»Los. Erzähl! Was ist passiert?« Yan konnte die Fragen nicht mehr zurückhalten, als sie hinter der Sturmtänzer aufs weite Meer hinausfuhren. Hannah stand am Steuer und sah zufrieden zu, wie der Wind in ihre braunen Locken blies und wild durcheinanderwirbelte.

»Darrel und ich sind den Berg hochgestiegen und haben uns dort mit einem reichen Geschäftsmann getroffen«, begann Hannah zu erzählen. »Darrel gab vor, dass wir verlobt seien und dass er nun ein passendes Geschenk für unsere Hochzeit brauche. Zuerst war der Mann skeptisch, doch dann konnte unser Casanova ihn davon überzeugen, dass eine Frau wie ich etwas ganz Besonderes verdient hätte und ein einfacher Ring nicht ausreichen würde. Man hätte uns erzählt, dass man solch eine Kostbarkeit am ehesten in seinen Schätzen finden würde. Und Darrel prahlte geradezu, dass er dafür auch bereit wäre, ihn sehr großzügig dafür zu entlohnen.«

»Lass mich raten. Diese Schmeichelei ging bei dir natürlich runter wie Rum«, gluckste Yan amüsiert.
»Natürlich« grinste Hannah. »Wer hört nicht gerne eine Wahrheit über sich, die er schon kennt?« Die Frauen lachten, dann wurde Hannah wieder ernst. »Um zum Punkt zu kommen«, meinte sie, »Während Darrel den Herren ablenkte, ging ich durch das Zimmer und hielt nach etwas Ausschau, das Darrel mir auf der Karte gezeigt hatte. Eine runde Scheibe mit vier Strichen in jeder Himmelrichtung und einem Kreuz in der Mitte. Und plötzlich stach mir etwas wie ein Säbel ins Auge.«

»Komm schon, lass mich nicht länger warten! Was hast du da gefunden?«, drängte Yan gespannt.
»Hier, schau selbst!«, antwortete Hannah geheimnisvoll und zog einen glänzenden, goldenen Gegenstand aus ihrer Tasche, der im Sonnenlicht funkelte.
»Ein Kompass?«, entgegnete Diane mit einem skeptischen Lächeln.
»Fast« erwiderte Hannah mit einem verschmitzten Lächeln und drehte den Gegenstand in ihrer Hand. «Es ist ein defekter Kompass.« Yan seufzte enttäuscht.

»Wow. Das ist der unspektakulärste Schatz, von dem ich je gehört habe... Wie kommst du darauf, dass gerade dieser Kompass das ist, wonach wir suchen?«

»Schau mal genauer hin«, forderte Hannah Yan auf und reichte ihr den Kompass. Die Rothaarige betrachtete das glänzende Instrument aufmerksam, während Hannah erklärte: »Zuerst denkt man, es sei ein gewöhnlicher Navigationskompass. Aber schau genauer, wohin die Nadel zeigt! Die Himmelsrichtungen sind nur zart angedeutet und wenn man ihn dreht, zeigt sie nicht gen Norden, sondern... woandershin.«

»Was soll das bedeuten?« Yan war verwirrt. »Wenn er nicht mal den Norden anzeigt, was ist er dann wert?«

»Hier«, erwiderte Hannah geheimnisvoll und zeigte auf eine Stelle am Rand. «Bemerkst du den besonderen Strich?«

Yan betrachtete den Kompass erneut. »Aye! Tatsächlich! Einer der Striche bildet ein kleines Kreuz. Eine feine Linie durchzieht es waagerecht.« Ihr Herz begann schneller zu schlagen, als ihr einfiel, dass dieses winzige Kreuz ihr bekannt vorkam – es war auf ihrem Teil der Schatzkarte.

»Das ist ein verborgener Kompass«, flüsterte Yan, ihre Augen weiteten sich vor Erkenntnis. »Er offenbart sein Geheimnis nur mit der passenden Karte!«

»Genau!«, strahlte Hannah. »Und jetzt ratet mal, was ich noch ergattert habe.«

»Keine Ahnung, lass mich nicht im Dunkeln tappen.«

»Hier kommt's«, sagte Hannah, ihr Lächeln wurde schelmisch breiter. »Es ist etwas, das jetzt im Besitz des selbstgefälligsten Kerls der Welt ist. Er denkt tatsächlich, er hätte es mir heimlich entwendet, als wir und kurz in einer Nische verstecken mussten. Und es ist genau das, was er erwartet hat.«

»Ein Amulett?« Ronan drehte den Schatz, den Darrel von Hannah auf der Flucht vor den Wachen des Edelmannes gestohlen hatte, in seinen großen Händen

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»Ein Amulett?« Ronan drehte den Schatz, den Darrel von Hannah auf der Flucht vor den Wachen des Edelmannes gestohlen hatte, in seinen großen Händen. »Das sieht mir aber nicht sehr spektakulär aus. Was kann es?« Darrel zuckte mit den Schultern.

»Keine Ahnung, warum Hannah es mitgenommen hat. Ich war damit beschäftigt, den Mann und die Wachen abzulenken, als sie mir plötzlich ein Zeichen gab und wir Hals über Kopf flohen. Ich wollte sie noch fragen, was sie mitgenommen hat, als uns von unten schon die Wachen entgegenkamen, die der Ladenbesitzer alarmiert hatte. Ich bin froh, dass wir uns auf der Flucht nach unten nicht alle Gliedmaßen gebrochen haben. Diese Schuhe waren ein absoluter Fehlklau.«

»Steht dir aber sehr gut, das Ensemble«, nickte Ronan anerkennend.
»Danke«, erwiderte Darrel mit einem schelmischen Grinsen. »Bei der Wahl der Robe hat Hannah definitiv ein gutes Gespür. Hoffen wir nur, dass sie bei der Auswahl dieses Schatzes ebenfalls ins Schwarze getroffen hat.«

»Das Schmuckstück ist auf jeden Fall ein Blickfang«, stimmte Ronan zu und öffnete behutsam die Klappe des Anhängers.
»Und, was verbirgt sich darin?«, fragte Darrel gespannt. Die Freude darüber, dass er seiner Konkurrentin das Amulett unbemerkt hatte entwenden können, durchströmte ihn weiterhin euphorisch. Nicht ohne Grund war er als meisterhafter Dieb bekannt.
»Nur eine Gravur«, antwortete Ronan etwas enttäuscht. »Ob sie wohl eine Bedeutung hat?«

»Das müssen wir nun herausfinden«, erwiderte Darrel mit einem breiten Grinsen. Er warf einen kurzen Blick zurück auf die Wavedancer, die mittlerweile deutlich zurückgefallen war. Das Schiff war sogar langsamer als er gedacht hatte. Es schien nicht einmal die vorteilhafte Fahrrinne der Sturmwind zu nutzen, um ihnen zu folgen. Plötzlich wurde Darrel stutzig. Er griff nach dem Fernrohr und beobachtete, wie die Wavedancer plötzlich einen völlig anderen Kurs einschlug. Dann dämmerte es ihm.

»Zum Donnerdrummel!«, entfuhr es ihm. »Die haben uns hinters Licht geführt!«

Das gekaperte Herz (ONC 2024)Where stories live. Discover now