Angst und Geheimnisse

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„Ein Teil von mir." Er seufzte gequält auf.

*Lilly*

„Es ist wunderschön." Meine Stimme war nur ein Hauchen. Bei diesen Worten zuckte er vor mir merklich zusammen. Er knirschte mit den Zähnen und bückte sich, um sein Shirt nun endgültig wieder anzuziehen. „Es ist alles andere als schön, Lilly. Es ist die Hölle. Meine persönliche Hölle. Ich hasse es. Alles." Er seufzte. Es lag so viel Schmerz in diesen Worten, so viel Kummer und Frust, es fuhr mir eiskalt den Rücken hinunter. Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen. Sein Shirt landete wieder auf seiner hellen, glatten Haut und unterbrach meine Gedanken an das merkwürdige Tattoo. Ich wusste nicht, wie ich es hätte anders nennen können.

„Du kannst gehen, wenn du das möchtest." Mit diesen Worten kehrte er mir den Rücken zu. Er ließ mir die Wahl, ein Teil seiner mysteriösen Geschichte zu werden, mit allem was dazugehörte, oder mein trostloses Leben einfach weiterzuleben wie bisher, doch dann, ohne ihn. Es fiel mir nicht schwer, eine Entscheidung zu fällen. Ich würde mit ihm klarkommen. Mit seinen Eigenarten und Geheimnissen. Das hoffte ich. Inständig. „Wieso magst du dein Tattoo nicht?" Die Worte hatten, noch bevor ich richtig über sie nachdenken konnte, auch schon meinen Mund verlassen. Er stand immer noch mit dem Rücken zu mir, doch konnte ich sehen, das er seine Schultern hängen ließ. „Nenn es nicht so. Ein Tattoo bewegt sich nicht. Es verursacht keinen Schmerz, keine Angst, keinen Hass oder Zerstörung in dem, der es auf seiner Haut trägt. Es sollte Freude bereiten. Stolz." Er klang resigniert. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Als würde er es spüren, drehte er sich zu mir um. „Hast du etwa Angst?" Er zog seine linke Augenbraue in die Höhe. Seine Augen funkelten.

Es war eine einfache Frage und doch lag sie schwer zwischen uns. Was sollte ich sagen? Hatte ich Angst? Vor diesem Tattoo, diesem Ding? Vor ihm? Vor der ganzen Situation? Ich atmete tief ein. „Nein." Meine Stimme war gefasst und fest. Ich hatte keine Angst. Er kam schnellen Schrittes auf mich zu, verließ den normalen Sicherheitsabstand, welchen er sonst immer penibel zu mir pflegte und blieb dicht vor mir stehen. Unsere Nasenspitzen berührten sich fast. Ich sah ihm fest in seine Augen und hörte auf zu Atmen. Doch ich würde keinen Rückzieher machen. Ich würde ihm zeigen, dass ich keine Angst vor ihm und allem Unbekannten hatte.

Er blähte leicht mit seinen Nasenflügeln. „Du solltest besser Angst vor mir haben." Ich wartete auf die Alarmglocken in meinem Kopf, auf ein Zeichen, das mir klarmachte, die Beine in die Hand zu nehmen und zu rennen, weit weg, doch es kam nicht. Ich schüttelte energisch meinen Kopf. Ich würde mich keinen Zentimeter von der Stelle bewegen. Ich hatte mich entschieden bei ihm zu bleiben und diesen Entschluss würde ich nicht so schnell wieder über Bord werfen. Da tanzte etwas über seine Arme, seine helle Haut wurde an manchen Stellen dunkler, es glitt über sein Gesicht und fand schließlich Zuflucht in seinen Augen. Sie färbten sich dunkler, fast schwarz, erst seine Iren, dann auch das Weiße in ihnen. Ich zwang mich, weiter zu atmen. Seine Stimme war tief und rau, als er sprach.

„Ich könnte dich hier und jetzt Töten. Einfach so. Du würdest es nicht mal merken, dein Herz hätte schon aufgehört zu schlagen, ehe du den Boden berühren würdest." Er wartete gespannt auf eine Regung meinerseits. Ich zwang mich, meinen Herzschlag zu verlangsamen. „Ich weiß, dass ich dir Angst einjage. Jede Zelle, jede noch so kleine Pore auf deiner Haut, reagiert auf mich. Du stinkst nach Adrenalin." Er rümpfte die Nase. Doch ein Lächeln umspielte seine Lippen, ehe er einen Schritt zurückging, um mir Freiraum zu geben. „Du wirst mir nichts tun." Ich hielt an diesem Satz fest, umklammerte mich an ihn mit allem, was ich hatte. „Du wirst mir nichts tun, sonst hättest du mich auf dieser elenden Brücke einfach sterben lassen." Ich versuchte, meinen Worten die gewisse Authentizität zu geben. Er seufzte, ehe er wieder zu mir blickte. Seine Stimme war leise und sanft, fast verletzlich.

„Ich weiß, und es war das Egoistischste, was ich jemals getan habe."

Zwischen den WeltenNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ