Kinetisches Tattoo

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Und so streckte ich zaghaft meine Hand aus, gewillt seine Haut erneut zu berühren.

*Lilly*

„Warte." Nun atmete er flach. Seine Worte waren nur ein Flüstern. Kurz hielt ich in meiner Bewegung inne. Er schien zu überlegen. „Ich sollte dir vielleicht doch noch was sagen". Ich wollte mich nicht schon wieder so plump abspeisen lassen. Da zischte er auch schon auf. „Lilly, verdammt," er stöhnte leise auf. Ich hatte meine flache Hand auf seine Brust gelegt. Kleine, aber angenehme Blitze durchfuhren sie. Da war kein Schmerz, es war ein angenehmes Prickeln. Er schloss kurz seine Augen, so als müsse er gegen etwas ankämpfen, doch schnell öffnete er sie wieder. Er klang vollkommen ruhig, doch ich sah ihm an, was es ihn kostete, diese Fassade aufrecht zu erhalten. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf seiner Haut. Ich hielt vor Aufregung meinen Atem an. Ash bemühte sich, gleichmäßig zu atmen, seine Zähne fest aufeinandergepresst. Wir beide standen vollkommen still da. Die Sekunden verstrichen. Da seufzte Ash leise auf, er war merklich entspannter.

Das Prickeln verschwand.
Und ich, ich wurde ein weiteres Mal enttäuscht. Die Sekunden verstrichen. Es passierte ansonsten absolut gar nichts. Resigniert zog ich meine Hand wieder zurück. Er schien meinen geknickten Blick mit seinem aufzufangen. Nun grinste er wieder. „Was schaust du wie drei Tage Regenwetter?" Ich drehte mich von ihm weg, wusste nicht, was ich fühlen sollte, es war eine Mischung aus Enttäuschung und Frustration. Ich fühlte mich, als hätte ich ein Spiel verloren, von dem ich hätte, alles verwetten können, es zu gewinnen. Stille legte sich über uns. Unerträgliche Stille. Ich war keinen einzigen Schritt weitergekommen, eher ging ich jedes Mal zwei Schritte zurück. „Willst du mir sagen, was das war? Oder gehst du mir wieder aus dem Weg?" Ich biss mir auf meine Unterlippe und sah ihn an. Doch wie erwartet, kam keinerlei Reaktion von ihm. Ich seufzte genervt auf.

„Ich sollte gehen." Nickend unterstützte ich meine Aussage. Sofort fing Ash mich mit seinem Blick ein. Sein überhebliches Grinsen verblasste augenblicklich. Kurz, so schien es mir, hatte er Panik in seinen Augen. Doch dann war der Ausdruck wieder verschwunden, neutral sah er mich an. „Wieso willst du gehen?" Er klang ruhig und distanziert. Er hatte seine Hände in den Hosentaschen vergraben und fokussierte mich. Alle Wärme war aus seiner Stimme gewichen. Ich atmete tief ein. Meine Finger an meine Schläfen pressend, schloss ich meine Augen. Es war so verdammt anstrengend. Er war so verdammt kompliziert. Ich wollte ihn nicht verlassen, aber ich würde nicht hierbleiben um permanent im Dunkeln zu tappen. Entweder er würde sich mir endlich etwas öffnen oder ich musste mir tatsächlich eine Alternative suchen. Ich ertrug das hier alles nicht mehr.

„Hör zu, ich verlange nicht, dass du dich mir komplett anvertraust aber ein bisschen Ehrlichkeit und Vertrauen sollten wir schon miteinander haben, findest du nicht auch? Immerhin wohnen wir beide zusammen hier. Ich kann nicht dauernd mit diesen Geheimnissen vor meinen Augen leben. Gib mir wenigstens irgendwas, erzähl mir was von dir." Er seufzte. „Ich dachte, es würde mit dir unkomplizierter werden. Du bist so dickköpfig und machst mich verrückt mit deiner Neugier. Wieso kannst du nicht wie die anderen sein und blind durch die Welt gehen?" Er murrte. Es bildete sich eine kleine Falte zwischen seinen Augen. Er kam auf mich zu, stockte kurz, so als schien er zu überlegen und blieb anschließend vor mir stehen.

„Du lässt mir also keine Wahl, hm?"
Mein Herz stockte als ich leicht meinen Kopf schüttelte. „Dann hoffe ich inständig, dass du damit umgehen kannst, denn ich kann dich nicht verlieren." Ich merkte ihm an das er mit sich haderte, doch dann trat pure Entschlossenheit in seinen Blick. Ich wollte über sein Gesagtes einen Augenblick nachdenken, doch ich war wie gefesselt. Gefesselt von dem, was er mir zeigte. Von dem, was sich vor meinen Augen abspielte. Wie gebannt starrte ich ihn an, seine blauen Augen ließen mich keine Sekunde los. Er schien konzentriert, aber auch so unendlich erleichtert zu sein, so als könnte er endlich er selbst sein. Ich konnte meinen Blick nicht von ihm lösen. Von seiner Haut, seinem Körper. Es war wunderschön und trotzdem angsteinflößend. „Was ist das?" Ich war fasziniert und hypnotisiert zugleich. Noch nie hatte ich auch nur etwas Vergleichbares gesehen. Wie von selbst umrundete ich ihn, wollte das, was ich da vor mir sah, nicht aus den Augen verlieren.

Auf seiner Haut war ein riesiges, wunderschönes schwarzes Tattoo. Es war so schwarz und mystisch wie die Nacht selbst. Langsam schlängelte es sich quer über seine Brust. Von links nach rechts, von oben nach unten. Es schien keinem Muster, keiner Form zu folgen. An seiner Wirbelsäule kroch es empor. Ich konnte meinen Augen kaum trauen. Ich streckte meine Finger nach ihm aus. Es wanderte nach oben und dann, dann war es plötzlich verschwunden.

„Ein Teil von mir." Er seufzte gequält auf.

Zwischen den WeltenWhere stories live. Discover now