„Klar. Wir werden für dich schon etwas in meinem Schrank finden. Ich weiß nur nicht, ob es dir wirklich passen wird. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird dir alles zu groß sein.", erklärte ich ihm, doch er zuckte nur mit den Schultern. Ich stand auf und kramte in meinem Kleiderschrank. Ich suchte ihm eine kurze alte Sporthose, die mir in den letzten Jahren zu klein geworden war, aber Kai noch zu groß, und ein einfaches weißes T-Shirt, was trotz Waschgang deutlich nach mir roch. Diese beiden Sachen reichte ich ihm. Er begutachtete sie kurz und schien zufrieden. Er zog sie an und auch ich wechselte meine Kleider, dann ging es für uns in die Höhle der Löwen, welche meine kleinen Geschwister waren. Die jüngeren werden kein Problem sein, aber Kai und Lena könnten harte Nüsse werden, denn sie waren genau wie ich Fremden gegenüber sehr skeptisch. Sie brauchten eine Weile bis sie auftauten und mit Leuten sprachen.

Wir stiegen die Treppe herunter und von weiten waren schon die aufgeregten Stimmen meiner Geschwister zu hören.

„Dad, warum hast du zwei Teller mehr gedeckt", fragte Kai.

„Sind Mom und Mikey wieder da", wollte Moritz ganz aufgeregt wissen. Bei der Erwähnung von Mom wurde mir kurz etwas anders. Ich vermisste sie sehr, wusste aber, dass sie nicht wieder kam.

„Mo, Mom ist nicht mehr bei uns und Michael muss arbeiten", erklang Lenas genervte Stimme. Sie büffelte gerade für ihre Aufnahmeprüfungen zu einer sehr angesehenen Universität in der Hoffnung noch dort angenommen zu werden. Doch erstmal musste sie ihren Schulabschluss schaffen und sich dann für die Zulassung bewerben, was extrem schwierig war mit fehlenden Beziehungen.

„Mom?", dieser Klang nach Unwissenheit in der Stimme meiner jüngsten Schwester Sina, tat weh. Sie hatte Mom nie kennen gelernt, weil sie kurz nach ihrer Geburt gestorben war. Einen Moment lang brach Stille aus am Tisch. Jeder dachte dasselbe.

„Jetzt wartet ab und lasst euch überraschen, sie sind gleich da.", versuchte mein Dad sie zu beruhigen. Ich sah zu Tobias, der nun tatsächlich etwas nervös aussah. Mit meiner Hand griff ich nach seiner, verschränkte unsere Finger miteinander und drückte leicht bekräftigend zu. Er sah mich an und lächelte. Wir öffneten die Küchentür und betraten den Raum. Alle Gesichter drehten sich zu uns. Die Augen meiner Geschwister waren vor Schock aufgerissen. Es war zum Glück ein positiver Schreck. Sina, Mo und auch Kai sprangen von ihren Stühlen und rannten auf mich zu. Sie hüpften an mir hoch und riefen vor Freude meinen Namen. Dann sah Sina zu Tobias.

„Und wer bist du?"

„Ich bin Tobias und ein guter Freund von eurem Bruder, Michael", antwortete er ihr, ging dabei in die Knie, um mit ihr auf einer Augenhöhe zu sein. Sie betrachtete ihn unbeirrt.

„Du bist hübsch. Ich hoffe du wirst Mikey fester Freund", sprach sie frei heraus. Tobias und ich waren sprachlos und liefen beide gleichzeitig rot an.

„Geht es dir nicht gut, dass du so rot wirst", fragte nun Moritz, der sich auch dem blonden Mann zugewendet hatte. Kai und Lena beobachteten ihn von weiter weg und sagten auch erstmal nichts. Mein Vater stellte Tobias meine Geschwister vor und dann konnten wir uns an den Tisch setzen. Es gab Spagetti Cabonara, Mos Leibspeise.

„Wie hast du Mikey kennen gelernt?", wollte nun Kai wissen.

„Er arbeitet für meinen Vater und soll immer ein Auge auf mich haben, damit ich nichts anstelle. Ihr könnt es mit einem Babysitter vergleichen, der bis jetzt aber am längsten durchgehalten hat."

„Du brauchst auch einen Babysitter? Wenn Papa mal ausgeht, müssen das immer Kai oder Lena bei uns machen", brachte sich Sina ganz überrascht mit ein. Dabei sah ich meinen Dad kurz an, weil ich mir gerade vorstellte wie er mit seinen Freunden einen lustigen Abend hatte. Es kam leider viel zu selten vor, dass er mal Zeit für sich selbst hatte.

UntergrundwölfeWhere stories live. Discover now