Endende Freundschaft

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*Lilly*

Mit einem Taschentuch in der Hand saß ich in der Küche auf dem quietschenden, alten Holzstuhl meiner Oma. Es war mein Lieblingsstuhl. Er kippelte leicht, immer dann, wenn ich meine Beine zu schnell baumeln ließ. Ich war noch zu klein um den Fußboden zu erreichen. Auch hatte er an der rechten Seite eine kleine Einkerbung, ich spielte gern mit meinen Fingern an ihr herum.
Ich saß dort immer, jedes Wochenende wenn ich meine Oma besuchte.

Traurig blickte ich auf meine Schuhe, meine Füße steckten in roten Turnschuhen. Eine kleine, weiße Schleife zierte die Seite meines linken Schuhs. Rechts sah ich keine wunderschöne weiße Schleife, sondern nur einen hässlichen, losen Faden baumeln. Wütend riss ich ihn mit einem Ruck hinaus.

Die Turnschuhe waren bequem und es waren die Besten die ich hatte. Oma hatte sie mir letztes Jahr zum Geburtstag geschenkt. Ich trug sie fast jeden Tag. Es waren meine ‚Super'-Schuhe. Wenn ich sie anhatte, konnte nichts schlimmes passieren. Doch heute hatten sie für mich ihren Zauber für immer verloren.

Es war Samstag. Mein bester Freund und ich wollten zusammen draußen spielen, wie jedes Wochenende. Heimlich wollten wir heute den großen, knorrigen Apfelbaum in seinem Garten hochklettern. Sein Vater hatte es uns seit Jahren verboten.
Doch heute wollten wir unsere Chance nutzen.
Sam hatte sich leise aus dem Haus geschlichen, es war noch früh am Morgen gewesen.Er wohnte direkt gegenüber von meiner Oma in dem großen, gelben Haus mit grünem Plastikzaun und kleinen weißen Fenstern. Seine Eltern waren seit Jahren geschieden und er hatte keine Freunde. Außer mich. Aber das gefiel mir, so musste ich ihn nicht mit anderen teilen. Ein Lächeln stahl sich auf meine Lippen. Wir waren ein großartiges Team. Nur wir beide, gegen den Rest der Welt.

Doch heute war etwas anders.
Mit schniefender Nase und traurigem Blick sah ich aus dem Fenster. Heute war doch ein schöner Tag gewesen, die Sonne schien hoch am Himmel, es war warm und die Vögel zwitscherten vergnügt um die Wette. Wie konnte dieser Tag nur so enden. Er hatte doch so gut begonnen. Mein kleines Ich verstand die Welt nicht mehr.

Nun saß ich hier, mit hängenden Schultern und Tränen in den Augen. Betrübt schnäuzte ich mir meine Nase. Ich stopfte mir mein Taschentuch in meine kaputte Jeanshose. Sie hatte ein riesiges Loch an meinem Knie. Das würde Ärger geben. Meine Mutter hatte sie mir erst letzte Woche gekauft. Mein Zeigefinger strich vorsichtig über das große Pflaster welches mir meine Oma behutsam über meine blutende Stelle geklebt hatte. Es war pink und hatte kleine Wolken. Mir gefiel es.

Ich sah zu meiner Oma. Eine widerspenstige Haarsträhne hatte sich aus ihrem lockeren Dutt befreit und fiel ihr über den Rücken. Sie holte gerade ein heißes Blech mit Muffins aus dem Backofen. Der Duft war fantastisch. Er breitete sich rasant in der kleinen Küche aus und ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Dann nahm sie die heißen Muffins mit spitzen Fingern vom Blech und legte sie schnell zum auskühlen auf einen Teller. Diesen stellte sie nach ein paar Minuten vor mich auf den Tisch. Sie säuberte einmal kurz ihre Hände und strich sie an ihrer karierten Schürze trocken.

Dann setzte sie sich neben mich und nahm mich in die Arme. Eine dicke Umarmung war für mich alles was ich jetzt gerade brauchte. Tief zog ich ihren tröstlichen Duft ein und vergrub meinen Kopf tiefer in ihrer Schulter.

Liebevoll sah mich meine Oma mit ihren blauen, faltigen Augen an. Ihre Hände zitterten.
„Ach Lilly, es wird alles wieder gut.", sagte sie leise.
Ich sah sie skeptisch aus meinen, vom Weinen, geröteten Augen an. Nichts würde jemals wieder gut werden.

„Es ist nicht deine Schuld. Natürlich war es eine dumme Idee diesen verflixt großen Baum hochzuklettern." Sie holte tief Luft.
„Aber es ist nicht deine Schuld das Sam hinuntergefallen ist."
Sanft stupste sie mir auf meine mit Sommersprossen verzierte Nase. Ein kleines Grinsen huschte über meine Lippen, doch ich ließ sie sofort wieder grimmig sinken.
Lilly, bitte gib dir nicht die Schuld an dem Unfall." Am Ende brach ihre Stimme ein kleines Bisschen. Nur ganz kurz, doch ich nahm es trotzdem wahr. Sie stand auf, wischte sich mit ihrer Hand übers Gesicht und ging zur Tür. Es hatte geklingelt.

„Es tut mir wirklich Leid, ich wollte das alles nicht," schniefte ich ihr hinterher, doch da war sie schon im Türrahmen verschwunden. Mit verweinten Augen nahm ich mir den größten Muffin vom Teller und starrte ihn an. Muffins halfen mir immer wenn ich traurig bin, kam mir der Gedanke. Vielleicht, wenn ich ihm auch einen von diesen leckeren Muffins brachte, vielleicht würde alles wieder gut werden. Doch heute, das wusste ich, heute würde mich auch kein Gebäck meiner Oma mehr glücklich machen.

Zwei Jahre später stand das große, gelbe Häuschen mit dem hässlichen, grünen Plastikzaun und den weißen Fenstern leer.

Den großen Apfelbaum hatte man gefällt.

Zwischen den WeltenWhere stories live. Discover now