Nänie für den Frühling (3)

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Offenbar habe ich einen wunden Punkt getroffen, denn bei Mos Namen schaut sie endlich auf. „Mo wird sich wieder beruhigen", sagt sie leise, wie als müsste sie es sich selbst versichern. „Und dann kommt er zurück."

„Beruhigen?" Ich bin so fassungslos, dass ich nichtmal den Kopf schütteln kann. „Mehr fällt dir dazu nicht ein?"

Eleanor zieht die Stirn in Falten, jetzt selbst verärgert. „Was willst du? Erwartest du, dass ich vor dir zu Kreuze krieche?"

„Nicht vor mir." Ich starre sie an. „Verdammt, Eleanor! Sechzehn Jahre? Kein Wunder, dass Mo dich nicht sehen will." Die Worte sprudeln einfach so aus mir heraus. All die Vorwürfe und Fragen, die ich mir eigentlich verkneifen wollte, aus Rücksicht, Trauer und Schock. Plötzlich kann ich sie nicht mehr bremsen. „Er war der einzige, der zu dir gehalten hat, weißt du das eigentlich?" Kurz muss ich die Lippen zusammenpressen, um meine Wut zu kontrollieren. „Alle haben behauptet, dass du Reigen ermordet hast. Alle haben an dir gezweifelt. Ich habe an dir gezweifelt. Aber Mo nicht. Er hat dir vertraut! Dich gesucht, bis ans Ende dieser beschissenen, scheinheiligen Welt. Und du?" Ich hole Luft, will mich beeilen weiterzureden, bevor mir Eleanor ins Wort fallen kann. Aber die sieht nicht aus, als wolle sie sich verteidigen. Stumm sitzt sie vor mir, ein harter Ausdruck um die Mundwinkel, während sie meinen Vorwürfe über sich ergehen lässt. „Du hast ihn sein Leben lang belogen! Mo hatte ein Recht darauf, seine Eltern zu kennen! Wie hast du ihm das verheimlichen können? Sag' s mir."

Eleanor sieht mich nicht an. Ihre Haltung allein wirkt wie ein Schuldeingeständnis. „Wir hielten es damals für die beste Lösung."

„Die beste oder die bequemste?" Mittlerweile ist meine Kehle eng vor Wut. „Was haben du und Demetra euch eigentlich rausgenommen? Ist euch klar, was ihr angerichtet habt? Einer Mutter ihr Kind wegnehmen und ihr sechzehn Jahre jeden Kontakt verbieten...war das auch die beste Lösung? Ganz ehrlich?" Meine Hand ballt sich zur Faust. „Ich kann verstehen, dass Margret dir wehtun wollte!"

Eleanors Blick schnellt hoch zu mir. Sie öffnet den Mund, wie um mir etwas bissiges entgegen zu schleudern. Dann aber schluckt sie.

Wir starren uns an. Meine Worte hängen zwischen uns, mit jeder Sekunde, die vergeht scheinen sie mehr Raum einzunehmen, türmen sich auf wie eine Mauer.

Schließlich bricht Eleanor den Blickkontakt. Geistesabwesend fährt sie mit den Fingern über ihre Seite und zuckt zusammen, als sie Schmerz spürt. „Was glaubst du, warum ich mich nicht gewehrt habe?", flüstert sie. Ihre Lippen zittern. „Ich kann sie auch verstehen."

Meine Wut flaut so schnell ab, wie sie gekommen ist. Ich schlucke. Am liebsten hätte ich mir auf die Zunge gebissen.

„Ich hatte Angst, ihn zu verlieren", sagt Eleanor mit gesenktem Kopf. „Ich war einfach zu feige. Zu feige für die Wahrheit"

„Ausgerechnet du." Die Enttäuschung hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack in meinem Mund.

Offenbar hat das auch Eleanor wahrgenommen, denn sie schaut plötzlich zu mir auf, die Stirn zusammengezogen: „Ich habe nie behauptet, eine Heilige zu sein, Lina."

„Nein. Aber du hast immer so getan, als müsste ich eine werden, wenn ich die Schatten kontrollieren will."

„Und jetzt siehst du auch warum." Sie presst die Lippen zusammen. „Wie es sonst endet. Ich tauge nicht zum Vorbild. Das habe ich nie. Wenn Mo und du etwas anderes geglaubt habt." Sie schluckt. „Wenn ihr dachtet, dass ich es wert bin, gerettet zu werden, dann liegt die Täuschung bei euch."

„Dein Ernst?" Ich funkle Eleanor an, aber sie wendet sich ab. Wahrscheinlich, damit ich das Glitzern in ihren Augen nicht bemerke. Zu spät. „Verfallen wir jetzt wieder in alte Muster, oder was?" Ich bekomme keine Antwort. Stattdessen wischt Eleanor sich rasch mit dem Handrücken über die Augen. Dabei schnaubt sie, als würde sie sich über sich selbst ärgern.

FabelblutWhere stories live. Discover now