Kapitel 88

458 33 0
                                    

Der Sand ist warm zwischen meinen Zehen, meine Hände ruhen auf meinem riesigen Bauch. Ich bin am Strand von Genua, in einem Strandstuhl. Die Sonne scheint auf mich herab. Vermutlich sollte ich es ungewöhnlich finden, dass ich an so einem schönen Tag alleine hier bin, aber das ist nur ein Traum. Dieses Mal ist es mir gleich bewusst. Auch Lando und Muppet sind dieses Mal nicht dabei.

„Hey Soleil", ertönt dann die Stimme meines Bruders.

Lächelnd drehe ich meinen Kopf nach links. Dort steht er, in blauen Badehosen und einem weißen T-Shirt. Seine braunen Haare sind ordentlich geschnitten und frisiert, in seinen Augen spiegelt sich sein Lächeln wieder. „Hey großer Bruder."

Wie schon letztes Mal setzt sich Jules vor mich in den Sand, nachdem er mich auf den Kopf geküsst hat. „Wie geht es dir? Dein Bauch ist ja ganz schön gewachsen, seit dem letzten Mal."

„Mir geht's eigentlich ganz gut. Du hattest übrigens recht damit, dass es ein Mädchen wird", lächle ich und streichle sanft über meine Kugel.

„Natürlich hatte ich recht." Er grinst mich an. „Aber dein Stunt da in der Garage in Bahrain war nicht lustig. Ich bin froh, dass du jetzt besser aufpasst."

„Nicht du auch noch", stöhne ich. „Jeder andere hat mir schon die Hölle deswegen heiß gemacht, das musst du nicht auch noch machen."

„Immerhin passt du jetzt besser auf. Lange dauert es nicht mehr oder?"

„Nein, nur noch elf Wochen jetzt. Mehr oder weniger. Kommt drauf an, wie sich die Kleine entscheidet. Aber jetzt geht es dann erstmal nach Imola morgen. Eines der letzten Rennen für mich. Und dann heißt es warten, warten, warten."

„Oh, deine größte Stärke also", lacht er, was ihm einen leichten Tritt von mir einbringt.

„Blödmann. Aber ich bin dann gut beschäftigt. Die ganzen Sachen müssen noch gewaschen werden, wenn denn endlich mal das Kinderzimmer fertig ist. Der Maler kommt diese Woche und dann werden die Möbel endlich aufgebaut, wenn wir aus Imola wieder da sind. Das alles zieht sich viel länger, als ich es gerne hätte", sage ich.

„Ihr schafft das schon noch rechtzeitig, das weiß ich. Wie geht es allen? Charles und Pierre? Wie haben sie reagiert, als du ihnen von unserem letzen Treffen erzählt hast?" Jules grinst mich frech an.

„Sie haben eigentlich ganz cool reagiert. Enzo war mehr schockiert von meiner Nachricht an ihn, wenn ich ehrlich bin. Wir haben uns jetzt darauf geeinigt, dass ich mal ein Bier von ihm bekomme, wenn ich wieder darf", erzähle ich ihm.

Jules lächelt mich sanft an, Tränen in den Augen. „Normal hab ich es ganz gut im Griff, aber jetzt gerade fehlst du mir furchtbar und ich hab das Gefühl, ich verpasse so viel."

So kenne ich meinen Bruder gar nicht. Er hat früher nicht so einfach geweint. Und letztes Mal hat er auch nicht so deprimiert gewirkt. „Hey, was soll das denn? Du bist doch sonst nicht so emotional."

Mein Bruder fährt sich durch die Haare, bevor er mich ansieht. „Auch wenn ich euch immer wieder besuche, verpasse ich so viel. Also, irgendwie. Ich habe einfach Angst, dass ich viel verpasse. Vor allem jetzt, wo dann die Kleine geboren wird."

Ein wenig umständlich strecke ich mich nach vorne und nehme seine Hand in meine, lege sie auf meinen Bauch. „Du wirst deine Nichte schon aufwachsen sehen. Auch wenn du nicht die ganze Zeit dabei bist, bekommst du doch das wichtigste mit. Und was nicht, erzähle ich dir einfach wenn ich dein Grab besuche oder den Sonnenuntergang ansehe."

Und weil es noch nicht verrückt genug ist, mal wieder mit meinem toten Bruder zu sprechen, spüre ich einen leichten Tritt in meinem Bauch. Lächelnd bewege ich Jules Hand an die Stelle und kurz darauf ist da noch ein Tritt. „So fühlt sich das also an", flüstert er leise.

You were there for me - Lando Norris FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt