3 - Kirie beugt sich schlechten Gewohnheiten

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"Oh. Mein. Gott. Sie sind sooooo süß! Ich fasse es nicht, dass so etwas niedliches existiert!" Einen Moment lang wollte das Gequietsche das Mädchens sämtliche Geräusche im Laden übertönen, aber das mochte daran liegen, dass sie immer noch direkt neben Kirie stand und nun gemeinsam mit ihrer Freundin in ihr Ohr gackerte. "Ehrlich, ich kann mich kaum entscheiden. Die blöde Glasscheibe... ich will doch nur meine Hand reinhalten und schauen, welches am flauschigsten ist!"

Die Flauschigsten, von denen Kiries ungebetene Nachbarin sprach, waren kleine, plüschbedeckte Greifen mit großen Knopfaugen und Hasenöhrchen, die sich neugierig die roten Näschen an der Scheibe plattdrückten. Es war, als hätten sie nicht die geringste Angst vor der Meute von Kindern, die davor kreischten, aww-ten und ihre Eltern mit großen Augen anbettelten. Vielleicht hatten sie die ja auch nicht. Vielleicht, dachte Kirie und sah mit seltsamen mem Gefühl in der Magengegend zu den Greifenhäschen, sind sie nicht nur super-niedlich, sondern auch super-zutraulich.

Desneys Begleiter aus einer anderen Welt', verkündete das Schild über dem Laden, der sich mit rustikaler Hexenhaus-Optik gar nicht ganz einfügen wollte in die prunkvolle Themenwelt des Desney Megastore. 'Finde den Daemonen, der zu dir passt!' hieß es in glimmenden Lettern darunter, und Kirie musste sich abhalten, nicht die Augen zu verdrehen, wenn sie es sah. Daemonen war ein absolut dämlicher, unwissenschaftlicher Begriff, und es war furchtbar, wie weit er sich im popkulturellen Verständnis durchgesetzt hatte.

Davon ab waren es nicht einmal echte Daemonen. Das hier war die hochgezüchtete, ausgesuchte Desney-Variante, mit Kulleraugen, Schmusereflex und einer Größe, die die eines kleinen Hundes nicht überschreiten durfte. Sie waren vermutlich auch stubenrein und unkompliziert, und wenn sie fraßen, dann fraßen sie nur das Desney-genehmigte Futter für Demonpets(TM) und wenn man sie in einer speziellen Farbe haben wollte, dann wurde das nächste, ausgesuchte Knuddelwesen gezüchtet, dass nur existierte, um als extravagantes Spielzeug für reiche Kinder zu dienen.

Irgendwie fühlte sie sich müde, als sie auf die Greifenhäschen starrte, und es lag nicht nur am Geplärre neben ihr. Kirie richtete sich auf und machte einige Schritte vorbei an funkelnden, flaumigen und coolen Mini-Kreaturen, um sich in den Echsenbereich hinüber zu begeben. Die winzigste Hydra der Welt starrte sie aus schwarzen Augen an, und sechs kleine Schlangenschnauzen folgten Kirie, als sie am Käfig vorbeischritt. Daneben trotteten winzige Schildkröten, auf deren Rücken Blumengärten wuchsen, wunderschöne Axolotl und Salamander mit strahlend farbigen Augen und Fischflossen, und im letzten Käfig sah Kirie etwas, was sie auf den ersten Blick für einen Babyorca hielt. Auf den zweiten entpuppte es Fell und vier pummelige Füße, die den runden Körper trugen.

Wie ist es, nur für andere zu existieren? Du lebst nicht aus Zufall, aber deine einzige Bestimmung ist es, Spielzeug zu sein, bis man dich leid ist.

Langsam sank Kirie vor dem hölzernen Gitter in die Knie und musterte den Orca. Sie konnte die Augen nicht ganz ausmachen, aber große, weiße Flecken auf schwarzem Fell musterten zurück.

"Du machst nicht mal Sinn", flüsterte Kirie leise. Als hätte der Orca sie verstanden, gab er ein leises, heiseres Bellen von sich. Das Kind gegenüber am Käfig begann aufgeregt zu hüpfen.

"Schau, Mama, schau! Er bewegt sich doch! Gerade hat er den Mund aufgemacht! Ich muss ihn haben! Biiiiiitte! Ich hab sogar schon einen Namen für ihn! Orci!" Orci schien reichlich unbeeindruckt von dem Tumult und schloss den Mund wieder, um als zusammengerollte Kugel zu verbleiben. "Und dann spielen wir jeden Tag zusammen! Ich muss Orci Sauri und Drachenkatzi vorstellen, und dann werden alle drei beste Freunde!" Die mittelalte Frau neben dem plärrenden Jungen sah aus, als würde sie so einige Lebensentscheidungen bereuen, während ihre manikürten Nägel auf dem Schild herumklackerten.

"Chrysanthis, ich hab doch gesagt, erst mal gibt es keine neuen Haustiere! Nur mal gucken, hast du mir gesagt. Wenn nur mal gucken jedes Mal so endet, kann ich mit dir nicht mehr in den Dämonenladen gehen!" Es sind NBOs, protestierte eine Stimme in Kirie lautstark. NBOs. Thaumaschöpfe. Dämonen gibt es nicht, außer in religiösen Schriften und Actionfilmen, und die Unterscheidung kann doch nicht so schwer sein! Aber anscheinend war sie es schon. "Außerdem steht auf dem Schildchen, dass der hier zur Anlage zurückgebracht werden soll. Er ist zu oft müde, und darum müssen sie ihm Medikamente dagegen geben."

Und die kann man ihm nicht im Laden geben, weil...? Kirie sah auf den Orca in all seiner Plüschigkeit herab, der träge verharrte und nicht wirkte, als wolle er noch einmal Lebendigkeit demonstrieren. Zurück zur Anlage klang nicht so, als wolle man ihm helfen. Zurück zur Anlage klang, als würde man ihn gegen andere, neue, funktionierende Exemplare austauschen, und Kirie kräuselte ihre Nase.

Solche hochgezüchteten NBOs würde man nicht fixen können - oder wollen. Denn Fixen war kompliziert, und für das Neu-machen hatten sie hunderte von Laboren, die in Windeseile einen Orci herstellen konnten, der von diesem hier nicht mehr zu unterscheiden war, nur lebendiger und zutraulicher. Und was machte man dann mit dem Rest? Kirie wollte genug Vertrauen in die Menschheit haben, um zu erwarten, dass sie die putzigen Dinger nicht einfach in den Fleischwolf warfen, aber war die Annahme so verkehrt? Desney-Demonpets fraßen nur Desney-Demonpetfutter, und brauchten Desney-Demonpetmedizin, und am besten schliefen sie in den Desney-Demonpetbetten, und all das klang nach einer Menge Ausgaben, die sich einfach vermeiden lassen würden. Und freilassen konnte man Orci genausowenig. Der Kleine war nicht auf der Erde zuhause, aber in die Thaumebene gehörte er auch nicht mehr. Ihn dahin zurückzuschicken kam Kirie vor, als würde man einen Chihuahua mit einem Rudel ausgehungerter Schakale zusammensetzen.

Sie blickte Orci an, und ihr Magen zog sich noch mehr zusammen, denn Kirie konnte und wollte sich nicht vorstellen, wie es war, nur für eine andere Person zu existieren, die dann beschloss, dass sie dich nicht brauchte. Ihr Blick glitt von dem flauschigen Meeresraubtier zum Preisschild. Mehr, als ihre Eltern in einem Monat verdient hatten.

Kirie war mit dem Gedanken nach Neo-Atlantis gekommen, dass hier alles besser werden würde. Und anders. Und nun war sie 24 Stunden hier und beschloss schon, Straftaten zu begehen. Vielleicht gab es ja doch einen Grund, warum ihre Eltern sie damals abgegeben hatten. Hinter ihren Kontaktlinsen konnte sie das Ziehen spüren, als ihre Fähigkeiten aus dem Jetlag erwachten und begannen, die Fühler auszustrecken.

Gottesblut - Neo-AtlantisWhere stories live. Discover now