Adalante

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"Bei den Göttern!" Ein merkwürdiger Ausruf des Entsetzens. Ich spürte wie sich mir Schritte näherten. So neugierig ich auch war, wem diese Fremde Stimme wohl gehörte und obwohl ich das erste mal seit der Oberstufe altgriechisch hörte, ich wollte meine Augen noch nicht öffnen. Mein Körper fühlte sich an als hätte ich lange geschlafen. Jemand kniete sich neben mich. "Wer seid ihr? Woher kommt ihr?" Ich konnte mich nicht für den Rest meines Lebens tot stellen und vermutlich wurde es Zeit diesem griechischen Sanitäter meine Beschwerden zu schildern. Ich schlug die Augen auf und bekam erst mal einen furchtbaren Schock, als ich das Gesicht eines Mannes sah, nur wenige Zentimeter von meinem eigenen entfernt. Ich analysierte ihn sofort, eine alte Gewohnheit von mir. Er hatte eine markante Nase, schwarze, schulterlange Locken und Augen so dunkel, dass es unmöglich war die Pupille von der Iris auseinanderzuhalten. Seine Haut war sonnengebräunt und über die rechte Augenbraue zog sich eine kleine Narbe.

Erst jetzt registrierte ich, wie ungemütlich dieser Steinboden doch eigentlich war. Als ich Anstalten tat mich aufzurichten, sprang der Unbekannte auf und machte einen Satz zurück. Für einen kurzen Moment wirkte er unentschlossen. Ich überlegte gerade, ob es nicht vielleicht besser wäre abzuhauen, vielleicht war er ja ein Perverser. Wer sonst bückte sich so über eine bewusstlose Frau? Sein Outfit war auch mehr als ungewöhnlich. Der Fremde trug griechische Kriegsbekleidung. Vielleicht war er ja ein Cosplayer? Der schmuckvolle Schild, den er um seine Linke geschnallt hatte, wirkte auf mich jedoch nicht als wäre er aus irgendeinem anderen Material gefertigt als massiver Bronze. Wie schwer das Teil wohl war? Ich sah wie sich alle Muskeln seines Körpers anspannten. Als wäre er bereit es mit einem Löwen aufzunehmen. Seine Körperhaltung, die Art wie er sich bewegte. Ich hatte in meinem Studium genug gelernt um zu wissen, dass sich so nur ein Krieger der Antike verhielt. 

Allmählich fing ich an zu begreifen. Ich stand auf. Gerade wollte ich etwas sagen, da viel der Soldat plötzlich auf die Knie und senkte den Kopf. "Verzeiht mir Göttin! Ich hatte Euch nicht erkannt. Verratet mir Euren Namen." Für einen Moment war ich sprachlos. Dieses Bild eines Mannes, der ehrerbietig den Blick vor mir senkte, war einfach zu absurd. Er war bestimmt dreimal so stark wie ich. Ehrfürchtig, das war es wie seine Stimme klang. Keine Spur von Angst. "Ich..." Sollte ich meinen wahren Namen nennen? Wenn meine Vermutung stimmte und ich wirklich, warum auch immer, gerade einen Zeitsprung von mehreren tausend Jahren hinter mir hatte, erschien mir "Bianca" als doch etwas zu modern. Ich packte also meine Griechisch-Kenntnisse wieder aus und Antwortete. "Nennt mich Adalante." 

Adalante war eine von einem Bären aufgezogene Kriegerin. Die stärkste Frau ihrer Zeit. Zumindest den griechischen Sagen nach. Dieser Name bedeutete auch so viel wie "dem Mann gleichgestellt". Noch dazu war sie, neben der schönen Helena, eine der wenigen blonden Mythengestalten. Auch das passte, aus gegebenen Umständen, gut zu mir. Nun dachte der Fremde aber, ich sei eine Göttin. Sollte ich ihm sagen, dass er sich irrte oder würde ich so meinen Schutz verlieren?

"Wie nennt man Euch?" Ich war es nicht wirklich gewohnt mich so auszudrücken und fühlte mich etwas lächerlich. Der Fremde hob seinen Blick und richtete sich auf. "Ajax von Rhodos." Ich konnte seine Miene nicht deuten aber Ajax wirkte auf mich wie ein Mann, der sich nicht reinlegen lassen würde. Ich versuchte gar nicht erst mir irgendeine blöde Geschichte auszudenken, die erklären würde warum ich mich plötzlich im Inneren eines Tempels materialisiert hatte. Eben hatte ich noch inmitten zerfallener Ruinen gestanden, jetzt glänzte der glatte Marmor um mich herum und eine Statue der Athene wachte ein paar Meter weiter über das Geschehen. Das abendliche Licht beleuchtete die Halle und verlieh den weißen Säulen einen goldenen Schimmer. 

Ich setzte nun alles auf eine Karte. "Ajax, ich weiß nicht warum ich hier bin und ich bin mindestens so verwirrt wie Ihr es seid. Was ich aber weiß ist, dass dies ein Tempel der Athene ist. Falls Ihr also vorhaben solltet mir etwas anzutun, würde ich eine solche Absicht nochmal genauer überdenken." Ich versuchte seinem durchdringenden Blick standzuhalten und hoffte er würde nicht merken wie mir das Herz doch innerlich raste. "Ihr seid sterblich, sonst würdet Ihr nicht zittern vor Angst." Ich ballte frustriert meine Faust. "Die Götter haben Ihre Gründe euch hierhergeholt zu haben. Ich werde nicht in ihre Entscheidungen eingreifen. Geht und erfüllt Eure Prophezeiung."

Ich schluckte und blieb noch für einen Augenblick stehen bevor ich Ajax den Rücken zudrehte und mit zügigen Schritten den Tempel verließ. Das war seltsam gewesen, aber ich war erleichtert diesen Ort in einem Stück zu verlassen. Mir stieg der Geruch von Wein und Gewürzen in die Nase. Draußen herrschte fröhliches Treiben. Ich huschte ein paar Meter abseits, hinter ein Gebäude und beobachtete das Geschehen. Die Straßen waren belebt, es wurde musiziert, getanzt, gefeiert und gelacht. Vereinzelt tauchten die ersten Sterne auf dem wolkenlosen Himmel auf.  Die Frauen hatten langes, dunkles Haar. Manche trugen es kunstvoll hochgesteckt und andere ließen es wie eine seidene Schleppe über den Rücken fallen. Sowohl die Männer als auch die Frauen trugen eine Art Chiton. 

Ich sah an mir hinunter und fühlte mich noch mehr fehl am Platz als zuvor. Meine staubige Archäologen-Kluft und meine zerzausten, hellen Haare stachen sofort ins Auge. Ich hatte kein antikes Geld dabei. Nur der Verursacher allen Übels ruhte schwer in meiner Tasche. Ja, ich war mir sicher, dass diese Münze daran Schuld war, dass mich nun zweitausend Jahre von meiner Realität trennten. Ich konnte sie aber nicht ausgeben, vielleicht war sie ja mein einziger Weg zurück. 

Ich huschte ziellos durch Seitengassen und Schatten, immer auf der Hut die Aufmerksamkeit nicht auf mich zu lenken. Nur zweimal kam es vor, dass mich ein Kind und später eine junge Frau misstrauisch beäugten. Ich hatte schließlich Glück und kam an eine, an einen Esel gespannte, Art Kutsche. Sie war schwer beladen von Stoffen in weiß, grau und sämtlichen blau-Schattierungen. Es war falsch, aber was blieb mir übrig zu tun? Ohne groß nachzudenken riss ich einen Chiton aus dem Haufen. Ich wollte gerade schnellstmöglich verschwinden, da packte mich unsanft eine Hand an der Schulter. "Elendes Gesindel!" Es war eine tiefe, etwas betrunken wirkende Stimme die mich in kalten Schweiß ausbrechen ließ. Ich hatte gar keine Nerven mich umzudrehen. Zu meinem Glück war der Mann nicht nüchtern, so war es mir ein Leichtes mich geschickt aus seinem Griff zu winden und mit Adrenalin vollgepumpt doch noch den Weg in eine Seitenstraße zu schaffen.

Es war ein langer Prozess bis sich meine Atmung endlich wieder beruhigt hatte, hoffentlich folgte mir niemand. Erst jetzt kam ich so richtig zum Nachdenken. Warum war ich hier? War es Zufall oder gab es, wie Ajax gemeint hatte, eine Prophezeiung die es ausgerechnet von mir zu erfüllen galt? Die Ungewissheit machte mir Angst. Ich war kein ängstlicher Mensch, wirklich nicht. Aber das war alles einfach zu viel. Die Zeit ist etwas, in die man nicht eingreifen kann. Ich war hilflos, trotzdem würde ich mich nicht so einfach geschlagen geben. Ich hatte einen Anhaltspunkt, die Münze und musste jemanden finden, der mir mehr von Chronos erzählen konnte, vielleicht war so etwas ja schonmal vorgekommen. Ich hatte nie an Götter geglaubt. Spätestens jetzt würde mich aber nichts mehr wundern und ich konnte mir gut vorstellen, dass mehr hinter all dem steckte als ein Fiebertraum oder eine Illusion meinerseits. Ich zog mir also meine neue Bekleidung an und machte mich wieder zurück auf den Weg zum Tempel, in der Hoffnung, dass Ajax ihn inzwischen verlassen hatte.  Meine erste Nacht würde unter dem Schutz Athenes stattfinden.

Die Drachme Des ChronosHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin