Zu spät

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Mit schwerem Kloss im Hals, näherte sich Doktor Henny Wenzel dem Krankenwageneingang der Klinik und sah die Kriminalhauptkommissarin Esther Baumann mit dunklem Gesicht am Rande des Platzes stehen, um nicht das alltägliche Geschehen zu stören.

„Henny...", begrüßte die Polizistin sie und Henny nickte nur kurz, während sie zur Seite trat, als ein Krankenwagen sich dem Eingang näherte.

„Keine Sirenen...keine Hektik...sagen Sie mir nun bitte nicht, dass..." Esther schüttelte auf Hennys Vermutung mit dem Kopf. „Nein...Er ist bereits im OP. Pia ist bei Adam und Maria.", antwortete sie und Henny atmete tief durch.

„Dann nehme ich an...ist in dem Wagen der Grund warum..." Esther nickte.

„Die Klinik hat uns darum gebeten, Sie kommen zu lassen, damit keine Spuren aus Versehen beseitigt werden. Das Klinikpersonal ist unterbesetzt und aufgrund eines größeren Autounfalls im Stress. Die Aufmerksamkeitsspanne scheint ein wenig beeinträchtigt zu sein. Man will auf Nummer sicher gehen."

„Esther...was zur Hölle ist passiert? Sie waren sehr kurz angebunden am Telefon..." Zum ersten Mal löste sich der Blick der Ermittlerin von dem Krankenwagen und richtete sich an Henny. Sie atmete kurz durch.

„Gemäß Maria hatten Adam und Leo sie wie abgemacht von ihrem Zuhause abgeholt, damit sie anschließend uns im Büro vorgestellt wird. Während dieser Fahrt kam eine Notfallmeldung über Funk rein, dass jemand einen Mordanschlag gemeldet hätte und die Drei waren in der Nähe. Die Männer übernahmen und als sie dort ankamen, rannte eine Mutter mit ihrer Tochter aus einem Wohnhaus und beide waren blutüberströmt, in voller Panik, allerdings unverletzt. Während Maria sich sofort um die Zwei kümmerte und ins Auto holte, rannten Leo und Adam bewaffnet in das Gebäude und fanden einen jungen Mann, niedergeschossen im Treppenhaus. Während sich Leo um den Mann kümmern wollte, stürmte Adam weiter und anscheinend war ihm Leo nach Absetzen eines weiteren Notrufs, gefolgt...und anscheinend war der Bastard, die Bastardin oder die Bastarde, gemäß Maria waren es anscheinend zwei, noch im Haus und Leo hatte es gerade noch geschafft, Adam aus der Schusslinie zu stoßen...jedoch konnte die anschließende Verwirrung für eine Flucht genutzt werden!"

„Die Mutter und die Tochter?"

„Wurden bereits einem Trauma-Team übergeben, sobald sie stabil genug für eine Vernehmung sind, werden wir informiert.", antwortete Esther und rieb sich die Schläfe, „und Leo wird, wie bereits erwähnt, gerade operiert. Scheint allerdings ein kritischer Eingriff zu sein. Die Kugel sei in ein Areal eingedrungen, dass sehr heikel ist."

Henny folgte Esthers Blick, nachdem der Krankenwagen zum Stehen kam und die Türen des Hecks geöffnet wurden. Zwei Sanitäter stiegen mit versteinerten Mienen aus und klappten die Rampe herunter. Auf der Rolltrage, lag ein regungsloser Körper. An diversen Stellen des Körpers, hingen noch lose Kanüle oder nicht eingesteckte Anschlüsse.

„Wissen wir schon den Namen?"

„Julius Kästner. 20 Jahre alt. Gemäß den letzten Informationen der Schwarm, oder Freund der Tochter."

Ohne Eile, hievten die Sanitäter, die Rolltrage aus dem Wagen und nun konnten die beiden Frauen auch erkennen, dass bereits der Intubationsschlauch entfernt wurden.

Auf den fragenden Blick der Sanitäter hin, nahm Esther ihren Ausweis hervor. „Hauptkommissarin Baumann. Das ist Doktor Henny Wenzel."

„Ah, die Kollegin die auf unseren Wunsch hin gerufen wurde. Danke, dass Sie gekommen sind." Der Sanitäter gab beiden Frauen anständig die Hand.

„Keine Chance?", fragte Henny und blickte auf die Trage. „Nein. Die Schusswunde befindet sich direkt beim Herzen. Ich habe zwar keinen Röntgenblick, aber der Junge war schon tot als wir am Schauplatz angekommen waren. Wir hatten zwar alles versucht, aber...es war zu spät. Aller Reanimationsversuche blieben erfolglos. Wir bringen ihn zur Leichenhalle."

„Gut. Dann kommen wir mit", verstand Esther die Anspielung und nahm ihr Handy hervor. „Kurze Info an Pia?"

Auf Hennys Frage nickte Ester, tippte die Nachricht ein und drückte auf „Senden".

Hat's nicht geschafft.

„Scheiße", flüsterte Pia, als sie die Zeile gelesen hatte und spürte sofort die Blicke von Adam und Maria auf ihrer Haut. „Tot?", formte Maria mit ihren Lippen und Pia nickte langsam. Adam, der mit Maria auf der Wartebank gesessen hatte, schoss in die Höhe und war sichtlich bemüht, die Fassung zu bewahren. „Adam...", wollte Pia ansetzten doch sie, sowie auch Maria, zuckten zusammen als Adam einen kurzen, grellen Schrei ausstieß und mit der flachen Hand gegen die Wand schlug. „VERDAMMTE SCHEISSE!"

„Geiler erster Arbeitstag...", konnte sich Maria danach nicht verkneifen und Adam stemmte die Hände in die Hüfte, nachdem er sich sichtlich darum bemühte, wieder zur Ruhe zu kommen. „Kollegen bereits vor Ort?"

„Ja. Ich hatte alles sofort in die Wege geleitet, nachdem wir informiert wurden. Die Mitarbeiter der Streife suchen zusätzlich auch noch das Gebiet ab."

„Wird wahrscheinlich nichts mehr bringen. Die Verwirrung wird natürlich ausgenutzt worden sein!", seufzte Maria und Adam konnte nur kurz auflachen. „Bestimmt", stimmte er jedoch dem Neuling zu und biss sich auf die Unterlippe. „Fuck...ich hätte..."

„Hätte, hätte, Fahrradkette", unterbrach Maria, Adam sofort und dieser schenkte ihr einen kurzen, eindringlichen Blick.

„Bitte, ich habe eine siebenjährige Tochter, solche Blicke beeindrucken mich schon seit Jahren nicht mehr", bemerkte sie ungerührt und Pia musste sich sogar ein leichtes Grinsen verkneifen.

„Hat irgendwer schon eigentlich Leos Familie informiert?" Pia nickte auf Adams ablenkende Frage und Maria hielt symbolisch ihr Handy hoch. „Seine Schwester hatte mich noch angerufen. Kreuzfahrt. Sitzen mitten im Meer fest. Sie versuchen natürlich, alles umzubuchen, aber das wird ein bürokratisches Lauffeuer", fügte sie ihrer Geste hinzu.

„Apropos bürokratisches Lauffeuer", begann Pia langsam, „was, wenn eine wichtige Entscheidung getroffen werden muss...? Ich meine..."

„...Adam. Er ist in der nächste in den Kontakten!"

„Soweit wird's aber gar nicht erst kommen", zischte Adam auf Marias Antwort und massierte sich kurz das Gesicht. „Ich muss kurz raus. Informiert mich bitte, wenn es was Neues gibt, Mädels...", murmelte er, nahm eine Schachtel Zigaretten aus seiner Hosentasche und verließ ohne ein weiteres Wort den Flur.

„Daran wirst du dich gewöhnen müssen Maria...der ist immer so", seufzte Pia und Maria atmete tief durch. „Wurde schon vorgewarnt!", entgegnete sie und klopfte sich auf die Oberschenkel, „Und ich werde mich darum kümmern. Darf ich dich für ein paar Minuten alleine lassen?" Pia verstand worauf Maria herauswollte und lachte leise falsch auf. „Viel Glück", gab sie nur als Antwort und Maria legte kurz eine Hand auf die Schulter ihrer neuen Kollegin, bevor sie ebenfalls hinauslief.

In der Raucherzone des Eingangs, stand Adam alleine am Aschenbecher und zog so stark an der Zigarette, bis das glühende Ende kirschrot leuchtete.

Maria lief auf ihn zu. „Kommt jetzt der Vortrag, dass das Rauchen ungesund ist?" Auf Adams Frage hin grinste Maria nur kurz, öffnete die Brusttasche ihrer Lederjacke und zog eine Vape hervor. „Die Zeit vor, während und nach der Schwangerschaft hatte ich durchgehalten. Und nach der Stillzeit wollte ich nicht wieder vollends zurückfallen, aber Kindeserziehung ist halt stressig...", erklärte sie auf Adams verdutzten Blick und zog an dem Gerät, bis sie anschließend der Wasserdampf wieder ausblies.

„...und da kehrst du wieder in die Arbeitswelt zurück und das in der Mordkommission?", konnte sich Adam den Kommentar nicht verkneifen und Maria zuckte mit den Achseln. „Du wirst lachen, aber das ist mein Ausgleich."

„Hm...du bist mit Leo befreundet, sollte mich eigentlich nicht verwundern..."

„..., weil du sein bester Kumpel bist?", verstand Maria die Anspielung sofort und Adam erwiderte nichts. Er starrte in die Leere und nahm einen weiteren Zug seiner Zigarette. „Sorry, dass wir dich da in einen solchen Arbeitstag geschickt haben..."

„Konntet ihr ja nicht ahnen. Und du konntest nicht ahnen, dass die Typen, die Weiber oder wer auch immer, auch gleich das Feuer eröffnen...", packte Maria gleich die Chance und Adam atmete tief durch. „Hilft nur Leo nix...", knurrte er, blies den Rauch aus und tippte angesammelte Asche in den Becher.

„Er wird's schaffen", sagte Maria sanft und Adams Blick wurde starr und dunkel. „Besser ist es, ich will mir nämlich nicht vorstellen, was ist, wenn nicht..." 

Tatort Saarbrücken: Aus GierWhere stories live. Discover now