6. Beta Test

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Dass mich Chris auf Ness' Party angemotzt hat, hat sich tief in meine Erinnerung eingebrannt. Den Sonntag habe ich damit verbracht, mich in meinem Zimmer einzuschließen und jeglichen Kontakt nach außen zu vermeiden. Ich bin in einem Buch versunken und in eine andere Welt geflüchtet. Nur Chloe, welche wiederholt gefragt hat, ob alles in Ordnung sei, hat meine Realitätsflucht gestört. Dabei habe ich ihr bereits auf der Nachhausefahrt alles erzählt gehabt.

Ja, Chris' Worte haben weh getan, aber ich bin nicht naiv. Was würde er schon an mir interessant finden? Warum habe ich auch geglaubt, ich könnte jemand anders sein als die seltsame Lilly Robertson?

Mittlerweile hat eine neue Woche begonnen und ich bin gezwungen die sichere Wohnung zu verlassen und an dem Chaos der Schule teilzunehmen.

Und so laufe ich zu meinem Spind. Ich hoffe, dass weder Chris noch Ness in meiner Nähe sind, womit ich vorerst Recht behalte. Kein bekanntes Gesicht, weit und breit. Beruhigend, dennoch bleiben meine Sinne geschärft.

Wie die Ruhe vor dem Sturm mit Aussicht auf großes Unheil, mustere ich meine Umgebung. Mein Adlerblick schweift durch die Gänge und meine gespitzten Ohren erfassen jeden Schritt. Ich bin so vertieft in meine Observierung, dass ich sogar vergesse, was ich aus meinem Spind holen will.

Für einige Sekunden verlasse ich den Spectator Mode und überlege, warum ich hier bin. So kommt es, dass ich nicht bemerke, wie Chris um die Ecke biegt und in meine Richtung schlendert.

Erst als er an mir vorbei huscht, bemerke ich ihn und halte gespannt die Luft an. Vor dieser Party habe ich die Nähe zwischen unseren Spinden als Vorteil gesehen, aber jetzt... Hoffentlich erkennt er mich nicht.

Ich stecke meinen Kopf gerade so weit in den Spind, um nicht seltsam dabei auszusehen. So kann ich die Gespräche von Chris und seinen Freunden leicht belauschen.

»Hört auf, über die Kleine nachzudenken! Konzentrier dich lieber auf Ness, Chris«, höre ich einen seiner Freunde, Jasper, sagen.

»Das mit Ness... Das ist endgültig vorbei.« Chris klingt erleichtert, als wäre er froh, es endlich laut auszusprechen. Zu gerne hätte ich mehr Informationen über die beiden.

»Ja, aber es hilft dir nichts, an dieser Ashlee zu hängen. Du hast zwei Sätze mit ihr gesprochen und nicht mal ihre Nummer. Denk lieber an das Spiel!«

»Sie hieß Alison«, entgegnet Chris nüchtern.

Warte, was? Er denkt an mich? Nein, ihm schwebt Alison im Kopf herum. Alles bezüglich meiner Person hat er hoffentlich vergessen.

Ich schüttel ungläubig den Kopf und lache in mich hinein. Alison hat es ihm echt angetan, obwohl sie nur ein paar Worte ausgetauscht haben.

Wenn ich die Perücke aufsetze und hier auftauche, würde Chris mich ansprechen? Könnte das der Beginn unserer Liebesgeschichte sein?

Ich muss schmunzeln, doch hasse ich mich gleichzeitig dafür. Über eine Lovestory mit Chris nachzudenken hat seinen Reiz, auch wenn mir die Absurdität bewusst ist.

Als Alison kann ich mich mit ihm ungezwungen unterhalten und vielleicht etwas kennenlernen. Auf diese Weise würde es mir als Lilly leichterfallen auf ihn zuzugehen.

Ich versuche, den Gedanken zu verdrängen, aber es hilft nichts. Mein verträumter Kopf hat bereits eine Entscheidung getroffen: Ich werde die dumme Perücke aufsetzen und als Alison auftauchen.

»Bis später, Leute«, verabschieden sich die Freunde und gehen in ihre Klassen.

Am Mittwoch ist Football Training. Also die perfekte Zeit für Alison, sich auf die Tribünen zu setzen und wie durch ein Wunder auf Chris zu treffen.

Me, my Lover and I ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt