Mein Herz setzt für einen kurzen Moment aus und mein Kopf schnellt wie von alleine in die Höhe. Allerdings sitzt nicht etwa ein zwielichtiger Kerl vor mir, sondern ein gebräuntes Mädchen mit einer schwarzen Lockenmähne, die sie sich mit Hilfe eines losen Zopfs ein wenig nach hinten gebunden hat. Meine Augen inspizieren sie blitzschnell und ich erkenne weder das typische Gangtattoo noch ein rotes Bandana. Stattdessen trägt sie eine Jeans und ein verspieltes weißes Top, das ihre dunklere Haut schön zur Geltung bringt.

»Ich hatte irgendwie jemand anderen erwartet«, sagt sie trocken, nachdem ich sie sicherlich für ein paar Sekunden nur perplex angestarrt habe.

»Nehm es mir nicht Übel, aber das gleiche kann ich nur zurückgeben«, gestehe ich. »Ich dachte du wärst ein Kerl und naja, ein Gangmitglied eben.« Ich versuche mir die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, als die Erkenntnis langsam zu mir durchsickert, dass ich wohl wirklich hereingelegt wurde.

»Du meintest, du suchst auch nach Personen, die wiederum Personen kennen, die in einer Gang sind.« Skeptisch betrachte ich das junge Latina Mädchen vor mir. Sie sieht aus als hätte sie gerade erst die High-School abgeschlossen und überhaupt nicht wie jemand, der sich mit Gangbangern umgibt.

»Und du kennst jemanden, der Mitglied bei den Sangré Guerrero ist?«, frage ich nach.

»Nicht nur irgendwen. Ich kenne den Anführer.« Mir klappt der Mund auf. Sprachlos betrachte ich das Mädchen gegenüber von mir und suche nach Anzeichen, die mir verraten können, dass sie nur blufft. Doch entweder ist sie eine verdammt gute Lügnerin oder sie meint es wirklich ernst. Wenn sie tatsächlich mit dem Anführer vertraut ist, ist sie fast genauso gut wie ein Informant, der selbst Mitglied ist. Zögerlich greife ich in meine Tasche, um meinen Notizzettel herauszunehmen. Obwohl ich nicht daran glauben möchte, dass es sich hierbei um einen Scherz handelt, verschwindet meine Skepsis nicht.

»Und du dachtest dir, es ist eine gute Idee mit mir zu reden, weil...?« Fragend ziehe ich eine Augenbraue hoch. Es musste doch einen Haken an der ganzen Geschichte geben. Vielleicht wollte sie etwas von mir im Austausch für Informationen?

»Ich möchte meinem Bruder eine Lektion erteilen.« Ungläubig ziehe ich eine Braue hoch.

»Du möchtest was?«, frage ich nach.

Die Latina seufzt und fährt sich durch die Haare, während sie mit ihren weißen Gelnägeln auf die Tischplatte trommelt. Sie erinnert mich an Katie, die, wenn sie ungeduldig wird, auch immer mit ihren langen Krallen auf sämtliche Oberflächen klopft. »Ist mein Grund wirklich so wichtig?«

»Irgendwie schon...Schließlich möchte ich ungern in eine Familienfehde mit hereingezogen werden.« Da meine Gedanken zu meiner besten Freundin gewandert sind, schnappe ich mir schnell ein Handy, um ihr eine entwarnende Nachricht zu schreiben, dass es sich bei meinem geheimen Informanten um ein Mädchen handelt und sie sich somit nicht allzu große Sorgen mehr machen muss. Ich bezweifle, dass die zierliche Latina mich in irgendwelche Gassen schleppen könnte oder dies überhaupt wollte.

»Ich weiß, dass du dich mit dem Gangleben kein bisschen auskennst und du wahrscheinlich denkst, ich wäre komplett loco mich mit dir zu treffen nur, um meinem Bruder eins auszuwischen. Doch ich habe meine Gründe.« Als ich gerade zu einer Antwort ansetzen möchte, tritt eine Kellnerin an unseren Tisch. Die ältere Dame schiebt sich eine lose Strähne ihres hellen Haars hinter die Ohren und sieht dann lächelnd zu uns herunter.

»Was kann ich euch zwei Süßen bringen?« Ich werfe einen hastigen Blick zurück auf die Karte, bevor ich wieder aufsehe und eine Waffel zusammen mit einem Milchkaffee bestelle.

»Für mich bitte einfach nur einen Espresso«, bestellt die Latina, ohne vorher überhaupt das Angebot überflogen zu haben.

»Kommt sofort!« Sobald die Kellnerin außer Hörweite ist, lege ich die Speisekarte zur Seite und widme mich wieder meiner Gesprächspartnerin.

TROUBLE TALESWhere stories live. Discover now