31. Alles oder Nichts

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„Im Gegensatz zu dir, habe ich das Wissen und die Erfahrung aus dem Krankenhaus. Ob du willst oder nicht, ich bin die einzige hier, die ihm helfen kann. Wenn du dich ansteckst, ist das allein dein Verschulden. Ich habe ohnehin bereits alle Hände voll zu tun. Ich kann mich jetzt nicht noch mit dir herumschlagen, okay?"

Sie sah mich genervt an. „Es geht mir auf den Sack, dass für dich scheinbar immer Sonderregel gelten, Ella."

Ich knirschte mit den Zähnen, da sie meine Geduld testete, und ging auf sie zu, bis ich direkt vor ihr stand. „Was willst du hören, Rosalie? Was brauchst du, um mich endlich in Ruhe zu lassen?"

Ihre Augen zuckten kurz zu Nathan rüber. Es war nur für eine Sekunde, aber das reichte bereits um meine Wut zu entfachen - denn so sehr ich Rosalies unerwiderte Liebe auch bemitleidete, Nathan würde ich nicht teilen! Sie kann sich gerne einen anderen Typen suchen. Dieser war vergeben!

„Du gehst jetzt besser, Rosalie.", zischte ich in demselben drohenden Ton, wie Nathan immer sprach. „Es gefällt dir vielleicht nicht, aber als seine Verlobte wird er mich bei sich haben wollen."

Sie brauchte einen Moment, um zu verstehen was ich sagte. Wahrscheinlich war es nicht gerade klug gewesen von mir, aber ich wollte, dass sie endlich verschwand. Ihr Blick glitt zu meiner linken Hand, an der mein Ring war. Ihre Augen wurden größer, als sie es schließlich realisierte. Als sie mir in die Augen sah, war ein fassungsloser und zugleich verletzter Ausdruck in ihnen zu sehen.
Ohne ein Wort drehte sie sich auf dem Absatz um und ging den Flur herunter. An der Treppe stieß sie mit Schmidt zusammen, der keuchend hochgekommen war.
„Verzieh dich!", stieß sie schluchzend hervor und drängte sich an ihm vorbei. Verwundert sah er ihr kurz hinterher, ehe er sich zu mir drehte.

„Was hat die denn?", fragte er atemlos und zeigte mit dem Daumen über seine Schulter.

Ich schüttelte den Kopf. „Lass sie einfach."

Er trat an den Türrahmen und spähte rüber zu Nathan. Auch er war besorgt um ihn. „Kann ich irgendwie helfen?"

„Solange du keine Schutzkleidung hast, solltest du dich fern halten.", sagte ich und zog mir selbst die Maske wieder über, die ich mir vorhin beim Lauf aus dem Gesicht gerissen hatte.

„Dann werde ich mir welche besorgen.", antwortete Schmidt ernst. Ich sah ihn überrascht an. Er sah mir direkt in die Augen. Kein Zweifel und keine Angst war in ihnen zu lesen. Ich verstand erst in diesem Moment, dass Nathan für ihn nicht nur ein Chef sondern vielmehr ein Freund war.
Ich sah ihn mit großen Augen an und konnte nicht anders, als auf den Sekretär zuzugehen und ihn in meine Arme zu schließen.

Genauso überrascht wie ich, war auch er über meine Umarmung. Er konnte schwer über seinen Schatten springen und klopfte mir nur unbeholfen auf die Schulter.

Ein kläglicher Versuch mir seine Zuneigung zu zeigen.

Mehr hätte ich aber auch nicht von ihm erwartet.
Ich ließ ihn los und wollte gerade einen Kommentar ablassen, dass wir das Umarmen nochmal üben müssten, als Nathan plötzlich krächzend hinter mir aufstöhnte, woraufhin wir erschrocken zusammenzuckten. Er öffnete zitternd die Augen und blickte zunächst mit glasigen Augen zur Decke hoch.

„Nathan?" Ich beugte mich augenblicklich zu ihm herunter und strich ihm die feuchten Strähnen von der Stirn. Nebenher gab ich Schmidt mit einer Handbewegung zu verstehen, dass er besser gehen solle, ehe er sich ansteckte. Ohne ein Widerwort zog dieser die Tür zu und ließ uns alleine.

„Wie geht es dir?", fragte ich flüsternd.

Seine Augen wanderten langsam zu mir herüber. Er sah furchtbar erschöpft aus. So blass und verletzlich  hatte ich ihn bisher noch nie gesehen. Er öffnete den trockenen Mund zur Antwort, aber stattdessen überkam ihn ein heftiger Hustenanfall. Er hustete und hustete. Es kam mir vor, als würde er sich die Seele aus dem Leib aushusten. Er hatte kaum Gelegenheit zum Atmen. Als es nicht aufhören wollte, half ich ihm mit ganzer Kraft sich aufzusetzen. Es schien zu helfen, denn er schnappte verzweifelt nach Luft und hustete noch ein letztes Mal kräftig und laut. Dann beruhigte er sich. Ich schenkte ihm schnell ein Glas Wasser ein, das Mathilda auf dem Nachttisch bereitgestellt hatte, und setzte es ihm an die Lippen an. Er trank das Wasser gierig aus. Sofort schenkte ich ihm etwas nach und half ihm dabei alles auszutrinken.

Ella - Die Stille nach dem SturmWhere stories live. Discover now