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TW: An der mit ⟩ markierten Stelle kommt es zu einem Suizidversuch!




Eine Viertelstunde später klopfte es an meiner Tür.

"Hallo, Isabel? Ich bin es, Noah." sagt die Person vor der Tür. Ich hatte es eigentlich schon gewusst, aber nett das er mir mitteilte wer da steht. Ich laufe zur Tür und öffne diese mit zittrigen Händen. Ich zittere und schwitze am ganzen Körper, mir ist warm und kalt und ich bin einfach so nervös.

Vor der geöffneten Tür steht Noah, er hatte nasse Haare, was mir verriet, er hatte geduscht. Vermutlich ging er deshalb nicht sofort an sein Handy. "Hallo." begrüße ich ihn, "Komm doch rein." "Du willst reden?" fragt Noah neugierig. Ich nickte. Es ist schwer überhaupt etwas herauszubringen, weil meine Gedanken sich nur um diese eine Sache drehen. Die Wahrheit. Die Wahrheit über die Nacht, die wahrscheinlich unser beider Leben auf den Kopf gestellt hat.

Langsam mache ich einen Schritt zur Seite, so dass Noah an mir vorbei in mein Zimmer treten kann.

Meine Nervosität steigt, ich bin kurz davor mein größtes und dunkelstes Geheimnis zu erzählen. Und zwar genau der Person, der ich es eigentlich für den Rest meines Lebens verschweigen wollte. Gut eigentlich wollte ich es jeder Person verschweigen, aber den Collins ganz besonders.

"Geht es dir gut? Du siehst sehr blass aus." fragt Noah mich besorgt. "Jaja, alles gut." gebe ich gepresst von mir und atme tief durch. "Ich muss dir etwas erzählen, aber ich muss dich vorher um etwas bitten." sage ich und lasse mich auf mein Bett fallen. "Um was?" will Noah wissen und er mustert mich mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen. "Versprich mir, dass du es niemandem erzählst."

Er nickt.

"Hast du verstanden? Niemandem. Nicht deinen Freunden. Nicht deiner Familie. Nicht Mal deinen Eltern."

Er nickt wieder.

"Außerdem bitte ich dich darum, dass du, nachdem was ich dir gesagt habe, nicht gleich gehst. Lass mich dir mich erklären."

Er zögert kurz, nickt aber erneut.

"Und zuletzt will ich dich bitten, dass du dich umdrehst, während ich es dir erzähle."

Schockiert reist Noah die Augen auf. "Aber... Aber,-" "Mach es einfach, Bitte." unterbreche ich ihn und versuche dabei nicht allzu gebrochen zu klingen.

Zu meinem Glück kommt Noah meiner Bitte nach. Er setzt sich auf den Boden und schaut aus dem Fenster. Irgendwie ist es Beruhigend ihn so sitzen zu sehen. Aber noch weiß er nicht, was ihn gleich erwartet.

"Also!" beginne ich und merke jetzt schon, dass sich eine vereinzelte Träne auf meiner Wange befindet. "Vor 5 Jahren, als ich und Lucy unseren Abschluss gefeiert haben,-" ich spüre wie die Tränen aus meinen Augen herausfließen und versuche keine Schluchzer von mir zu geben. Noah soll es nicht merken. Ich schlucke tief, bevor ich weiterrede. "Da waren wir Abseits von den anderen, wie immer, nur ich und Lucy. Wir hatten schon zwei, drei Bier zu viel." ich unterbreche wieder, hole tief Luft und sammel mich für das, was ich als nächstes Sagen werde. "Und wie es halt so ist, kommt man auf dumme Gedanken und ich hatte-" diesmal kann ich mein Schluchzen nicht verhindern. Noah will sich zu mir drehen, lässt es aber dann doch. Er schaut in die andere Richtung. Er hält sein Versprechen. Zumindestens jetzt noch. Ich wische mir die Tränen weg, atme ein paar Mal tief durch und fahre fort. "Und ich hatte eine ganz dumme Idee. Lucy und ich liefen an den Klippen und ich... Ich... Ich lief zu nah, sie warnte mich, ich solle weiter weg von den Klippen gehen. Aber der Alkohol in mir brachte mein Adrenalin auf Hochtouren, deshalb ging ich nicht weg, sondern machte... Ich machte einen Handstand. Lucy sagte mir, mir sei nicht mehr zu helfen und wie leichtsinnig das war." ich pausiere und wage meinen Blick, der in letzter Zeit auf meine Decke gerichtet war, zu Noah. Er scheint mit sich selbst zu ringen, sich nicht zu mir umzudrehen. Ich will gleichzeitig sein Gesicht sehen und nicht sehen. ich seufze und konzentriere mich auf den Rest meiner Geschichte. "Aber ich wollte, ich weiß nicht was ich wollte, ich weiß nur noch was ich gesagt habe. Ich habe zu Lucy gesagt, dass sie sich bloß nicht traut. Du weißt bestimmt, dass das etwas war wo sie nie 'Nein' sagen konnte. Ich nahm also ihre Bierflasche und sie, sie machte einen perfekten Handstand." Ich atme nochmal tief durch. "Und dann... Dann kippte sie und-" ich schlucke schwer und aus meinen Augen strömt inzwischen ein ganzer Wasserfall. "Sie kippte und fiel. Fiel von der Klippe und ich konnte Lucy nicht halten. Ich wollte zu ihr stürmen und wollte nach ihrer Hand greifen, aber ich konnte mich nicht rühren." Jetzt breche ich vollkommen zusammen. Tränen laufen über meine Wangen, die schon klitschnass sind. Mir entweichen immer mehr Schluchzer und ich kugel mich auf meinem Bett zusammen.

Ich versinke in der Trauer und fühle mich wie in der Nacht in der ich aus meinem Fenster sprang. Ich fühle mich genauso wie damals, so schuldig, so unglaublich schuldig. Wieso? Wieso ist Lucy gefallen? Wieso sie und nicht ich?

Wie betäubt stehe ich auf und laufe zu Noah. Dann an ihm vorbei und direkt auf das Fenster zu. Kurz stehe ich einfach so da. Ich rühre mich nicht, ich schaue raus in die Welt, in die Welt ohne Lucy. Ohne zu zögern öffne ich das Fenster.

Noah springt erschrocken auf. Er scheint zu wissen was ich vorhabe, doch er wird  mich nicht aufhalten können, niemand kann das.

Langsam setze ich mich auf den Fensterrahmen, der Wind streicht um meine Arme und Beine und ich fühle mich Frei. Frei von all den erdrückenden Gefühlen.

"Was hast du vor?" fragt Noah panisch, obwohl wir beide wissen was ich vor habe und greift nach meinem Handgelenk.

"Hast du mir nicht zugehört? Ich habe deine Zwillingsschwester getötet."

"Du hast Lucy nicht getötet, sie ist gefallen."

"Dann habe ich sie halt nicht getötet, aber ich bin Schuld an ihrem Tot."

"Du trägst keine Schuld, wenn irgendetwas die Schuld trägt, ist es der Alkohol!"

"Nein! Ich habe sie in den Tot geschickt, ich habe ihr gesagt sie soll es machen, ich habe sie herausgefordert. Lucy wollte mich schützten, sie warnte mich und ich... Ich habe genau das Gegenteil gemacht." ich merke wie sich meine Trauer mit Wut mischt. Mit Wut auf mich selbst, auf den Alkohol und vor allem auf meine eigenen dummen Ideen. Ich wische mir mit meiner Hand, die Noah nicht festhält, die Tränen von den Wangen. "Ich hätte fallen sollen, nicht Lucy. Keiner würde mich vermissen. Aber sie, sie vermissen alle. Ich, du, deine  Familie. Sogar unsere Schule hat eine Trauerfeier gemacht. Außerdem muss doch jeder irgendwann dafür bezahlen, was er getan hat. Sowohl gutes und schlechtes. Ich habe so viel schlechtes verdient, ich habe die Welt beraubt, ich habe der Welt den wundervollsten Menschen geraubt den es gibt. Niemand würde mich vermissen. Wer auch? Ich sollte gehen. Ich sollte auch fallen, ich habe es nicht verdient hier-"

"Hör auf sowas zu sagen." unterbricht mich Noah, "Deine Mutter würde dich vermissen." er macht eine Pause und schluckt. Er hat aufgegeben mich zu überzeugen, er denkt auch mich würde keiner vermissen. "Deine Mutter wäre nicht die einzige die dich vermissen würde, ich würde dich auch vermissen." Ich unterdücke mir ein Lachen, "Natürlich. Du hast gerade erfahren ich bin Schuld am Tot deiner Schwester, aber du würdest mich vermissen. Klar. Du machst dir doch nur Sorgen, jemand könnte denken, du hättest mich aus dem Fenster geworfen. Keine Angst, ich nehm dir gerne eine Sprachnachricht auf in der ich sage, dass ich freiwillig gehe und du mich retten wolltest und so weiter."

"Nein, damals als Lucy starb, da bist du auch aus meinem Leben verschwunden. Damals habe ich nicht nur Lucy, sondern auch dich verloren, Isabel. Mein Leben hat sich an einem Tag um 180° gedreht. Aber als ich dich Gestern wiedergesehen habe, hat sich etwas geändert. So als ob sich eine Lücke in meinem Leben gefüllt hätte. Das will ich nicht wieder verlieren. Ich will dich nicht wieder verlieren.", Noah klingt ernst und traurig und bedrückt und ich weiß nicht was ich sagen soll. "Es ist Egal. Jeder muss doch Buße tun, ich will dir nicht wehtun, ich kann nur einfach nicht mehr."

Nachdem mir das letzte Wort über die Lippen kam, rutsche ich vom Fensterrahmen und fühle den Wind um mich herum.

Behind me | laufend #ONC2024Where stories live. Discover now