5 | Celestiale Couture

Beginne am Anfang
                                    

Hannah lächelte nur leicht und hielt den Blick geradeaus, als sie ihm leise antwortete. »Sagen wir mal so, ich habe dieses Gewand von einer Person... bekommen, die es ohnehin nicht so ausgefüllt hat, wie ich es tue.« Darrel wollte bei dieser Beschreibung unwillkürlich einen weiteren Blick in ihren aufreizenden Ausschnitt werfen, riss sich aber zusammen und fragte amüsiert: »Ihr habt es doch nicht ungefragt mitgenommen?«

Nun kicherte Hannah gespielt übertrieben. »Aber Darrel, mein Bester, ihr scheinst damit geradezu implizieren zu wollen, dass ich eine Diebin wäre. Wie unsinnig, so etwas anzunehmen!« Nun musste Darrel lachen. Mit einem Lächeln folgte er Hannah die Straße einer kleinen Anhöhe hinauf und blieb neben ihr vor einem Bekleidungsgeschäft stehen. »Celestiale Couture?«, las Darrel laut vor.

»Wir werden da jetzt reingehen und uns umsehen. Du redest nicht und tust alles, was ich sage, okay?« Hannah wartete, bis Darrel unerwartet brav nickte. »Siehst du die Bar dort vorne? Dort treffen wir uns, wenn wir uns verlieren sollten!«

»Witzig«, meinte Darrel, »dorthin hätte es mich ohnehin gezogen, wenn ich dich losgeworden wäre.«
»Natürlich, darum habe ich sie ausgesucht. Ein Göttertempel schien mir für dich unpassend«, feixte sie.
»Und das, wo ich doch aussehe, wie ein junger Gott«, tat er empört und drehte sich, um seine Muskeln vor ihren Augen in Pose zu bringen.

Hannahs skeptischer Blick glitt über den attraktiven Oberkörper ihrer Begleitung. Dann schüttelte sie für eine Dame etwas zu heftig den Kopf. »Noch siehst du aus wie ein Halunke. Komm, folge mir unauffällig!« Mit diesen Worten deutete sie ihm an, die Tür für sie zu öffnen. Hinter Hannah betrat Darrel das Geschäft.

Der Kapitän der Sturmwind fühlte sich inmitten der luxuriösen Atmosphäre des Ladens ein wenig unbehaglich und ließ seinen Blick nervös zu den Ausstellungstücken schweifen. Über ihm hingen schwere Samtvorhänge, die das Sonnenlicht abfingen und den Raum in ein gedämpftes Glühen tauchten. Goldverzierte Schränke und Vitrinen säumten die Wände, gefüllt mit kostbarer Seide, glänzendem Brokat und feinen Leinen. Auf polierten Holztischen lagen kunstvoll gefertigte Hüte mit breiten Federn, ihre Farben reichten von tiefem Burgunderrot zu sattem Purpur. Neben ihnen stapelten sich fein bestickte Westen aus edlem Samt und Seide, verziert mit Goldfäden und Perlenstickereien, die im Licht der Kronleuchter funkelten. An hölzernen Puppen präsentierten sich maßgeschneiderte Mäntel und Jacken aus schwerem Leder, mal in gedämpften Erdtönen, mal in kräftigen Juwelenfarben, verziert mit prächtigen Schnallen und Schnüren, die die kühnsten Seefahrer beeindrucken würden. Überall im Laden wurden Accessoires präsentiert, die das Ensemble vollenden würden - von edlen Spazierstöcken mit kunstvoll verzierten Griffen bis hin zu filigran gearbeiteten Medaillons und Amuletten, die unter einer gläsernen Haube geschützt wurden.

Der Kapitän der Sturmwind spürte den Druck des Reichtums und des Überflusses um sich herum und konnte nicht leugnen, dass selbst seine raue Seemannsseele von der Versuchung des Luxus angezogen wurde. »Hannah, ich weiß nicht, ob ich hier richtig bin«, wandte er sich mit leichtem Unbehagen an seine Begleitung. Hannah drehte sich zu ihm um, ein strahlendes Lächeln auf den Lippen. »Vertrau mir, Darrel. Wir werden dich in einen Edelmann verwandeln, der jedes Herz im Sturm erobert.«

Als ein adrett gekleideter Verkäufer auf sie zukam, übernahm Hannah souverän die Führung und begrüßte ihn mit all ihrem Charme, den sie aufbringen konnte. Ihre Haltung war von Eleganz durchdrungen, als sie ihm mit einer damenhaften Begrüßung entgegentrat. »Mein werter Herr,« begann sie mit einer sanften Stimme, »ich fürchte, wir benötigen dringend Ihre Hilfe. Mein Mann wurde kürzlich überfallen und man hat ihn gezwungen, in diese charakterlosen Hosen und Hemd zu steigen! Nun sind wir auf der Suche nach einem neuen Gewand, das seinem Stand und seiner Würde besser entspricht.«

Der Verkäufer nickte verständnisvoll und folgte ihrer Erklärung aufmerksam. Sein Blick glitt kurz zu Darrel, der sich ein wenig verloren fühlte, aber dennoch entschlossen war, sich auf das Abenteuer einzulassen. Auch wenn ihm nicht gefiel, wie Hannah ihn hier gerade vorführte. Wäre er tatsächlich in einen Kampf verwickelt gewesen, wäre er sicherlich als Sieger hervorgegangen und hätte sich nicht all seine Sachen abnehmen lassen! Aber dafür würde er sich später revanchieren.

Hannah fuhr, tief in ihrer Rolle angekommen, fort: »Es wäre mir eine große Ehre, wenn Sie uns dabei behilflich sein könnten, ihn genauso adrett anzukleiden wie sich selbst. Ihr Geschmack und Ihre Expertise sind unübertroffen, und ich bin sicher, dass Sie genau das Richtige für ihn finden werden.«

Der Verkäufer lächelte geschmeichelt und versprach, sein Bestes zu geben, um Darrel in einen wahren Gentleman zu verwandeln. Er führte Darrel mit einer Auswahl exquisiter Kleidungsstücke in die Kabine und half ihm, sich in sie zu kleiden. Als Darrel sich im Spiegel betrachtete, fühlte er sich plötzlich wie ein ganz anderer Mann. Die edlen Stoffe schmiegten sich an seinen Körper, und er konnte das Selbstvertrauen regelrecht in sich aufsteigen spüren. Es war, als würde er die Rolle des wohlhabenden Edelmanns mit jeder Faser seines Seins einnehmen.
Als Darrel aus der Kabine trat, spiegelte sich in Hannahs Augen eine stille Anerkennung wider. »Sehr adrett«, lobte der Verkäufer und reichte Darrel ein paar passende Stiefel. Darrel schlüpfte hinein und betrachtete sie eingehend. Sie waren von ausgezeichneter Qualität und verströmten einen Hauch von Eleganz. Doch Darrel bemerkte sofort, dass sie eine Nummer zu groß waren und mit kleinen Absätzen versehen waren, mit denen er sich nicht ganz wohl fühlte.

Bevor er eine Antwort geben konnte, durchzuckte ein lauter Seufzer die Luft, und Hannah hielt theatralisch ihre Hand an die Stirn. »Oh, was ist mit mir?«, fragte sie mit zittriger Stimme. »Alles verschwimmt vor meinen Augen.«

In einem Anflug von Besorgnis wandte sich Darrel sofort dem Verkäufer zu. »Verdammt, tun Sie doch etwas!«, brüllte er vor Aufregung, während der Verkäufer nervös nickte und sich hastig umsah. »Warten Sie, ich hole Ihnen ein Glas Wasser!«, versprach er und eilte ins Hinterzimmer.

Darrel wollte sich gerade Hannah zuwenden, um ihr beizustehen, als sie schon aufsprang und ihn zischend aufforderte: »Raus hier!«
Darrel schien einen Moment zu brauchen, um die Situation zu erfassen, während Hannahs Herz vor Aufregung pochte. Sie griff nach seiner Hand und zog ihn energisch hinter sich durch die Ladentür. Das penetrante Glöckchen, das ihren Besuch angekündigt hatte, hallte nun in ihren Ohren wider und alarmierte unweigerlich den Verkäufer. Mit einem Glas Wasser in der Hand stürmte er in den Verkaufsraum, gerade rechtzeitig, um die beiden Verbrecher dabei zu beobachten, wie sie hastig den Berg hinaufliefen, während sie an seinem Schaufenster vorbei flohen.

Das gekaperte Herz (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt