Die Suche nach Erlösung

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*Levi*

Ich wusste, heute würde etwas anders werden. Ich spürte es. Meine Fingerspitzen kribbelten vor Vorfreude. Und dann, dann war es endlich geschehen. Solange hatte ich gewartet. Es war ein weiterer Tag meines qualvollen Daseins gewesen, doch nun würde alles wieder in Ordnung kommen. Nach all den Jahren. Es war gerade die Nacht über den Rand der winzigen, für mich vollkommen unbedeutsamen Stadt herein gebrochen, da nahm ich dieses winzig kleine, verzweifelte Pochen wahr, tief in mir. Schon oft hatte ich darüber nachgedacht, wie es sein würde, falls ich es je erneut spüren würde. Würde es sich genauso anfühlen? Würde es intensiver sein? Und vielleicht auch einer der wichtigsten Fragen für mich, bei wem von ihnen würde es zuerst auftauchen?

Da war es nun, ein hilfloses, verletztes, nicht enden wollendes Pochen. Nur ganz leicht und hauchzart hallte es in mir wider. Gänsehaut schlich sich über meinen gesamten Körper und entlockte mir ein wohliges Schauergefühl. Das Pochen ertönte rhythmisch im Takt meines verdorbenen, abgrundtief dunklen Herzens. Aus dem Pochen wurde ein sehr leises, zartes Summen und doch nahm ich es wahr, klammerte mich an dieses Gefühl in mir, wie ein Ertrinkender an seinen Rettungsring. Nie wieder würde ich es verlieren wollen. Ich prägte es mir ein. Ich würde es finden. Und ich würde mich endlich retten. Ich würde uns beide retten. Es war Mein. Für alle Zeiten. Voller Euphorie umklammerten meine Finger den Stift in meiner Hand etwas zu fest, er gab ein leises Knirschen von sich und zerfiel in tausend kleine blaue und schwarze Plastikteilchen welche anschließend fast staubartig auf den hässlichen, gelben, von Mäusen leicht zerfressenen Teppichboden der alten Fabrik rieselten. Doch das war mir gerade vollkommen egal. In diesem Moment zählte für mich nichts mehr, nichts außer dieses Gefühl.

Ich verließ schnellen Schrittes das alte, heruntergekommene, verlassene Backsteingebäude. Ich drückte die quietschende Tür mit dem Ärmel meines zerlöcherten schwarzen Jacketts auf und schon stand ich im Freien. Draußen war schwärzeste Nacht, doch es war meine liebste Zeit des Tages. Sie passte zu mir, zu meiner Seele, diese abgrundtiefe Dunkelheit. Sie spiegelte mein Innerstes wider. Ein kleines Schmunzeln schlich sich auf meine aschfahlen, dünnen Lippen. Ich atmete tief ein, genoss die frische, kühle Nachtluft, wie sie meine mit Rauch behafteten Lungen ausfüllte und sie fast zum Bersten brachte. Ich schloss meine Augen einen Moment. Es würde enden. Gedanklich seufzte ich erleichtert auf. Wie lange hatte ich auf genau diesen Moment gewartet. Mit meinen Fingern fuhr ich mir einmal komplett durch meine längeren, schwarzen Haare. Endlich hatte ich es gefunden, nach all der Zeit des Suchens. Meine Erlösung war zum Greifen nah. Ich musste nur noch meine Hand danach ausstrecken und es packen. Es mit meinen Fingern umschließen und dann, dann würde ich es ein für alle Mal zerquetschen. Kurz überlegte ich, wie ich es anstellen würde, dann ging ich los. Je schneller ich es fand, desto besser. Ich durfte nicht noch länger warten. Es war beschlossen.

Ich änderte meine Richtung, vergrub meine Hände in den Taschen meines staubigen, alten Jacketts, achtete instinktiv auf das Pochen und setzte einen Fuß vor den anderen. Ich durfte es nicht verlieren. Niemals. Das könnte ich mir nun wirklich nicht erlauben. Das wäre eine unsagbare Katastrophe. Eine Schande. Ich schnaubte empört. Nur daran zu denken, ließ mein Puls in die Höhe schnellen und mich unsagbar wütend werden. Nach einer Weile wurde das Pochen stärker. Ein Grinsen schlich sich auf mein Gesicht und zum ersten Mal seit langer Zeit erreichte es meine, von Leere gezeichneten, tiefblauen Augen. Ich war auf dem richtigen Weg. Wie von selbst trugen mich meine Beine durch die stockfinstere Dunkelheit der Nacht. Immer geradewegs einen weiteren Schritt auf mein Ziel zu. Ich würde kommen. Sehr bald schon. Und ich würde alles, was sich mir in den Weg stellte mit mir in die Tiefe reißen.

Und das, das war ein Versprechen, ein Versprechen, welches ich nicht gewillt war zu brechen. Nie wieder.

Zwischen den WeltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt