmliges weißes Hemd, welches Bestandteil der Sommeruniform der Schule war, bevor ich erneut tief durchatmete und die Musik danach pausierte.
Dann trat ich durch das Portal des Arceus-Gymnasiums.
Sehr subtil, die renommierteste Schule dieser Region nach dem Pokémon-Gott zu benennen, dachte ich.
Ich erblickte glücklicherweise sofort einen Aushang. Auf diesem Aushang waren alle Klassen und ihre Klassenräume vermerkt.
Da das Nummerierungssystem der Räume dieser Schule, dem meiner alten glich, fand ich meinen Klassenraum auch schnell. Jedoch gab es dabei ein Problem - Abgeschlossen. Das ist aber der richtige Raum, oder? Zweifel plagten mich. Doch, muss ja. Meine Klasse stand am Aushang im Absatz ganz oben. Da bin ich nicht in der Zeile verrutscht. Hoffentlich...
Ich seufzte und lehnte mich an die Wand neben der Tür. Zum Glück ist es durch die Bauart des Gebäudes angenehm kühl.
Minuten vergingen und dann kam eine grüngekleidete schlanke Frau auf mich zu.
»Kann ich dir helfen?«, fragte sie freundlich und musterte mich.
»Schon möglich.«, antwortete ich, »Ich warte darauf, dass der Raum aufgeschlossen wird. Das ist doch der Klassenraum von der 11a, oder?«
Ein klein wenig fühlte ich mich schon unsicher, während ich sprach.
Sie legte die Stirn in Falten. »Ja...«, sagte sie zögerlich. Es schien so, als würde sie überlegen. »Ach, dann bist du wohl der neue Schüler?«
»Scheinbar, ja.«, lächelte ich.
»Erwin, richtig?«
Ich nickte. »Korrekt!«
»Freut mich. Ich bin Frau Schmidt.« Jetzt schenkte sie mir ein strahlendes Lächeln. Dann machte sie endlich Anstalten den Raum aufzuschließen.
»Warum bist du eigentlich schon hier? Der erste Block startet doch erst in einer halben Stunde«, sagte sie.
»Ich bin lieber ein wenig früher hier, bevor ich mich verspäte, weil ich mich verlaufen habe.«, antwortete ich. »Außerdem ist die Bahn ja auch nicht gerade zuverlässig.«
Frau Schmidt nickte verstehend und ließ mich dann in den Raum. »Setz dich einfach irgendwo hin.«
Der Raum wurde scheinbar für den Kunstunterricht genutzt - eigentlich logisch. Die Tische standen in einem U, welches zur Tafel hin geöffnet war. Auf den Schränken und Regalen standen Skulpturen und an den Wänden hingen Bilder. Alles hauptsächlich zu Pokémon.
Ich entschied mich nach kurzer Überlegung für einen Platz mittig der rechten Tischreihe vom Lehrerpult ausgesehen, welches in der Öffnung des Us stand.
»Wie lange fährst du denn mit der Bahn bis hierher?«, wollte Frau Schmidt wissen, während ich damit beschäftigt war, alles nötige auszupacken.
»So ungefähr 30 Minuten«, antwortete ich.
Stille.
Ich nahm mir einen Bleistift und meinen Zeichenblock und fing an die Statue eines Pokémons auf einem Regal mir gegenüber abzuzeichnen.
Nach zirka 10 Minuten ruhigen Zeichnens war das Gebäude wie auf einen Schlag von Schritten und Stimmengewirr erfüllt. Auch der Kunstraum füllte sich langsam. Manche meiner neuen Mitschüler und Mitschülerinnen sollte ich wirklich nicht zu lange in diesen Schuluniformen anschauen, sonst komm ich noch auf den Gedanken andere Sachen zu zeichnen. Nicht, dass ich das nicht schon gemacht hätte. Nur halt nicht von meinen Mitschüler:innen. Zum Beispiel die zwei Schülerinnen, die gerade quatschend den Raum betraten.
Die vordere der beiden hatte hüftlange blaue Haare, welche mit gelben Spangen versehen waren. Wer hat auffälligere Haare? Sie oder ich mit meinem burgunderroten Undercut?
Im Gegensatz zu den meisten anderen Mädchen trug sie ein halbdurchsichtiges schwarzes Longsleeve - scheinbar ebenfalls Teil der Sommerkollektion, nur für die Schülerinnen - durch welches ich ihren schwarzen BH erkennen konnte. Kombinieren tat sie dies mit einem pastellpinken Faltenrock, weißen Kniestrümpfen und pinken Chucks.
Das hintere Mädchen trug einen roten Porkpie Hut auf welchen sie ihre Sonnenbrille abgelegt hatte. Ihre langen blonde Haare schimmerten im Licht der einfallenden Sonne. Ihre leichte schwarze Bluse und der rote Faltenrock waren ein echter Blickfänger. Die Schuluniform ist ziemlich weit gefächert. Und erst diese freundlichen blauen Augen...
Doch ich wischte den Gedanken an eine Beziehung mit dieser Schönheit beiseite. Als ob sowas klappen würde.
Schnell wandte ich mich wieder meiner Zeichnung zu.
»...bin so froh, dass wir in den gleichen Kursen sind.«, drang irgendein Gesprächsfetzen einer Schülerin an mein Ohr.
»Wenn wir uns für die gleichen Kurse und Leistungskurse anmelden, dann war das zu erwarten.«, entgegnete eine andere weibliche Stimme. Beide schienen näher zu kommen.
»Ich freue mich trotzdem darüber!«, erwiderte die andere Stimme wieder. Ja, die Stimmen kommen eindeutig näher. Ich verkrampfte mich ein wenig. »Ohne dich sind die Stunden immer so langweilig.«
Ich hörte ihre Freundin kichern. »Weißt du worüber du dich freuen kannst?« Kurzes Schweigen. »Ich hab gehört, dass Ash auch in diesem LK ist.«
»Nicht so laut, Lucia!«, zischte die andere Stimme, worauf hin die andere wieder kicherte.
»Hey, kennst du den?« Die Stimme dieser Lucia war jetzt deutlich gedämpfter. In dem Stimmengewirr konnte ich sie kaum noch hören, trotz dessen das ihre Stimme ziemlich auffällig ist. »Ich hab den hier noch nie gesehen.« Sie meint mich, oder?
»Nein. Wer ist das?«, wollte ihre Freundin wissen.
»Find's doch raus.«, forderte Lucia sie auf. Kurzes, für mich unverständliches, Getuschel kam zwischen den beiden auf. Dann sah ich aus dem Augenwinkel, wie sich das Mädchen mit den blauen Haaren ein Platz weiter rechts von mir hinsetzte. Rechts hinter mir hörten ich ein Seufzen und dann setzte sich die Schülerin mit der schwarzen Bluse und dem roten Rock neben mich.
Ohje...
Ihr Parfum stieg mir in die Nase. Riecht wirklich gut. Mein Herz schlug schneller.
»Du bist neu hier, oder?«
Ich holte tief Luft und warf ihr einen kurzen Blick zu. Warum klingt ihre Stimme so schön?! »Ja.«
»Mein Name ist Serena.« Sie lächelte mich freundlich an.
»Erwin.«
Ihr Blick fiel auch meine Zeichnung. »Zeichnest du gerne?«
»Irgendwo muss der Kunst LK ja seinen Ursprung haben.«
»Sieht gut aus.«
»Danke.«
Schweigen.
»Wo kommst du her?«, wollte sie wissen.
Das scheint wohl ein längeres Gespräch zu werden. Also gut. Jetzt legte ich den Block beiseite und wandte mich ihr vollends zu. Neue Kontakte knüpfen oder so.
»Aus der Vorstadt. 30 Minuten mit der Bahn von hier.« Ich lächelte und versuchte dabei nicht ganz so gezwungen auszusehen. Eigentlich hatte ich gerade nicht wirklich Lust auf eine Unterhaltung.
»Du klingst aber nicht so, als ob du hier aufgewachsen bist. Und du siehst auch nicht so aus.« Ihre blauen Augen lagen forschend auf mir.
Diesmal lächelte ich komplett ungezwungen. »Du hast eine gute Beobachtungsgabe.«
»Danke.« Sie erwiderte das Lächeln.
»Aber du klingst auch nicht so, als hättest du deine Kindheit hier verbracht.«
Sie legte ihren Kopf leicht schräg. »Da hast du recht.« Jetzt lächelte sie wieder. »Ursprünglich komme ich aus Kanto, habe aber auch einige Jahre in Kalos gelebt.«
Ich zog erstaunt meine Augen rauen nach oben. »Dann kannst du ja drei Sprachen.«
»Vier, um genau zu sein«, stellte sie klar. »Ich spreche kanto, kalos, galar und limusa.«
»Das ist ja 'ne Menge!«, stieß ich aus.
»Ja. Also, wo kommst du her?«
Ich wollte schon zu einer Antwort ansetzen, da stieß Lucia sie an. »Serena, guck mal.« Sie nickte in Richtung Tür.
Serena wandte sich von mir ab und so endete das Gespräch, doch auch mein Blick wanderte zum Eingang.
Ein Junge im gleichen kurzärmligen schwarzen Hemd wie ich betrat den Raum. Seine Haare waren braun und gezackt, passend dazu waren seine braunen Augen von einem stechenden Blick erfüllt. Seine Hände hatte er lässig in seine blaue weitgeschnittene Jeans gesteckt.
Vor ihm ging ein Junge, dessen schwarzen Haare unter einem roten Basecap verborgen waren. Er trug ein weißes kurzärmliges Hemd und eine kurze blaue Stoffhose. Sein Blick glitt aufmerksam und wachsam durch den Raum auf der Suche nach einem Platz. Ist das dieser Ash?
War mir im Endeffekt eigentlich auch egal. Ich nahm mir meinen Block wieder zur Hand und zeichnete weiter. Im Augenwinkel bemerkte ich noch, wie Serena ihren Hut absetzte und ihre Frisur richtete.
»Du siehst gut aus«, hörte ich ihre Freundin flüstern.
Meine Augenbrauen zuckten leicht und ich schmunzelte. Sag ich ja. Ich hätte keine Chance gehabt.
Ich konzentrierte mich weiter auf meine Zeichnung, als auf einmal die Schulglocke erklang.
»Dann lassen wir mal Ruhe einkehren.«, ertönte die Stimme von Frau Schmidt und tatsächlich verstummten alle Gespräche schlagartig. Das hatte in meiner alten Schule nicht so gut geklappt, dachte ich, während ich den Block erneut beiseitelegte. Letztendlich richteten sich alle Blicke auf sie. Dabei bemerkte ich, dass der Platz links von mir tatsächlich freigeblieben war.
»Guten Morgen liebe Klasse 11a.«, fing sie ihre Begrüßungsrede an. »Ich sehe einige neue Gesichter und viele bekannte. Viele von euch kennen sich untereinander bestimmt schon, doch das gilt ja nicht für alle.« Sie lächelte in die Runde. »Deswegen schlage ich vor, dass wir eine kleine Vorstellungsrunde machen.«
Was auch sonst.
»Wir fangen an zu meiner Linken und gehen dann nach hinten durch um dann hier vorne, zu meiner Rechten, zu enden.« Abschließend deutete sie auf die Schülerin am Ende meiner Reihe. »Doch zuerst zu mir. Mein Name ist Frau Schmidt und ich bin 39 Jahre alt. Studiert habe ich Lehramt auf Kunst, Limusa und Geschichte. Ich wollte also von Anfang an Lehrerin werden.« Sie lächelte erneut. »Und an dieser Schule bin ich seit mittlerweile 14 Jahren. Und jetzt bin ich eure Tutorin. Das war's von meiner Seite aus.« Sie deutet auf den Schüler zu ihrer linken, welcher sich sogleich erhob und sich vorstellte.
Ich seufzte. Auch noch aufstehen.
So nahm die Vorstellungsrunde ihren Lauf und eigentlich konnte ich mir bis zu Lucia nur drei Sachen merken.
Das Mädchen mir gegenüber hieß Leaf und wurde, wie Serena, auch in Kanto geboren. Aufgrund eines Vulkanausbruchs auf der Zinnober Insel, wo sie gelebt hatte, musste sie allerdings umziehen.
Der Junge mit dem roten Basecap hieß tatsächlich Ash und sein Ziel war es, Pokémon-Meister zu werden. Gary neben ihn wollte ihn dabei noch übertrumpfen und behauptete, er sei in allem was er tat besser als Ash. Niedliche Rivalität.
Lucia erzählte, dass sie ursprünglich aus Sinnoh kommt und gerne Eisskulpturen anfertigt.
Serena sagte lediglich, dass sie gerne Pokémon-Koordinatorin werden will. Danach setzte sie sich hastig hin und ich bemerkte, dass Ash ihr zugelächelt hatte.
Da wird wohl jemand schnell nervös. Ich seufzte erneut. Wie oft ich heute wohl noch seufzen würde? Wieder seufzte ich. Jedenfalls bin ich jetzt dran. Ich stand auf, stellte mich gerade hin und holte tief Luft.
»Mein Name ist Erwin und ich bin vor gut 'nem Monat mit meinen Eltern hierhergezogen. Davor haben wir in einer Region gelebt, dessen Regierung sich dachte, sie müsse das Trainieren von Pokémon verbieten. Deswegen gab es dort nur wilde Pokémon und absolut gar keine Trainer. Somit ist das einzige Pokémon zu dem ich bisher wirklich Kontakt hatte mein Smart-Rotom.«
Als es erwähnt wurde, vibrierte es kurz in meiner Hosentasche. Ich hingegen zuckte nur leicht mit den Achseln und setzte mich dann wieder.
Danach ging auch die Vorstellungsrunde weiter und zu meiner Überraschung fragte Serena nichts, obwohl sie mich neugierig ansah.
Als wir mit der Vorstellung fertig waren, klärte Frau Schmidt uns über die Projektarbeit auf, welche wir in den kommenden zwei Jahren verfassen würden. »Dazu werdet ihr die Entwicklung des Bandes zu eurem Pokémon festhalten.«
»Dann kann ich ja einfach über mein Pikachu schreiben.«, hörte ich die Stimme von Ash.
»Dann schreib ich über mein Schillok!«, erwiderte Gary selbstsicher.
Doch Frau Schmidt machte ihnen da einen Strich durch die Rechnung. »Das wird leider nicht möglich sein. Es muss ein komplett neues Pokémon sein. Und außerdem eine Art, die ihr noch nicht gefangen habt.«
Dann hab ich freie Auswahl.
»Ihr habt zum Fangen dieses Pokémons eine Woche Zeit. Sollte euch das nicht gelingen, fallt ihr bei der Arbeit durch. Euch sollte aber bewusst sein, dass die Note wichtig dafür ist, ob ihr zu den Abschlussprüfungen zugelassen werdet.«, ermahnte sie uns.
Das sieht nicht gut für mich aus.
»Ihr könnt das Pokémon frei in der Wildnis fangen oder ihr geht in den Pokémon-Garten unserer Schule. Dort leben auch viele wilde Pokémon.«
Das klingt doch schon besser.
»Alle, die die zweite Möglichkeit nutzen wollen, treffen mich nach dem letzten Block bitte am Eingang von diesem. Noch Fragen?«
Ich werd den schon finden. Hoffentlich...
Es kamen keine Fragen auf.
»Damit wäre dieses Thema auch abgehakt. Kommen wir nun zu euren Zeugnissen aus dem letzten Jahr. Ich hoffe ihr habt sie unterschrieben mitgebracht.«
Mit solchen organisatorischen Themen ging es den restlichen Block weiter bis der Gong erklang und alle anfingen einzupacken.
Ich holte mein Smart-Rotom heraus und schaute auf meinen Stundenplan. Wir hatten ihn alle vor einer Woche per E-Mail bekommen. Jetzt kam eine 30-minütige Frühstückspause.
Ich schulterte meinen Rucksack und ging aus dem Raum raus. Als ich im Türrahmen war, sprach mich jemand an. Es war die Stimme von Gary. »So ein Leben ohne Pokémon muss ziemlich einsam sein.«
Die Gespräche in der Umgebung verstummten und alle schienen an meinen Lippen zu hängen, auf meine Antwort zu warten.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten und meine Miene verfinsterte sich. Ein Grollen stieg aus meiner Kehle empor. »Ja, es war einsam. Und anders als die anderen zu sein hat auch nicht gerade zur Besserung beigetragen.« Ich drehte meinen Kopf leicht und starrte ihn aus dem Augenwinkel heraus an. »Ich hatte gehofft, hier wäre es anderes. Limusa prahlt ja regelreicht mit seiner Offenheit für Diversität, aber scheinbar hab ich mich geirrt. Es ist wohl überall das gleiche!«
Mit diesen Worten verließ ich den Raum.

~~Pokémon FF~~Where stories live. Discover now