17 | Viel zu viel Blut

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»Mhm«, machte Fede. »Okay, wollen wir los? Lass uns mit der Bahn fahren, ich hab keine Lust, mich mit fremden Menschen auseinander zu setzen.«


Krankenhäuser waren immer so eine Sache für sich. So ein besonderes Feeling irgendwie. Eine eigene Welt. Während draußen sich das Viertel bekriegte, Menschen sich in abgeranzten Clubs die Kante gaben und die Klobrille küssten, manche sich im Park den goldenen Schuss setzten, weil sie in ihrer Jagd nach Glück zerbrochen waren, herrschte hier Ruhe. Und doch kamen sie hier alle zusammen, die gescheiterten Schicksale. Die H-Junks mit ihrer Überdosis, die Alkleichen. Die Jungs ausm Park, die von einem konkurrierenden Dealer das Messer die zwischen die Rippen gerammt bekamen. Sie alle landeten an diesem Ort, in irgendeinem Zwischenstadium zwischen Tot und Lebendig. Und hier war auf einmal alles klinisch steril, so sauber und weiß. Ein Ort, der keinen Platz für Emotionen bot, obwohl sie alle hier hervorkamen.

Schnurstracks ging ich auf den Empfang zu. Wollte Fede das Gefühl geben, dass ich den ganzen Scheiß in der Hand hatte, ihm zeigen, dass er loslassen konnte. Dass er sich auf mich verlassen konnte.

»Ey«, sprach ich die Frau an, die ihren Blick vom Bildschirm hob. Sie wirkte übernächtigt. »Sein Bruder wurde hier eben eingeliefert. Wo sollen wir hin?«

»Notaufnahme.« Sie deutete auf einen Gang zur linken Seite, der mit einem entsprechenden Schild ausgeschildert war. »Da runter.«

Unsere Schritte hallten den Gang entlang und während wir liefen, griff ich nach Fedes Hand. Strich über seine Finger und drückte sie kurz. Der Blick, den er mir zuwarf, spiegelte Dankbarkeit wieder. Im Wartebereich angekommen fanden wir uns in einem vollen Raum wieder. Gedämpftes Murmeln, ein Typ, der auf seinem Stuhl eingenickt war. Ein Baby, das schrie. Ein Mann mit verzotteltem Bart, der mit dem Fuß stampfte und irgendetwas auf einer mir unbekannten Sprache vor sich hinschimpfte.

Okay, scheiß auf das, was ich gerade gesagt hatte. Ruhig war hier rein gar nichts.

Die Mutter von Fede saß im Eck, ihre Füße steckten in dicken Wollsocken und flauschigen Hausschuhen. Ihren Mantel hatte sie lediglich über eine dünne Hose drüber gezogen, die eher nach Schlafhose als sonst was aussah. Auf ihr befanden sich ein paar Flecken. Untypisch für sie, die im Gegensatz zu meiner Alten schon darauf achtete, wie sie aussah. »Federico!«, sagte sie erleichtert, als sie uns beide reinkommen sah. Erhob sich etwas schwerfällig und kam uns entgegen, legte die Arme um Fede. Aufgeregt begann sie ihm auf Italienisch etwas zu erzählen.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und ließ meinen Blick durch den Wartebereich gleiten. Da wandte sich Fede mir wieder zu: »Sie weiß noch nicht mehr von Leonardo. Sie haben ihn in ein Zimmer gebracht und sie durfte noch nicht zu ihm. Aber er lebt.«

»Das ist doch schon mal die Hauptsache.«

Dann hieß es Warten. Nach einer Weile wurden neben dem Stuhl der Mutter noch zwei weitere frei und Fede und ich ließen uns dort nieder. Unauffällig streifte ich mit meinen Fingern über seinen Oberschenkel. Kurz huschte Fedes Blick von meiner Hand zu mir, auf seinen Lippen tauchte ein unscheinbares Grinsen auf. Tja, das schien jemandem zu gefallen.

»Scheiß drauf, ich geh da jetzt nachfragen«, sagte Fede mit einem Mal entschieden und stand auf, so schwungvoll, dass der blaue Stuhl rumpelnd ein wenig zurückrückte.

»Vernünftig' Idee«, stimmte die Mutter mit anerkennendem Nicken zu und kurz musste ich daran denken, was Leonardo auf dem Spielplatz erzählt hatte. Wie er immer in Fedes Schatten stand. Mit schnellen Schritten ging Fede auf eine Krankenpflegerin zu, die gerade den Raum durchquerte.

»Entschuldigung? Ich wollte mal wissen, wie's jetzt um meinen Bruder steht. Michele di Benedetto. Er wurde hier heute eingeliefert.«

»Dazu kann ich nichts sagen, ich schicke gleich meine Kollegin zu Ihnen«, erwiderte die Schwester, während ich mich zu den beiden gesellte, mich aber ein wenig im Hintergrund hielt. Nachher wollten die nichts sagen, weil jemand dabei war, der nicht zur Familie gehörte.

Es dauerte ein paar Augenblicke, bis eine jüngere Frau mit hohem, schwingenden Zopf zu uns kam. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie mit einem leichten osteuropäischen Akzent.

Fede wiederholte seine Frage.

»Das dauert noch. Bis Sie zu ihm können. Der Junge braucht jetzt erstmal Ruhe«, erklärte die Frau, hatte sich schon halb abgewandt.

»Aber ihm geht es gut?«, erkundigte sich die Mutter nervös und raufte sich die schwarzen Locken, die heute schon etwas wirr waren.

»Ja, den Umständen entsprechend. Die Ärztin wird Ihnen später mehr sagen. Bitte gedulden Sie sich«, erwiderte sie, da ging sie schon mit großen Schritten weiter. Rot hob sich ihr Zopf von dem weißen Kittel ab.

»Das kann doch nicht sein«, erwiderte Fede aufgebracht, während wir zu unseren Plätzen zurückgingen. Hinter der Frau schwang die Glastür zu. »Dass die uns gar nichts sagen! Wer weiß, vielleicht geht's ihm viel schlechter.«

»Spero che andrà tutto bene ... mio caro ragazzo«, murmelte die Mutter besorgt.

»Jetzt chill mal, das ist ja normal, dass die nicht viel sagen kann«, werfe ich ein. »Meine Alte arbeitet ja auch im Krankenhaus und die hat auch schon gesagt, wie oft Leute die anlabern und dass die da halt keine Zeit haben, Auskunft zu geben.«

Hatte sie so nicht wirklich gesagt und falls doch, zugehört hatte ich eh nicht, aber ich fand, das klang nach einer Antwort, die Fede beruhigen könnte. Wir ließen uns auf unseren Plätzen nieder und die Mutter nahm ihr Handy raus, das in einer abgenutzten dunkelroten Klapphülle steckte. Diese Dinger, die auch nur Boomer hatten. Sie drückte aufs Display und begann mit leiser Stimme eine aufgebrachte Sprachmemo aufzunehmen.

»Die nähen gerade meinen Bruder, weil er sich die Pulsadern aufgeschnitzt hat, also keine Ahnung, warum du glaubst, ich kann einfach chillen!«, fuhr Fede mich heftig an.

Ich wartete noch einen Moment, dann legte ich meinen Arm um ihn und zog ihn ein wenig näher an mich ran. Bei Fede hatte ich alles erwartet, vor allem in diesem Moment. Dass er mich wegschlagen würde.

Am wenigsten hatte ich erwartet, dass er es zulassen würde. Atmete seinen Duft nach frisch gewaschenen Haaren und irgendeinem Parfum ein. Eigentlich waren Parfums ein richtiger Opfer-Move, aber bei Fede war das ganz süß.

Ein leises Pling verkündete, dass die Mutter ihre Sprachnachricht abgeschickt hatte. Sie nahm im Anschluss direkt die nächste auf. Ihre Stimme vermischte sich mit den vielen anderen des Krankenhauses. Der noch immer schimpfende Mann. Das Baby, das leise wimmerte. Irgendeine besoffene Frau, die lautstark die Frau am Tresen beleidigte und nach ein paar Augenblicken hinaus eskortiert wurde.

»Kippe zur Beruhigung?«, bot ich leise an. Seine Locken kitzelten mich an der Nase.

»Vergiss es, Jay. Hab ich dir doch schon in der Achten gesagt. Ich nehm keine Kippen von dir an.«

»Du bist ganz schön unflexibel.«

»Mh.«

»Kommse trotzdem mit raus, rauchen?«, fragte ich und er stimmte mit einem Nicken zu. Sagte auf Italienisch seiner Mutter Bescheid. Gemeinsam gingen wir den langen Gang nach draußen, stellten uns vor das Gebäude. Ich zündete mir eine Zigarette an und ließ meinen Blick über das umliegende Gelände schweifen. Dunkel lag die Nacht über uns, hatte alles in Beschlag genommen. Nur ein paar wenige Lichter erwehrten sich ihr, kämpften gegen die Dunkelheit an. Ein paar Bäume, die sich im Wind wandten, die die Sicht auf die umliegenden Häuser verbargen. Ein kleiner Park mit Laternen, bei dem an Tag sicher die Patienten ihre Zeit totschlugen.

Und dann auf einmal küsste Fede mich. Küsste mich, als würde er in diesem Kuss alles an Halt finden, das er gerade bekommen konnte. Überrascht fand ich seine Zunge, während die Kippe zwischen meinen Fingern abbrannte. 

Die Verlierer - Herz aus BetonWhere stories live. Discover now