„Naja, eher abgeholt und hergebracht. Von ihrer Lieblingspizzeria in Rom. Sie ist doch Italienerin. Wer kämpfen will muss gut essen, hat sie gesagt. Was? Warum schaust du mich so an?"

„Nichts." Ich schüttle den Kopf. „Ihr zwei seid echt ein Phänomen."

Roxy führt mich in ein kreisförmiges Gewächshaus mit einem gewölbten Dach. Zitronenbäume und knorrige Oliven wachsen aus dem terrakottagefliesten Boden und strecken ihre dunklen Zweige bis unter das Kuppeldach. In den dickeren Ästen hängen silberne Laternen. Darunter, verteilt in Korbstühlen um einen kleinen Tisch voller Pizza-Kartons sitzen die Alumni von Stormglen Manor. Auf der Rückseite des Raums liegt ein offener Durchgang zum nächsten Teil des Gewächshauses. Im weniger werdenden Licht erkenne ich die Umrisse von Demetras Steinblock und der zierlichen Frau darauf.

„Hat sich irgendwie richtig angefühlt heute in ihrer Nähe zu bleiben", flüstert Roxy, die meinem Blick gefolgt ist, während wir uns Stühle zurückschieben.

Faustia nickt mir zu, ein Pizzastück in der Hand und im Mund.

„Ihh!" Angewidert hebt Roxy den Deckel eines Pizzakartons an und schielt auf den Inhalt. „Welcher abnormale Mensch unter euch hat Pizza-Hawei bestellt?"

Faustia deutet auf Eric, immer noch mit vollem Mund. „Der", nuschelt sie, „aber jetzt ischt er gar nischts."

Es stimmt. Eric sitzt mit verschränkte Armen in seinem Stuhl, den Blick gen Himmel gerichtet. Nicolas ihm gegenüber sieht ähnlich aus. Ich kann die beiden verstehen. Im Gegensatz zu Faustia und Roxy ist mir der Appetit im Angesicht der kommenden Stunden gründlich vergangen. Ist wohl genau wie vor wichtigen Klassenarbeiten: Manche fangen an zu essen, wenn sie nervös sind, andere hören damit auf.

Alibimäßig kaue ich auf einem Stück Margarita herum, während Roxy und Faustia sich schon über die zweite Schachtel hermachen. So wie wir da sitzen, hätte man meinen können wir seien im Urlaub irgendwo im Süden. Schüler und Lehrer auf Studienfahrt, die gerade gemeinsam den Abend auf der Hotelterrasse am Pool ausklingen lassen. Die einzige, die nicht ganz ins Bild passt ist Demetras bewusstlose Gestalt im Hintergrund. Gut, mit viel Fantasie könnte sie vielleicht als römische Götterstatue durchgehen. Würde immer noch glaubhafter wirken als die Wahrheit: das Krisentreffen der Anführer einer uralten Institution am Vorabend einer Schlacht, die über die Zukunft der gesamten magischen Welt entscheiden konnte.

Obwohl weder Nicolas noch Eric etwas essen bleiben sie trotzdem da. Stillschweigend scheinen wir zur Übereinkunft gekommen zu sein, dass wir eine Nacht wie diese, trotz unserer vielen Unterschiede, lieber gemeinsam als allein verbringen wollen. Ich zumindest bin froh über die Anwesenheit der anderen. Allein der Gedanke einsam im Kollegium der Schatten auf Damons Ankunft zu warten löst in mir schon eine halbe Panikattacke aus.

Als Faustia und Roxy fertig sind schweigen wir nur noch, bis Nicolas irgendwann, die leeren Kartons vom Tisch fegt und eine Whiskyflasche an ihren Platz stellt.

„Kleine Spende von meinem Kollegium", verkündet er, während er Gläser dazustellt.

Eric hebt eine Braue. „Hast du Eleanors Bar geplündert?"

Nicolas zuckt nur mit den Schultern. „Wenn das hier die letzte Nacht meines Lebens ist, werde ich sicher kein Wasser trinken. Du?"

„Naja. Wenn du mich so fragst..."

Nicolas schenkt ein, jedem einen Schluck und reicht die Gläser an uns weiter. Über uns färbt sich der Himmel hinter der Glaskuppel allmählich dunkelorange. Golden, fast wie die Flüssigkeit in unseren Gläsern. Die Schatten der Oliven werden länger, kriechen bis vor unsere Füße und den Schein der Laternen, die über unseren Köpfen zwischen den Ästen baumeln.

„Also dann..." Nicolas hebt sein Glas. Von draußen dringt das leise Zirpen von Grillen und das Knistern ferner Lagerfeuer zu uns herein. „Meine Damen. Es war mir eine Ehre", sagt er und lehrt das halbe Glas in einem Zug.

Eric beäugt ihn schräg. „Du sprichst, als wären wir schon tot. Soll das die Moral heben?"

„Glaubt ihr, Damon macht sowas?" Faustia hat die Füße vor die Brust gezogen, als wolle sie sich in ihrem Korbstuhl absichtlich klein machen und mit den Pflanzen im Hintergrund verschmelzen. „Und töten, wenn wir verlieren?"

Roxy schnaubt. „' Türlich. Er wird ein Exempel statuieren."

„Ja, aber nicht an euch." Nicolas schwenkt den Rest seines Whiskeys im Glas. „Damon mag vieles sein, aber kein Sadist. Er tötet nicht aus Spaß, sondern aus Berechnung. Wenn er über Fabelreich herrschen will und irgendeine Akzeptanz bei der Bevölkerung erreichen will, kann er nicht einfach jeden umbringen, der mal auf der anderen Seite stand. Vor allem euch nicht. Hinrichtungen von Kindern kommen nie gut an. Und das seid ihr in seinen Augen. Verkleidete Kinder, aufgehetzt von Verrätern wie Eleanor und mir. Damon ist ein Pragmatiker. Er weiß, dass er nach außen hin mit Barmherzigkeit und Härte zugleich herrschen muss. Wenn wir verlieren und er euch in die Finger kriegt, wird er euch dreien erlauben in die Verbannung zu gehen, da bin ich mir sicher. Gnade für die irregeleiteten Kinder. Strafe für die erwachsenen Verräter." Er nickt in Erics Richtung und die beiden tauschen Blicke wie in grimmigem Einverständnis. „Mich hasst er ohnehin. Nicht so sehr wie Eleanor vielleicht, dafür war ich ihm immer zu unwichtig, aber genug, um seinen Zorn an mir auszulassen. Eric könnte noch ne Begnadigung kriegen, wenn er ihm die Treue schwört-"

„-vergiss es!" Eric schnaubt auf vor freudlosem Lachen. „Hätte zwar nie gedacht, dass ich das mal sagen würde, aber: Lieber an deiner Seite sterben, als Damon dienen."

„Dann verlieren wir also besser nicht", sagt Roxy, trocken wie immer.

Daraufhin verfallen wir in Schweigen. Wir sitzen da und warten, unter dem Schein der Laternen, jeder mit seinem Glas in der Hand, die Gesichter im Schatten verborgen, zusammen und doch jeder für sich. Die Sonne versinkt und der Himmel nimmt einen verwässerten Blauton an, wie verschüttete Tinte.

Minute um Minute vergeht, bis das letzte Licht verschwunden ist. Nicht mehr lange jetzt und der Mond wird aufgehen.

Worauf wartet Damon?

„Was, wenn er gar nicht kommt?", fragt Faustia nach einer Zeit in die Stille. Es muss mehr als seine halbe Stunde vergangen sein, seit das letzte Mal jemand von uns gesprochen hat.

Niemand antwortet. Wir alle haben uns diese Frage in den letzten Tagen gestellt. Was, wenn Damon es gar nicht darauf anlegt, uns mit Gewalt zum Aufgeben zu zwingen. Was, wenn er ganz andere Pläne hat, die wir nicht durchschauen können? Schlupflöcher im Ritual oder Leute, die er schon vor Jahren bei uns eingeschmuggelt hat? Womöglich ist genau in diesem Moment ein Verräter unter uns. Zwar können nur Nicolas und ich durch die finalen Schutzkreise um die Kapelle in unserem Kollegium dringen, dafür haben wir gesorgt, aber uns auszuschalten wäre nicht sonderlich schwer, wenn man es an allem anderen vorbei geschafft hat. Wie viele loyale Wächter hat Damon an seiner Seite? Wer hätte es riskiert als Spion unter uns zu leben? In den letzten Wochen haben wir jeden Wächter, der helfen wollte durchleuchtet. Es kann einfach nicht sein, dass wir wieder einen Fehler gemacht haben.

Aber mit jeder Minute, die vergeht, zweifele ich mehr daran.

Schließlich hören wir es endlich. Das tiefe Brummen eines Horns in der Ferne.

Einen Moment lang sitzen wir alle nur da. Reglos, während um uns herum das Chaos ausbricht, als hätte sich mit einem Mal eine stundenlang gespannte Bogensehne gelöst.

Nicolas leert sein Whiskeyglas. Dann beugt er sich vor und stellt es auf den Tisch zurück, mit einem leisen Klong, das in der Stille des Gewächshauses hallt. Er hebt den Kopf, halb ernst, halb spöttisch lächelnd. „Damon ante Portas." 

FabelblutWhere stories live. Discover now