Der frühe Vogel explodiert

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Jetzt guckt der Professor Leon leicht enttäuscht an und bittet kleinlaut: „Ach Schatz, schon? Ich dachte, wir können gemütlich frühstücken, ehe du zur Uni gehst! Bleib doch noch was sitzen." Leon runzelt die Brauen und fragt: „Zur Uni? Welche Uni? Ich bin doch kein Student!" „Jetzt schon!", erklärt Layton freudig, und steht auf, um eine Akte hervor zu holen, die er Leon reicht. Sofort schlägt der die Kladde auf und sieht sich den Inhalt an: Ein Studentenausweis mit seinem Namen und Foto, ein Stundenplan, eine Karte mit einem Grundriss und eine Liste mit Aufgaben. Diese liest Leon sich interessiert durch.

Einige der gelisteten Aufträge sind recht nachvollziehbar und kommen ihm sogar entgegen, etwa: „Gehe zur Bibliothek" und „Recherchiere zu Umbrella". Auch die Punkte: „Belege den Grundkurs Geographie und lerne mehr über diesen Ort" oder „Nimm an der Vorlesung 'Raketen selber bauen' teil" und „Lerne ein neues Waffenrezept" sagen ihm zu. Sogar mit: „Hilf dem Hausmeister bei der Rattenplage" und „Esse in der Cafeteria für mehr Gesundheit" kann er was anfangen. Aber den Punkt: „Schließe eine neue Freundschaft" versteht er nicht. Wozu soll er sich mit jemandem anfreunden?

Dann sieht er sich die Belohnungen an. Alle Aufträge geben zwischen 200 und 500 Karma, durch ein kleines lila Dreieck gekennzeichnet. Nur die Freundesaufgabe gibt 5000 Karma. Leon kennt die Währung zwar nicht, aber dieser krasse Anstieg zeigt ihm schon, dass der Auftrag wichtig ist, um vorwärts zu kommen. 'Vielleicht muss ich eine bestimmte Person auf meine Seite ziehen.', vermutet Leon, 'Nun, wenn es soweit ist, werde ich sie schon erkennen. Ich schaff das!' Er strafft die Schultern und steckt die Akte ein.

„Alles klar. Wann geht es los?", fragt er dann Layton, der ihm diese Nebenquests schließlich aufgibt. Der erwidert leicht ausweichend: „Naja, die Uni fängt um 9 an. Ich weiß ja, dass du Frühaufsteher bist, darum bin ich halt schon aufgestanden. Aber wir haben noch ne Menge Zeit. Warum gehst du nicht etwas in den Garten und ruhst dich noch was aus, Schatz?" Leon zuckt unter dem Kosenamen wieder zusammen. Dann sieht er auf seine Armbanduhr, die ihm kurz vor halb sieben anzeigt. 'Viel zu spät für einen Soldaten!', höhnt es wieder in ihm und Leon fragt sich, wie er so lange schlafen konnte. Ob der Professor ihm was gegeben hatte?

Leicht nervös schaut Leon aus dem Fenster, zuckt dann mit den Schultern und findet: „Okay. Dann sehen wir uns um 700 Stunden wieder. Ich will nicht zu spät kommen!" Noch ehe der Professor etwas darauf erwidern kann geht Leon durch den Durchgang zum Speisezimmer. Dort sieht er sich einmal gründlich um. Zwei Vitrinen mit schönem Nippes stehen an einer Wand, gerahmt von mehr dekorativen Vasen. Leon tritt diese um und schlägt die Scheiben ein, findet aber nichts Nützliches, also steckt er bloß eine kleine Puderdose ein. Dann sieht er die Terrassentür und tritt hinaus in den Garten.

Die Luft draußen ist kühl und duftet nach Gras und Blüten. Der Garten steht in sattem Grün, die Blätter und Gräser neigen sich sachte hin und her, von einem lauen Lüftchen getrieben. Grillen zirpen und ein fernes Zwitschern zeugt von Mauerseglern und Schwalben, die in der Nachbarschaft nisten müssen. Es sieht friedlich aus. Verdächtig friedlich. Leon betrachtet skeptisch die sauber gepflasterte Terrasse, von der ein geschlungener Weg an Blumen und Büschen vorbei zu den Bäumen abgeht.

Ein paar gelbe Kisten mit Polstern stehen an der Hauswand, die er wie eben kaputt tritt, doch wieder findet er nichts außer Trümmern, mit denen man allenfalls ein Fenster verbarrikadieren könnte. Genervt geht Leon weiter und zieht seine Pistole. Immerhin eine Menge Traumfänger, Spiegelscheiben und Windlichter hängen vom Dach der Terrasse und in den umliegenden Bäumen, also beginnt Leon sie runter zu ballern. Doch obwohl er alles trifft, findet er nirgends Münzen oder Patronen, und langsam geht ihm die Munition aus.

„Verdammt noch eins! War ich hier etwa schonmal?", flucht Leon frustriert. Dann sieht er ein Nest in einem Baum und zielt darauf. Ein roter Vogel guckt plötzlich heraus. Leon nimmt die Waffe kurz wieder hoch, zuckt dann aber die Schultern und meint: „Ach egal. Letzter Versuch!", und schießt auf das Nest. Der rote Vogel flattert auf und fängt unverhofft an, Leon aus zu schimpfen: „Hey du Vollidiot! Hast du sie noch alle? Lass endlich die Knallerei sein, das is mein Zuhause!"

Leon strauchelt ein paar Schritte zurück und schnauft verwirrt: „Was? Seit wann können Kardinäle sprechen lernen?", während das wütende Tier näher flattert. Dann hebt er erneut die Pistole und schießt den Vogel ab, der in eine kleine Wolke roter Federn zerplatzt. Leon will sich gerade wieder fassen, als ihn erneut eine Stimme anschreit: „Sag mal bist du völlig bescheuert? Dafür mach ich dich fertig!" Und dann taumelt eine kugelrunde Krähe auf ihn zu, deren winzige Flügel sie eigentlich gar nicht tragen dürften. Leon weicht weiter zurück, hält aber die Pistole auf das Federvieh gerichtet und erinnert sich: 'Rabenvögel klauen Juwelen. Vielleicht hat das Vieh endlich welche!' Und als er einen klaren Schuss hat, ballert er auf die Krähe. Die daraufhin explodiert.

Leon registriert halb, wie er wieder zu sich kommt. Layton tupft ihm die Stirn mit einem feuchten Lappen ab, und sagt wohl etwas zu ihm, aber Leons Ohren klingeln noch von der Explosion. Dann schüttelt er den Kopf und versucht auf zu stehen, aber der Professor hält ihn zurück. Leon will ihn schon wütend von sich stoßen, als er dessen Gesichtsausdruck bemerkt. Er sieht sehr besorgt und etwas traurig aus. Dann hört er endlich, wie er zu ihm spricht: „Liebling, bitte hör mir zu. Hör mir einfach zu, okay? Du muss nicht töten. Und du musst nicht zerstören. Wenn du etwas brauchst, dann kannst du es dir nehmen, okay? Du bist hier zuhause!"

Leon starrt den Professor an. Zum ersten Mal betrachtet er ihn nicht als Gegner, sondern wie einen Zivilisten. Sein leicht viktorianischer Kleidungsstil lässt ihn älter wirken, aber er müsste etwa in Leons Alter sein. Sein Gesicht wirkt schlicht, fast kindlich, und irgendwas stimmt mit den Augen nicht. Aber dennoch ist sein Blick ehrlich, fast flehend. Er hält Leon an der Schulter und versucht ihm klar zu machen: „Das gehört hier alles dir! Und wenn du mehr willst, kannst du es mir sagen. Du brauchst nicht alles zu räubern und verbrannte Erde zurück lassen." Dann wendet er sich dem Garten zu und meint leise: „Auch wenn das sicher keine Absicht war."

Da fällt Leon endlich auf, was für ein Schlachtfeld hinter ihm liegt: Zwei Bäume wurden entwurzelt, mehrere Büsche stehen in Brand und dort wo ein Blumenbeet sein sollte, klafft ein Krater. Leon setzt sich langsam auf, klopft sich verlegen den Staub von der Hose und murmelt: „Was fressen die Vögel bei dir? Nitroglyzerin?" Layton zuckt leicht die Schultern und erklärt: „Das war Bombo. Er und Red sind Wutvögel..." „Das hab ich gemerkt, dass die wütend sind.", gibt Leon zurück, aber Layton stellt klar: „Nein, das ist ihre Art! Es sind Vögel aus Angry Birds. Die... können explodieren."

Es sieht aus, als wolle er noch mehr sagen, hält sich dann aber zurück. Leon grübelt. Ob er doch noch in der Nähe von Alaclar ist? Vielleicht hatte Umbrella hier Freilandversuche mit der Bevölkerung und den Wildtieren gemacht. Und Layton gehörte zum Personal und war darüber verrückt geworden. Die Umgebung sieht zumindest wieder etwas vertrauter aus, jetzt wo Dunst und Staub den Garten vernebeln und die zerstörten Pflanzen sich in den grauen Himmel recken. Leon beschließt erstmal weiter mit zu spielen und alles genau zu beobachten. Vielleicht ist diese Uni tatsächlich eine verlassenen Forschungsanstalt zu der Layton ihn bringen soll.

Sterben nach dem TodWhere stories live. Discover now