26. Neues kommt, Altes geht

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"Haltet euch von der Stadt fern - wenigstens für eine Weile.", ergänzte ich und warf mir meinen Mantel über, "Wie es scheint, verbreitet sich die Krankheit rasend schnell. Sobald sich auch nur einer von uns ansteckt, ist jeder hier im Haus gefährdet."

"Wir hatten gestern Gäste aus der Stadt bei der Veranstaltung.", bemerkte Rosalie trocken. Ich hielt in der Bewegung inne. Alle sahen zu ihr rüber. Sie stand an ihrem Türrahmen angelehnt mit verschränkten Armen. Ihre Worte hingen schwer in der Luft. Es wusste keiner etwas zu antworten.

Es stimmte. Und wenn es jemanden gab, der unbemerkt die Krankheit verbreitete, hatten wir ein sehr großes Problem.

Ich schluckte schwer und trat raus in die frische Luft, dicht gefolgt von Nathan und Juli. Die anderen Hausangestellten sahen uns an der Tür nach. Peter hatte die Kutsche vorbereitet, damit wir schneller im Krankenhaus sein konnten. Wir stiegen ein, woraufhin sich die Kutsche sofort in Bewegung setzte.

Juli saß an meiner Seite, gegenüber von uns Nathan. Während Juli aus dem Fenster sah, sahen Nathan und ich uns stillschweigend an, während die Kutsche bei jeder Bewegung hin und her schwankte. So viele ungesagte Worte hingen in der Luft. Ob wir über den gestrigen Kuss gesprochen hätten, wenn Juli nicht gewesen wäre? Wie würden wir uns ab sofort verhalten? Sollten wir es geheim halten?
Ich schüttelte innerlich den Kopf. Diese Probleme erschienen mir mit einem Mal so lächerlich - im Vergleich zu dem, was uns im Krankenhaus erwarten würde. Wer wusste überhaupt, ob wir das alle überleben würden?

„Du wohnst also bei Mr Kurt im Anwesen?", fragte Juli plötzlich an mich gewandt flüsternd. Nathan tat so, als würde er uns nicht beachten und schaute aus der Kutsche hinaus.

„Ja, ich arbeite auch als Hausmädchen."

Sie machte große Augen und sah mich hochachtungsvoll an, als hätte ich behauptet Drachen zu bekämpfen.

„Das erklärt also jetzt, warum Mr Bennett ab und zu im Krankenhaus nach dir fragt - und nicht bei dir zu Hause."

„Mr Bennet?", fragte ich überrascht. Ich spürte augenblicklich wie die Temperatur in der Kutsche um 10 Grad sank. Ich sah von der Seite kurz zu Nathan rüber, der bei der Erwähnung von Theo Bennet förmlich zu einem Eisblock erstarrte. Dabei hatte ich von Theo so lange nichts mehr gehört - wer weiß, was für eine Angst Nathan ihm eingejagt haben musste.

„Ja, er war mit Blumen vorbeigekommen.", erklärte Juli leise. Natürlich bekam Nathan trotz ihrem Versuch leise zu reden jedes Wort mit. Ich spürte wie sich sein Blick in meine Seite bohrte.
Ich schluckte schwer. Sei endlich still, Juli!

„Er ist ein wirklich lieber Mann, Ella.", ergänzte sie, als wolle sie Benzin ins Feuer kippen, „Ich wünschte, ich würde so jemanden mal kennenlernen."

Ich seufzte. Meine Güte... Natürlich war Theo ein toller Mann! Und wahrscheinlich wäre so ziemlich jede Frau von ihm angetan gewesen! Das kann ich nicht bestreiten. Aber mein Herz lag nunmal an einem anderen Fleck. Auch wenn ich ihm nicht wehtun wollte, war mir durchaus bewusst, dass es meine Schuld gewesen ist, dass er sich überhaupt solche Hoffnungen gemacht hatte. Ich kämpfte mit meinen Schuldgefühlen. Wenn wir den heutigen Tag überstehen würden, würde ich versuchen das wieder in Ordnung zu bringen... das schwor ich mir.

Die Kutsche hielt direkt vor dem Krankenhaus. Ich hob den Kopf, woraufhin sich Nathans und meine Blicke kreuzten. Seine Augen wirkten so tief wie das Wasser im Meer. Sie hinterließen ein Prickeln auf meiner Haut.

Juli stieg als erstes aus. Ich stand auf um ihr zu folgen, doch Nathan hielt mich im letzten Moment am Handgelenk fest. Für einen kurzen Augenblick befürchtete ich, er würde etwas zu Theo sagen.

Ella - Die Stille nach dem SturmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt