Intro: Eine Armlänge

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Adam Schürk wollte schreien.

Er wollte seinen Mund weit aufreißen und seine Stimmbänder bis aufs Äußerste provozieren.

Er wollte seinem Schrecken eine Geltung verleihen; der Welt teilnehmen lassen, wie sein kleiner, fragiler Frieden wieder zusammenbrach.

Doch seiner teergeplagten Lunge war die Luft weggeblieben, als er mit voller Wucht auf die Brust gefallen war. Mehr wie ein schwaches Ächzen, wurde ihm also nicht gestattet.

Umso weiter waren dafür seine Augen aufgerissen. Die zitternden Pupillen hatten sich nur auf eine einzige Person fokussiert.

Sie hatten sich auf seinen Partner und Freund aus Kindheitstagen, Leo Hölzer, gerichtet.

Eine Armlänge entfernt, lag der junge Kriminalhauptkommissar auf dem Rücken.

Eine Armlänge die weit genug gewesen war, um jemanden aus einer Gefahrenzone, wie eine Schusslinie, zu stoßen.

Eine Armlänge, die eine solche Wucht aufbauen konnte, so dass jemand sich beinahe um 180 Grad um die eigene Achse drehte und bäuchlings auf dem Boden aufklatschte.

Eine Armlänge, die Adam Schürk das Leben gerettet hatte.

Eine Armlänge, die aber auch drohte ihm das zu nehmen, wofür er all die Scheiße der letzten Jahre überstanden hatte.

„Leo..."

Nachdem Adam seine Stimme wieder fand, wanderten Leos blaue Augen von der Decke, zu ihm. Wie auch die seinen, waren die Spiegel der Seelen von Adams besten Freund weit aufgerissen. Zwar teilten sie sich den Ausdruck der puren Angst, doch während es bei Adam die Angst vor einem drohenden Ereignis war, war es bei Leo eine gänzlich andere Furcht: Die Furcht vor dem Tod.

Obwohl aber Leo diese Furcht so deutlich, mimisch dargestellt hatte, schien sein Mund einen Satz formen zu wollen, der Adam endlich aus seiner Schockstarre riss. Er konnte nämlich erkennen, wie Leo versuchte ihn zu fragen, ob er unverletzt sei, doch anstatt der angenehmen, hellen Stimme, erklang zunächst ein Gurgeln, dann ein Husten und rote Partikel schossen aus Leos Kehle in die Luft. Aus dem Mundwinkel quoll ein dickes, dunkles Rinnsal, der sich über Leos Wange schlängelte.

„Nein...nein, nein, nein!"

Mit einem kräftigen Aufstemmen, war Adam auf seinen Füssen und überschritt die Armlänge, die ihn von Leo trennte. Während dieser Aktion, zog er sich sein blaues Überziehhemd aus, faltete es zusammen und nachdem er sich neben Leo hingekniet hatte, drückte er dieses auf den roten Fleck, der sich auf Leos Brust gebildet hatte.

Zu Adams Schrecken musste er auch noch feststellen, dass auch unter Leos Rücken, sich begann eine Lache zu bilden. Obwohl er es sich nicht eingestehen wollte, so spürte Adam immer mehr, wie er überfordert war. Alles was er sah, verlangten mehrere Hände und mit seinen zwei Eigenen, konnte er nicht alles erledigen.

In dem Moment, als er den Druck erhöhen wollte, damit er eine Hand benutzen konnte, um sein Handy hervorzukramen, hörte er eine Frauenstimme im Hintergrund.

„Ja genau! Krämergasse 14! Die Kollegen wurden bereits über den Vorfall informiert und die Ermittlungen sind eingeleitet! Ich befürchte jedoch das..."

Die Stimme erstarb und die eiligen Schritte, die immer näherkamen, stoppten sofort.

„Streichen Sie das mit der Befürchtung! Kollege verletzt! Hoher Blutverlust!"

Sie begab sich zur freien Seite und überblickte die Situation.

„Durchschuss in der Brust nahe Sternum. Sagen Sie Ihren Kollegen, dass sie die Drosselung des Krankenwagens sofort rausnehmen sollen!"

Mit diesen Worten hängte sie auf, schmiss das Handy achtlos auf den Boden und schnappte sich eines der Kissen, die auf der gegenüberliegenden Couch lagen.

Unter Adams verwirrtem Blick, öffnete sie die Schnalle ihres Gürtels und zog diesen in einer Bewegung von der Jeans.

„Als ich dir gesagt habe, dass ich einen spannenden ersten Tag haben will, hatte ich nicht sowas gemeint!", richtete sie sich mit gar mütterlicher Stimme an Leo, der sie angesehen hatte, „Hör zu, Adam und ich heben dich kurz an, da wir die Blutung stillen müssen. So weh es auch tut, du klappst uns nicht weg, verstanden?!" Leo nickte zitternd und war sichtlich bemüht, zu atmen. Das Haar klebte inzwischen wegen des Schweißes an der Stirn. Die Haut begann immer mehr an Farbe zu verlieren und die Lippen waren aschfahl.

„Was hast du vor?"

„Siehst du gleich!", antwortete sie auf Adams Frage und zählte von drei hinunter, bevor sie und Adam Leos Oberkörper anhoben. Eiligst, legte sie das Kissen an den Rücken des Verwundeten und zurrte dies mit dem Gürtel fest. Während dieser Aktion, musste Leo immer wieder husten und weitere, rote Partikel wurden in die Luft geschleudert. Es klang rau, schleimig und so schmerzhaft, dass sich weder die Frau noch Adam, verkneifen konnten, das Gesicht mitleidend zu verziehen.

„Okay, wir haben's!", kündigte sie an und legte Leo sanft auf den Rücken zurück, während Adam sich wieder darauf konzentrierte, die Blutung an der Brust abzudrücken.

„W-Wahnsinnig...", brachte Leo keuchend hervor und Adam wusste sofort, dass die Frau gemeint war.

Denn sie war, wie auch er, ein Zeugnis von Leos Vergangenheit. Im Gegensatz zu ihm jedoch, war sie eine positive Entwicklung gewesen.

Maria Schimke war nämlich in Leos Leben getreten, nachdem der ganze Mist mit Adam und seinem Vater passiert gewesen war. Zunächst war sie eine gute Freundin von Leos Schwester gewesen – doch im Laufe der Jahre änderte sich das. Inzwischen, gehörte sie zu Leos engem Freundeskreis.

So eng, dass Leo sich stark machte, dass sie als beratende Profilerin für ein Pilotprojekt nun zu seinem Team gehörte.

„Die Zwei waren schon lange weg und die Familie ist in Sicherheit! Ich hab's einfach nicht mehr ausgehalten. Ich weiß, ich gehör nicht zu der Action-Abteilung, aber Lilly würde mich steinigen, wenn sie erfahren würde, dass ich ihren geliebten Patenonkel einfach im Stich gelassen hätte!"

Im Gegensatz zu Leo, Adam, Pia und Esther, stand Maria fest im Leben. Verheiratet, ein Kind und nun Rückkehrerin ins Berufsleben, nachdem sie lange wegen ihrem Mann zurückgesteckt hatte. Mit Mitte 30, neu durchstarten als Doktorin der Psychologie und beratende Profilerin.

Leo versuchte zu lächeln, doch in seinen Augen begannen sich Tränen zu sammeln und zu Adams und Marias Schrecken, flackerten die Lider.

„Leo, nein!", mahnte Adam sofort und Maria gab ihm sofort einige sanfte Klapse auf die Wange. „Wer von uns du anguckst, ist mir so was von egal! Mich, Adam oder auch uns Beide gemeinsam; aber die die Augen bleiben offen, hast du mich verstanden?", sprach sie forsch. „Versuch's...versuch's", keuchte Leo und riss die Augen beinahe ins Unermessliche auf, während sich die Pupillen begannen, auf Adam zu fokussieren.

„Hätte den Funk nicht annehmen sollen...tut mir leid!", ächzte er und Adam schüttelte schnell mit dem Kopf. „Halt die Klappe, das war die richtige Entscheidung. Ich bin der Vollidiot, der nicht aufgepasst hat!"

Adam zuckte kurz zusammen, als er merkte, dass seine Hände von dem provisorischen Druckverband weggenommen wurde. Als er auf die Szenerie blickte, sah er, wie Maria dies übernahm. „Halt ihn wach", formte sie mit den Lippen und Adam nahm Leos Gesicht in seine nun freien Hände.

„Hast du Schmerzen?"

„Nein...Druck...alles taub...", japste Leo als Antwort und drohte wieder bewusstlos zu werden, doch Adam reagierte sofort und klatschte ihm sofort auf die Wange.

„Leo Hölzer, du kippst und stirbst mir hier nicht weg, klar?!", schrie Adam beinahe und Maria erhöhte den Druck auf die Wunde, da sie feststellte, dass das Blut wieder stärker durch den Stoff suppte. Zudem spürte sie Leos Brustkorb unter ihren Händen beben, da der Atem immer mehr begann, stockend zu werden.

„LEO!", drohte Adam nun beinahe, da Leos Lider wieder zu flackern und fallen begannen. „Leo, komm schon!", flüsterte Maria mit zitternder Stimme und atmete scharf ein, als sich Leos Augen schlossen. „WO BLEIBT DER SCHEISS KRANKENWAGEN?!"

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