Part 1

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Ki blickt nach oben. Naturbraune Holzdielen. Wer hat diese dort angebracht? Keine Zeit für Fragen, es steht einiges an. Die Aufgabe muss erfüllt werden. Kein Zurückschauen mehr, die Nostalgie muss weichen - es darf so nicht enden.

"Ich sollte heute noch einmal zu diesem Ort gehen" dachte sich Ki. "Ich kann es nicht wirklich glauben, dass dieser Ort so existiert...wer oder was ist da?"

Das Rauchen hat Ki schon vor einiger Zeit aufgegeben. Schwarzer Kaffee? Das gehört noch zu Ki's Leben - die Tasse schwarzen Kaffee ohne Zucker, ohne Süßstoff, ohne Milch. Ki nennt es das "reine Getränk der Schwärze", was offensichtlich einen Widersprüch darstellt - wie so vieles was Ki denkt und macht.

"Es ist Zeit" sagte Ki, schnappte sich seinen seinen schwarzen Rucksack, zog seinen grauen Parka an und verließ seine Wohnung. Wie so oft regnete es. Hier in dieser Gegend regnet es fast immer. Diese Tatsache hält Ki jedoch nicht davon ab, seine "Orte" zu besuchen.

"Es sind ungefähr 12km Fußmarsch, ich sollte in etwa 3 Stunden da sein. Wir werden sehen was sich dort abspielt, oder sollte ich sagen abgespielt hat?"

Es ist einer dieser Tage an denen nicht viele Gedanken in Ki's Kopf herum schwirren - diese kommen meist Nachts. Schlafprobleme? Ja, schon seit Ki's Kindheit. Die Fußgänge verschaffen ihm etwas Erholung. Die Gedanken werden weniger und er kann sich auf seine Schritte konzentrieren - jeden einzelnen Schritt - er beobachtet sie alle. Wir er auch beobachtet? Und wenn ja, von wem?

Sein Weg führt ihn durch ein größeres Waldgebiet. Wegen dem Regen läuft er durch Matsch, seine Schuhe sind dafür geeignet - wie auch sonst alles. Wenn Ki eines mag dann ist es eine gründliche Vorbereitung. In seinem Rucksack befinden sich allerhand nützliche Werkzeuge, von der Taschenlampe, über das Taschenmesser bis hin zu einer marmorierten Murmel mit 1,2 cm Durchmesser. "Das Murmelspiel wird heutzutage kaum noch honoriert, schenkt es doch ein kurzweiliges Vergnügen inmitten der Hetze des Alltags".

Ki war noch nie so etwas, was man einen "normalen Menschen" nennen könnte. Sicherlich zählt er sich zur Gattung des Homo Sapiens, dies aber auch nicht immer. "Wir denken den Menschen falsch" sagte er einmal einer Verkäuferin, die ihn fragte, ob er mit Karte zahlen möchte.

Mittlerweile sind fast 3 Stunden vergangen und er sieht sein Ziel bereits in der Ferne. Wegen dem dichten Dornenwuchs in diesem Teil des Waldes muss man eine Art von Zick Zack Linie entlang laufen. Die Pfade sind nicht eingetrampelt, wenige Menschen verlaufen sich in diese Gegend. Es ist nicht so, als ob dieser Ort komplett abgelegen wäre, nein, es kommt einfach nur keiner darauf, diese Route zu benutzen.

"Nehmen andere überhaupt diesen Ort wahr?" fragte sich Ki. "Ich wundere mich, warum an diesem Ort nie jemand anzutreffen ist, weder Mensch, noch Tier". Es ist nicht das erst mal, das Ki an diesem Ort war - er liebt Orte. Manche mögen ihre Bäckerei, andere wiederum ihr Lieblingsrestaurant - Ki mag einfach Orte.

"Ein Restaurant ist für mich kein Ort..." sagte er einmal in einem Gespräch mit einem älteren Mann, "...es fehlt vollkommen die Eleganz und das Unbegreifliche. Tische, Stühle, Tischdecken, Teller, Gläser, Besteck. Eine Bestellkarte. Ein Kellner. Eine Kellnerin. Essen, bezahlen, raus gehen. Nein, das ist überhaupt kein Ort sondern nur eine ewige Aneinanderreihung von festgelegten Handlungsabläufen. Ich besuche gerne Orte..." Der ältere Mann begriff nicht ganz, denn für ihn war auch ein Restaurant ein bestimmter Ort. "Sie verstehen nicht,..." entgegnete Ki locker, aber doch mit Nachdruck "...Orte sind nicht zweckgebunden oder erfüllen eine gesellschaftliche Aufgabe, ganz im Gegenteil: jede Art von Eingrenzung oder Bestimmung bringt den Ort gegen einen. Der Mensch hat nicht nur Feinde menschlicher Art - sondern auch feindlich gesinnte Orte. Ein durchschnittliches Büro ist ein feindlicher Ort, da dort der Mensch seine Lebenszeit investiert, der Ort ihm aber nichts im Gegenzug gibt - er bekommt nichts zurück. Warum sollte man denn an diesem Ort verweilen? 40 Jahre? Nein, das ist absurd. Großraumbüros, Anwaltskanzleien, Amtsstuben, Verwaltungseinrichtungen, Einkaufshäuser, Supermärkte, Fabriken - es sind dem Menschen feindlich gesinnte Orte, nur der Mensch denkt, er hätte diese Orte erschaffen. Es ist genau umgekehrt: der Ort erschafft den Menschen. Wann verstehen wir das? Verstehen Sie das?". Der ältere Mann schaut verlegen auf den Boden und flüßtert leise mit nach untem geneigten Kopf: "Nein, ich verstehe es auch nicht, wirklich nicht".

Ki sucht Orte und findet Orte. Dieser liegt nun unmittelbar in Reichweite. Noch ein paar Schritte und er ist da.

Weg des ErwachensOù les histoires vivent. Découvrez maintenant