Kapitel 10

118 32 17
                                    

Nebel Teil 2

Der Nebel lichtete sich nicht. Er kroch in die Höhle und legte sich wie ein Totengrab über Franziska. Das Feuer erlosch und zurück blieb nur eine eiserne Kälte. Ich packte meinen Rucksack an seinen Riemen und zog in zu mir. Franziska, die in meinem Schoss lag, hatte der Nebel nun ganz verschluckt und ich spürte nur noch ihren Druck. Doch die Kälte ließ meine Gefühle langsam, aber sicher, schwinden. Eine unangenehme Angst kroch meine Beine hoch. Was sollte ich machen? Ich versuchte meinen Rucksack zu öffnen, aber meine Hände waren so klamm, dass ihnen die Kraft dazu fehlte. Panisch schrie ich um Hilfe. Minuten vergingen, aber niemand kam. Ich wusste, dass Franziska und ich in wenigen Minuten tot sein würden. Ich sammelte meine letzten Kräfte und rappelte mich mühe voll auf. Obwohl mich meine Füße kaum selber trugen, hob ich Franziska hoch und marschierte mit ihr in den Nebel. Sofort verlor ich die Orientierung und lief wahllos durch die dichten Nebelwolken. Irgendwo mussten doch die anderen sein. Aber bald verließ mich meine Hoffnung, denn alles war still und nichts rührte sich. Schwankend fiel ich auf die Knie und ließ Franziska los. Ihr Körper war inzwischen eiskalt, wenigstens blutete sie nicht mehr. Ich faltete meine Hände und blickte empor zu den Sternen.

„Herr, sei mir gnädig, denn mir ist Angst. Entreiß mich der Hand des Nebels und des Todes. Herr, lass mich nicht scheitern, denn ich rufe zu dir", es war ein ganz leises Krächzen aus meiner Kehle.

Die Zeit verging und nichts geschah. Ein letztes Mal rief ich um Hilfen, dann kippte ich nach hinten und blieb liegen. Das Gedankenchaos wurde ruhiger und ein Schlaf überfiel mich. Der Schlaf in den sicheren Tod.

Ein Lichtstrahl fiel auf mich und ich wusste, dass mich jetzt ein Engel vollständig in das Reich des Todes bringen würde. Ich flehte ihn an, aber es nützte nichts. Er zog mich auf die Beine und wickelte mich in eine Decke ein.

„Danke", hauchte ich ihm entgegen und öffnete die Augen, um zusehen, wo ich war. Verwundert riss ich sie noch weiter auf. Ich befand mich immer noch in der Nebelmasse, aber diesmal war jemand bei mir.

„Venla!", schluchzte ich auf und fiel ihr in die Arme. Sie tröstete mich und rubbelte mich warm.

„Wie kommst du hier her?"

„Ich bin euch gefolgt. Als ich sah, wie sich ein Nebel in der Ferne bildete, wollte ich euch warnen, aber es ging alles so schnell, dass ich euch nicht mehr fand. Eine Stunde bin ich mit der Fackel umhergeirrt bis ich schließlich deinen Hilfeschrei gehört habe."

Ich blickte ihr in die Augen und sagte: „Wie kann ich dir jemals danken?"

„Du musst mich in eurer Gruppe aufnehmen."

„Aber Venla, das ist gefährlich. Du hast doch gerade gesehen, dass es eine waghalsige Reise ist. Sie führt ins Ungewisse! Niemals hätte ich andere dafür auffordern sollen, mitzukommen."

Venla lächelte: „Du hast das Richtige gemacht. Vielleicht etwas naiv, aber der einzige Weg, Träume wahr werden zulassen. Erinnerst du dich an den Spruch: Wohin der Weg deiner Träume führt, erfährst du, wenn du ihm folgst."

Ich nickte berührt und sagte so tapfer wie ich konnte: „Willkommen in dem Abenteuer deines Lebens. Jetzt müssen wir aber die anderen finden!"

Wir fanden sie in ihrem Zelt. Sie lagen dicht nebeneinander und auch, wenn der Nebel sie nicht eingehüllt hatte, lag seine Kälte über ihren leblosen Körpern.

Schnell machte Venla die Zeltklappe wieder zu und warf jedem eine Decke über. Ich legte Franziska zu ihrem Bruder und kroch anschließend hinter zu den Rucksäcken. Aus Franziskas holte ich drei Handwärmer und knetete diese durch. Sogleich wurden sie warm und ich dankte der Wissenschaft für ihre Erfindung.

Schon bald wachten Samuel, Franz, Emily und Joel aus ihrer Starre auf und tasteten ihren Körper ab.

Venla und ich befahlen ihnen, sich wieder hinzulegen, und wunderlicher Weise gehorchten sie. Als ich bemerkte, wie mich Samuel aufmerksam beobachtete, schaute ich zu Franz, der sich um die Wunde seiner Schwester kümmerte.

„Du hast sie gut versorgt. Danke."

Ich hatte mich zwar noch nicht ganz von dem Schrecken erholt, zwinkerte ihm aber zu: „Ich musste mich doch revanchieren. Du hast mich aus dem See gerettet und ich nun deine Schwester."

„Nein, nein", Franz blickte auf einmal ernst. „Wenn du sie nicht gefunden hättest, wäre sie verblutet. Sie ist für mich das Wichtigste auf Erden und ich könnte mir kein Leben ohne sie ausmalen. Eigentlich hätte ich sie retten müssen..." Franz hieb sich gegen die Stirn und fluchte: „Ich hätte sie retten sollen! Ich bin für sie verantwortlich!"

„Hey, Franz, alles ist gut. Ja? Du bist nicht Schuld an dem, was Franziska passiert ist. Du hättest die Schusswunde nicht verhindern können."

Aber Franz hörte mir gar nicht zu: „Wenn ich den Mann finde, der Franziska das angetan hat, werde ich ihn umbringen!"

„Wer war es überhaupt?", fragte Samuel.

Alle schüttelten den Kopf. Niemand hatte ihn gesehen.

„Was war das überhaupt für ein Nebel?", überlegte Emily laut.

„Ein sehr seltener. Keine Ahnung wie der heißt. Vor ein paar Jahren hatte der schon mal den ganzen Wald befallen und zwei kleine Kinder aus dem Dorf sind umgekommen.", sagte Venla.

„Das ist ja schrecklich! Aber du sagtest, er hat den Wald befallen und nicht die Gegend. Ist also außerhalb des Waldes alles normal?"

Venla nickte eifrig.

"Dann lasst uns von hier verschwinden!"

„Wir müssen noch Venla ins Heim zurück bringen."

„Nein."

„Warum nicht?"

„Weil sie ab heute Mitglied unserer Gruppe ist."

Traumpfad (Bis 2045 pausiert!) Where stories live. Discover now