Jeongguk nahm mehrere Treppenstufen auf einmal und stieß die Flügeltür auf, ehe er hinaus ins Freie eilte und der Schnee unter seinen Füßen knirschte. Die Kälte erschlug ihn. Aber was ihn vielmehr schockierte, war das Gesagte von Charlie.

»Scheiße«, entkam es Jeongguk und Panik machte sich rasend in seinem Inneren breit. »Verfickte Scheiße!«, wiederholte er sich und blendete dabei aus, was Charlie sagte. Sein Handy hielt er nicht mehr an sein Ohr, sondern ließ es entgeistert sinken, ohne aufzulegen. Er entdeckte drei Polizeiautos, die auf dem Schotterplatz vor dem Westflügel standen, dem Gebäude, in dem sich alles abspielte, was mit Literatur zu tun hatte. Seinem liebsten Ort der Universität. Und der Ort, an dem Professor Min jede einzelne seiner einzigartigen Vorlesungen und mitreißenden Seminare abhielt.

Die aufdringlichen und rotierenden Strahlen der Blaulichter der Polizeiautos hatten auch andere Schaulustige aus den Gebäuden gelockt und eine Traube von Studenten hatte sich bereits vor dem Eingang des Westflügels angesammelt.

Jeongguk fühlte sich vollkommen von Panik gelähmt. Er war mitten auf dem Hof im Schnee stehengeblieben, noch einige Yards von den anderen Studenten entfernt, die neugierig ihre Köpfe reckten und zu erspähen versuchten, was in dem Gebäude vor sich ging. Sie unterhielten sich laut miteinander, spekulierten, wegen wem die Polizisten hier waren.

Eine ungute, grausige Vorahnung machte sich in Jeongguk breit. Er hatte mit Professor Min — Yoongi — darüber gesprochen: was passieren würde, wenn herauskäme, was zwischen ihnen war. Liebesbeziehungen zwischen Studenten und Lehrenden waren verboten. Yoongi und er hatten es beide gewusst, aber Jeongguk hatte die Gefahr nie für real gehalten. Nie wirklich daran geglaubt, dass es eines Tages ans Licht kommen würde. Sie hatten sich so bemüht, ihre Beziehung geheim zu halten, so sehr, dass Jeongguk nicht einmal seinen engsten Freunden davon erzählt hatte. Bei jeder Lüge, die er ihnen aufgetischt hatte, um sich mit Yoongi zu treffen, hatte sein Herz vor Reue und schlechtem Gewissen gebrannt. Aber er hatte Yoongi geschworen, es keiner Menschenseele zu erzählen, und auch wenn sein Herz schwer war von den Lügen, die er unentwegt erzählte, hatte Jeongguk die Notwendigkeit dahinter verstanden und akzeptiert.

Wenn er Yoongi haben wollte, durfte es niemand erfahren. Und den Preis der Geheimhaltung war Jeongguk bereit gewesen zu bezahlen.

Aber so wie es nun aussah, hatte es jemand erfahren. Jeongguk wusste, dass Charlie es niemanden gesagt hatte, denn Charlie hatte es ihnen geschworen, sie niemals auffliegen zu lassen. Und Jeongguk wusste, dass er Charlie zu viel bedeutete, als dass er ihn diesen Schmerz antun würde.

Die Panik hatte Jeongguk immer noch fest im Griff und ließ nicht zu, dass er sich bewegte. Seine Gedanken überschlugen sich und er hörte plötzlich nichts mehr als seinen eigenen, ängstlichen und viel zu hastig schlagenden Herzschlag. Sein Atem bildete kleine Wölkchen, die vor ihm in der kalten Luft aufstiegen.

Er hatte Yoongis Leben ruiniert. Er war am Anfang des Semesters auf den Professor zugegangen, hatte ihn um Ratschläge für sein Projekt gebeten, hatte sich nach unzähligen Veranstaltungen immer wieder mit ihm unterhalten, hatte den Professor umgarnt. Bis Yoongi schließlich den Widerstand aufgegeben hatte und eingeknickt war. Jeongguk hatte sich von dem älteren Mann besinnungslos ficken lassen, immer und immer wieder. Und was am Anfang zwischen ihnen nur Begierde und Lust gewesen war, hatte sich zu so viel mehr entwickelt. Zu etwas, was Jeongguk niemals zuvor hätte erahnen können.

Doch nun schien sich die Schlinge um Yoongis Hals zugezogen zu haben. Anders konnte sich Jeongguk nicht erklären, dass die Polizisten nach ihm gefragt hatten. Irgendjemand seiner Kommilitonen, oder einer der Lehrenden, irgendjemand hatte sie auffliegen lassen und es der verfickten Polizei gemeldet.

Jeongguk spürte einen Kloß in seinem Hals und Übelkeit stieg in ihm hoch. Er hatte Yoongis Leben ruiniert. Weil er ein egoistischer Bastard war, der sein sexuelles Verlangen nicht hatte kontrollieren können, hatte er einfach so Yoongis Leben zerstört, seine gesamte akademische Karriere. Er hatte erst vor zwei Jahren seine Professur erarbeitet und hatte sich in den kommenden Jahren für die Position des Dekans der Kulturwissenschaft bewerben wollen. Jeongguk hatte nicht nur Yoongis Karriere ruiniert, die ihm immer das Wichtigste gewesen war, sondern vielleicht sein gesamtes Leben. Yoongi konnte womöglich für ihre Beziehung verurteilt werden. Er würde bitter büßen müssen.

Achilles, Come Down | ʸᵒᵒⁿᵏᵒᵒᵏحيث تعيش القصص. اكتشف الآن