8. Falsche Schlange

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Ich muss mich überwinden, allein zu diesem Footballspiel zu gehen. Als Alison sitze ich einsam in der tobenden Menschenmenge und verfolge das Spiel. Da jeder auf die Ereignisse am Feld fokussiert ist, bemerkt niemand, wie nervös ich bin.

Die Stimmung auf den Tribünen ist ebenfalls angespannt, da unser Team der Seadale High hinten liegt. Auch wenn ich kein Football-Fan bin, kenne ich als Amerikanerin die grundlegenden Regeln unseres Nationalsports.

Dennoch kann ich das Geschehen am Feld nicht werten. Während ich kaum erkenne, welches Team am Zug ist, kommentiert Lee Jordan munter das Spiel. Zumindest nehme ich das an. Er kann genauso gut über ein anderes Spiel reden. Ich würde es nicht bemerken.

Ich hoffe, dass Chris später nicht über die Spielzüge sprechen möchte. Das könnte peinlich werden, wenn ich nichts zu sagen habe.

Allerdings habe ich mir das selbst eingebrockt. Ich wollte Infos sammeln, um als Lilly einen Vorteil zu habe. Hier sitze ich nun in meinem engen Top und der zerrissenen Hose.

Auch wenn mich die Nervosität fast umbringt, kribbelt es in meinem Magen vor Aufregung. Es gleicht dem Gefühl, ein spannendes Buch zu verschlingen.

Die Identität von Alison ist wie ein Schutzschild. Ich kann machen, was ich will, und es hat keine Auswirkungen auf mein echtes Leben. Zuvor hat Angst vor Ablehnung mein Leben bestimmt. Sie hat verhindert, dass ich innerhalb meines gewohnten Umfeldes erblühen konnte. Jetzt ist es etwas anderes.

»Uuuund Touchdown! Quarterback Sinclair wirft einen Traumpass zu Tight-End Gipson, der die Lücke in der gegnerischen Defense findet und die Aufholjagd mit einem Touchdown beginnt. Können sie noch in Führung gehen?«, schreit Jordan ins Mikrophon und die Leute um mich springen in die Höhe. Laute Jubelrufe ertönen und ich muss mich zusammenreißen, um nicht ängstlich zusammen zu zucken. Auch am Feld herrscht große Freude. Unsere Spieler fallen sich in die Arme und geben einander einen wohlwollenden Klaps auf die Helme.

Chris jedoch nimmt seinen Helm ab, entfernt sich von seinem Team und kommt in die Richtung der jubelnden Zuseher. In meine Richtung.

»Sinclair läuft zu den Cheerleadern. Vermutlich will er den Touchdown seiner On-Off-Liebe Ness Thompson widmen«, prophezeit Jordan, welcher bekannt dafür ist, die Zuseher mit Klatsch und Tratsch zu versorgen.

Überrascht recke ich meinen Kopf, um besser zu den Cheerleadern und somit zu Ness sehen zu können. Diese läuft bereits jubelnd in ihrer kurzen roten Uniform aufs Feld. Als Ness vor ihm zum Stehen kommt, macht Chris einen großen Bogen um sie. Verdutzt dreht sie sich zu ihm um und ich kann auf der Videoleinwand sehen, wie ihr helles Lächeln erlischt.

»Unglaublich! Liebe Damen und Herren, der Quarterback geht nicht zu Ness, sondern zu einer anderen. Die Glückliche soll kurz die Hand heben, dann kann ich-« Lee Jordan verstummt. Die alte Madame Gonk nimmt dem Plappermaul das Mikrofon ab und sorgt für Ruhe.

Suchend lässt Chris seine Augen über die Zuschauer gleiten, bis sich unsere Blicke treffen. Er winkt in die Menge.

Nein, er winkt zu mir. Als ich das realisiere, rutscht mir mein Herz in die Hose. Erschrocken drehe ich mich um, um sicherzugehen, dass er wirklich mich meint, doch niemand sitzt hinter mir. Zögernd winke ich zurück.

Einige Menschen folgen Chris' Blick und drehen sich zu mir um. Da ich Chris zurückwinke, entsteht ein Getuschel unter den Zusehern und immer mehr Leute richten ihre Aufmerksamkeit auf mich.

Das plötzliche Interesse an meiner Person lässt mich rot anlaufen. Schüchtern versuche ich, mein Gesicht mit den Haaren der Perücke zu verdecken und starre ertappt auf den Boden.

Als ich kurz den Blick aufrichte, sehe ich, wie Chris wieder zu seinem Team läuft und das Spiel fortgesetzt wird. Ich atme erleichtert auf und hoffe, dass sich die Aufregung um mich gelegt hat. Dies war aber nur bedingt der Fall.

Me, my Lover and I ✔️Where stories live. Discover now