Prolog

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"Hey Bianca, darf ich auch mal trinken?", Lennard wischte sich eine verschwitzte, dunkle Locke aus dem Gesicht und sah mich erwartungsvoll an. "Klar", ich nahm noch einen letzten Schluck und gab ihm meine Flasche. "Verdammt, es ist heiß hier" keuchte Lennard nach ein paar kräftigen Zügen. "Was hast du erwartet? Es ist Mitte Juli und wir sind in Griechenland. Aber stimmt schon, ich hätte mir auch mindestens etwas Wind erhofft. Wir sind wohl einfach zu weit von der Küste entfernt." Ich blickte Lennard vorwurfsvoll an, als er mir eine zur Gänze geleerte Flasche wieder in die Hand drückte. Er schien das gar nicht zu bemerken, Lennard sah sich kurz in alle Richtungen um und ließ sich anschließend seufzend auf den staubigen Boden plumpsen. Es dauerte nicht lange, da lag er, mit ausgestreckten Beinen und dem stereotypischen Archäologen-Hut tief ins Gesicht gezogen, dösend auf einem Fundament hundertmal älter als wir es waren. Ich konnte bei derartiger Ignoranz nur die Augen verdrehen.

Noch einmal blickte ich in den Himmel. Das grelle Licht der Mittagssonne stach mir in die Augen, keine Wolke war zu sehen. In ein paar Metern Entfernung wühlten meine Kollegen im Dreck, voll Hoffnung, Schätze in Form von Tonscherben oder vielleicht sogar ein paar Münzen zu finden. Der Leiter der Ausgrabung, Dr. Davis, saß abseits auf einem Klappstuhl und blätterte in der Zeitung. Wohl wissend, dass diese Expedition nicht sonderlich vielversprechen war. Ansonsten hätten Studenten wie Lennard, ich oder die anderen nicht ohne Aufsicht vor uns hin buddeln dürfen. Gedankenverloren ließ ich meinen Blick über den Boden schweifen, da sah ich es in meinem Augenwinkel aufblitzen. Ich ging einen Schritt zur Seite und bückte mich, um mir die Stelle nochmal genauer ansehen zu können. Und tatsächlich! Eine große, runde Tetradrachme.

Ein zweiter Blick reichte und ich konnte erkennen, dass sie sich von den anderen Schaustücken, wie man sie im Museum oder während meines Studiums zu sehen bekam, unterschied. Es war weder eine Eule mit Olivenzweig, noch Athene selbst auf ihr abgebildet. Ich nahm sie in die Hand und wischte über die Münze, was völlig überflüssig war, da sich komischerweise weder Staub noch Schmutz auf ihr abgelagert hatte. Das Profil eines mir unbekannten Mannes, vermutlich ein Gott, war abgebildet. Er hatte scharfe Züge und etwas weiter unten war in altgriechischer Schrift "Χρόνος" eingraviert. Im antiken Griechenland war "Chronos" die Personifizierung der Zeit und in manchen Mythen wurde er sogar als Titan beschrieben oder mit dem jüngsten Sohn des Titanengeschlechts, Kronos, in Verbindung gebracht. Ich bekam ein mulmiges Gefühl im Magen, wenn ich an die teilweise verstörenden Sagen dachte, die sich um ihn rankten. 

Dr. Davis würde sicher erstaunt über einen derartigen Fund sein. Ich richtete mich auf. Wohl etwas zu schnell, denn ich hatte einen ohnehin schwachen Kreislauf und das in Kombination mit der Hitze war zu viel. Meine Knie wurden weich und dieses bekannte Flimmern trat in mein Blickfeld. Dieser Zustand würde für nicht mehr als 10 weitere Sekunden andauern, umso überraschter war ich als das Schwindelgefühl in meinem Kopf immer stärker wurde. Es fühlte sich an, als würde mir der Boden unter den Füßen weggerissen werden. Verschwommen nahm ich einen pochenden Schmerz im Hinterkopf wahr. Ich musste wohl umgefallen sein. Mir wurde einfach nicht schwarz vor Augen, stattdessen schien das Blenden der Sonne immer greller zu werden. Ich verlor das Gefühl für meinen Körper. Panik, Angst, ich fühlte nichts davon. Da war nur ich und dieses unaushaltbar helle Licht, zu blendend, um von der Sonne zu stammen-

Die Drachme Des ChronosWhere stories live. Discover now