32. Wie geschmiert

23 5 3
                                    

»Da bist du ja!«, schreit mir Anthony ins Ohr und fällt mir in die Arme. Er scheint, etwas angeschwipst zu sein und würde mich am liebsten nicht mehr loslassen.

Nachdem ich mich im Bad wieder in Lilly verwandelt und Alisons Klamotten in einem Wäschekorb versteckt habe, holte ich mir ein Getränk und stellte mich zur Musikbox.

Ich befreie mich aus der Umarmung und schiebe meine große Brille etwas nach hinten. Wir gehen Richtung Küche, wo die Musik nicht so laut ist. »Wo soll ich auch sonst sein?«, frage ich etwas sarkastisch.

»Jaja«, winkt Anthony ab, »hast du Alison schon getroffen?« Seine Augen leuchten auf und ich schüttel den Kopf.

»Nein, aber ich hab sie gesehen«, gebe ich zu.

»Bist du sie nicht begrüßen gegangen?«, fragt Anthony etwas stutzig mit einem undeutbaren Blick.

»Nein, natürlich nicht!« Meine Augen weiten sich vor Fassungslosigkeit und schüttel meinen Kopf noch stärker. »Was hätte ich denn sagen sollen? Hi, ich bin Lilly, deine Doppelgängerin

Anthony lacht auf und überdreht die Augen. »Das ist so typisch für dich. Komm, wir gehen sie suchen!«

Ohne die Möglichkeit zu protestieren, zieht mich Anthony mit sich ins Wohnzimmer, wo sich die meisten Leute versammeln. Suchend schweift sein Adlerblick über die Menschen, doch er findet die dunkelhaarige Alison nicht. Er kann sie auch nicht finden, dennoch tue ich es ihm gleich.

»Siehst du sie?«, frage ich interessiert und Anthony zuckt mit den Schultern.

»Nein, sie kennt hier niemanden. Vermutlich hat sie gerade Smalltalk in der Küche.«

Ich nicke, doch innerlich irritiert mich Anthonys Verhalten. Er scheint, sich im Klaren zu sein, dass er Alison nicht finden wird, dennoch beobachtet er die Partygäste wie ein Löwe seine Beute.

»Du kannst mir übrigens gerne helfen«, fordert er mich auf.

Verwirrt lege ich meine Stirn in Falten. »Womit denn?«

Anthony stößt ein verächtliches Schnauben aus, so als wäre es offensichtlich, was seine Mission ist. »Wir suchen einen heißen Typen für dich oder zumindest einen für mich«, erklärt er lässig.

»Einen was?«, frage ich verdutzt, so als hätte ich mich verhört, doch Anthony verfolgt schon länger den Plan, mich zu verkuppeln.

»Du hast mich schon verstanden«, sagt Anthony spitzbübisch in meine Richtung. Na toll, Anthonys Verkupplungsversuche habe ich gerade noch gebraucht. Nach wenigen Sekunden scheint er jemanden entdeckt zu haben. »Komm!«, fordert er mich auf und zieht mich an meiner Hand in die Mitte des Raumes.

Ich überlege mir bereits eine gute Ausrede, um den von Anthony auserkorenen Traumprinzen zu entkommen. Durchfall? Oder vielleicht etwas Ansteckendes?

Zum Glück muss ich nichts davon anwenden, denn er hat nur ein bekanntes Gesicht in der Menge gefunden. Chris.

Wir begrüßen uns kurz und Anthony fragt ihn nach Alison. Natürlich hat er sie nicht gesehen. Es dauert nicht lange und Ness gesellt sich zu uns.

»Diese Party ist ja mega langweilig«, beschwert sie sich und lehnt sich an Chris, um sich den Knöchel zu reiben. Die hohen Schuhe müssen neu sein. »Wer kommt auch auf die Idee in einer winzigen Wohnung eine Party zu feiern?«

Chris überdreht kaum merklich die Augen und verschränkt die Arme vor der Brust. »Du wolltest ja unbedingt kommen«, erinnert er Ness, doch sie winkt ab.

»Da hab ich noch nicht gewusst, in welcher Hundehütte dieser Brandon wohnt«, führt sie ihr Meckern fort.

Bei jedem Wort aus ihrem Mund muss ich mich beherrschen, um ihr nicht zu widersprechen. »Also ich find's ganz nett hier«, werfe ich stattdessen unkonfrontativ in den Raum. Das Apartment ist liebevoll eingerichtet, mit flauschigen Teppichen am Boden und große Fotoabzüge an den Wänden.

Ness lacht verächtlich auf und rümpft die Nase. »Du hast recht. Im Vergleich zu deinem vollgeräumten Loch ist diese Wohnung beinahe ein Manhattan Apartment.« Amüsiert hält sie sich die Hand vor den Mund und kichert. Als weder Anthony noch Chris miteinstimmen, überdreht sie die Augen. »Kommt schon! Das war ein Spaß...«

Mir hingegen ist nicht zu lachen und auch Chris scheint so zu empfinden, denn er mischt sich ein: »Jemand anderen runterzumachen, ist nicht lustig, Ness. Ich hab dir schon mal gesagt, dass du meine Freunde in Ruhe lassen sollt«.

Als Alison das letzte Mal auf Chris getroffen ist, hat er ihr gesagt, dass er mit Ness Schluss gemacht hat, beziehungsweise machen wird. Wie der aktuelle Stand der Dinge ist, weiß ich nicht. Immerhin klebt sie schon den ganzen Abend an Chris. Er sagt zwar nichts dagegen, doch seine ablehnende Körperhaltung versteck er auch nicht.

Ness gefällt Chris Konter gar nicht. »Warum verhältst du dich in letzter Zeit so seltsam?«, fragt sie mit Provokation in der Stimme.

Gleich fliegen wieder die Fetzen und darauf habe ich keine Lust. Ich tausche einen gespannten Blick mit Anthony aus und er versteht.

»OMG! Gina, bist das wirklich du? Hiii!«, flötet Anthony ohne Vorwarnung und verlässt unsere Gruppe, um ein rothaariges Mädchen zu begrüßen. Na toll. Und schon wieder hat er mich stehen lassen.

Ness' verurteilender Blick verfolgt ihm kurz, doch richtet sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf Chris. »Du bist respektlos mir gegenüber!«

Chris atmet erschöpft aus. Wie kann er Ness überhaupt ertragen? Nach einem entschuldigenden Seitenblick zu mir packt er Ness am Arm und zieht sie weg. Vermutlich will er ungestört mit ihr reden und eine Szene vermeiden.

Mir kann das nur recht sein, denn das bedeutet, dass ich mich in Ruhe in Alison verwandeln kann. Bis jetzt läuft alles geschmiert, doch will ich mich nicht zu früh freuen und unachtsam werden.

Nach dem Outfitwechsel und dem Auftragen von gut 3 kg Make-Up sitze ich wieder in der Küche. Ich habe mir eine Cola geholt und bin ins Gespräch mit Dean gekommen, einem von Chris Freunde, die ich als Alison kennengelernt habe.

Die Unterhaltung ist oberflächlich, doch ich bin froh, dass ich nicht alleine auf's Handy starren muss.

Plötzlich spüre ich zwei Hände an meinen Oberarmen. Dean unterbricht seinen Satz und sieht mit einem breiten Lächeln nach oben. Es ist Chris, der mir schützend die Oberarme streichelt. Ein warmes Gefühl durchfließt meinen Körper.

»Darf ich mich zu euch setzen?«, fragt er charmant und rückt schon zu mir auf die Bank.

»Natürlich«, antworte ich und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Dean entschuldigt sich sogleich und lässt uns alleine.

Chris rutscht näher an mich heran und legt eine Hand unter dem Tisch auf meinen Oberschenkel. Die anfängliche Wärme verwandelt sich augenblicklich in Hitze und zucke etwas zusammen. Nicht, weil mir die Nähe nicht gefällt, aber weil mich die Paranoier überkommt. Sitzt die Perücke richtig? Ist das Make-Up stark genug?

»Oh sorry!« Chris bemerkt meine Anspannung, nimmt seine Hand von meinem Oberschenkel und rutscht etwas weiter weg. »Ich hab mich nur so gefreut, dich zu sehen.«

Ich schüttel den Kopf. »Nein, es ist schon okay. Ich freu mich auch«, erwidere ich und greife unter dem Tisch nach seiner Hand. Chris huscht ein schüchternes Lächeln über die Lippen.

Wir unterhalten uns entspannt und ich hätte ewig mit ihm sprechen können und heimlich seine Hand unter dem Tisch halten. Allerdings dauert es nicht lange und Anthony gesellt sich zu uns. Anders als Chris vorhin, setzt er sich einfach zu uns.

»Chris, kannst du mal kommen?«, fragt er, ohne mich zu beachten. »Meine Schwester hat draußen ein Problem mit einem Typen, der sie nicht in Ruhe lässt. Ich glaube, du kennst ihn.«

Das Lächeln erlischt auf seinen Lippen. »Oh, natürlich. Bin gleich bei dir«, antwortet er besorgt und Anthony nickt zufrieden. Chris wendet sich mir zu. »Ich bin gleich wieder bei dir, okay?«

Ich nicke und er steht auf, wobei er jedoch an meiner Hand noch für einen kurzen Augenblick festhält. Die Geste ist zwar klein, doch reicht es aus, um es in meinem Bauch kitzeln zu lassen. Ich würde das Gefühl gerne genießen, doch kann ich es nicht.

Anthony hat nämlich keine Schwester.

Dafür gibt es nur zwei mögliche Erklärungen. Er hat Lilly nichts von seiner Schwester erzählt, was absolut ausgeschlossen ist. Also bleibt nur eine Option übrig: Es war eine Ausrede, um Chris von mir wegzulocken.

Doch warum?

Me, my Lover and I ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt