16 | Welt in Scherben

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»Geht gar nicht«, stimmte ich ihm zu. So, meine Alte hatte sich nie einen Dreck um mich geschert, und das war schon beschissen genug. Aber das warn anderes Level. »Und was is jetzt mit Leonardo?«

»Ich weiß es nicht. Er hat sich im Bad eingeschlossen, schon vor ner Stunde. Und meine Mutter hat geklopft und so, aber von Leonardo kam nichts mehr. Keine Antwort. Obwohl sie sich entschuldigt hat und ihn angefleht zu antworten und alles. Und du kenns Leonardo. Der kriegt das nicht hin, solange nichts zu sagen.«

»Fuck.« Meine Stimme klang tonloser als ich gedacht hätte. Aber irgendwas machte das mit mir. Es wühlte mich auf. Es dauerte ein paar Momente, bis ich so richtig verstand, was da in mir vorging. Sorge. Oder sowas. Auf keinen Fall wollte ich, dass dieser Pisser starb, ganz gleich, wie unfassbar nervig er war. Ich dachte an die Wunden an seinen Handgelenken, die ich ein paar Mal gesehen hatte, wenn sein Pulliärmel hochgerutscht war. Wie er diesen hektisch runterzog, wahrscheinlich im Glauben, niemand hätte davon was mitbekommen. Wie er dann irgendwann immer mit dem Bandana herumlief. Dachte an unser Gespräch vor einer Weile, dass wir auf dem Spielplatz geführt hatten.

»Okay, Fede, Faktencheck. Leonardo, ey, das is doch keiner, der sterben will. Der macht zwar viel lebensmüden Schwachsinn, aber drüber hinaus doch nichts.«

»Ja, eben. Der hat doch gar keinen Bezug zur Realität. Der hat keine Vorstellung von Konsequenzen.«

»Ich glaub schon. Der macht sowas nicht, weil er keine Ahnung hat, was passieren kann. Der braucht das Risiko. Die Herausforderung. Und das willst du nicht, wenn du schon längst abgeschlossen has und dich umbringen willst.«

»Aber man kann sich ja nicht nur geplant umbringen. Es kann auch ausm Affekt passieren. Du bist super emotional und dann machst du was, was du eigentlich nicht machen würdest.«

»Tatsächlich eher weniger. Weil Menschen schon'n starken Lebenswillen haben, von dem sie nicht immer was wissen. Aber, um den Schritt zu gehen, und sich umzubringen, das ist ne riesen Hürde. Drum gibt's auch so viel gescheiterte Selbstmordversuche. Weil der Lebenswillen doch zu stark ist.«

»Bist du jetzt Psychologe auf einmal?« Fede seufzte, doch über sein Gesicht huschte ein leichtes Grinsen.

»Nee, nur mal ne Doku gesehen. Über Suizid und so.« Ich strich über Fedes Rücken. »Und ich mein, dem seine Verletzungen, die sind doch nicht so tief. Das is sowas oberflächliches bei dem, das macht der um klarzukommen. Nicht, weil er sterben will.«

»Dann stimmts also.« Fede biss auf die Innenseite seiner Wange. Ich spürte, wie seine Anspannung anstieg.

»Hm?«

»Dass er sich verletzt.«

In diesem Moment hielt mit quietschenden Reifen ein Auto neben uns. Ich sah auf und erkannte Rashids Kombi. Ein uralter Volvo, der ständig Probleme machte, die Rashid zusammen mit Nadja selbst zu lösen versuchte. War nicht so, dass einer der beiden Ahnung hatte, was die da taten, aber bisher fuhr die Karre immer noch. Er ließ die Scheibe herunter und begrüßte uns mit einem Grinsen. »Taxi ist da. Einsteigen, die Herrschaften.«

Unauffällig strich ich über Fedes Rücken, während der sich schnell von mir löste und auf der Rückbank Platz nahm. Ich setzte mich nach vorne zu Rashid und der ging schon wieder aufs Gas, noch ehe ich die Tür richtig geschlossen hatte.

»Hab gehört, es ist eilig«, sagte er, während er sich in den Verkehr einreihte.

»Wie kommse drauf?«

»Du klangst so.«

Ich lachte. »Ey, du kennst mich. Was soll mich denn stressen? Is nich.«

»Bruder.« Rashid warf mir einen belustigten Blick zu. »Dich gibt's doch gar nicht in entspannt. Sagst du mir den Weg oder soll ich Navi anmachen?«

Die Verlierer - Herz aus BetonWhere stories live. Discover now