Mein Blick geht aufs Meer, über die Schaumkronen der Wellen, golden im Nachmittagslicht. Auf den Gewächshäusern reflektiert das Sonnenlicht, die Luft brummt vor Insekten, aufgeweckt von den ersten warmen tagen. Zu unseren Seiten neigen und strecken sich die mächtigen Eichen des geteilten Waldes im lauen Wind. Es ist ruhig, fast friedlich.

Dann läuft schon Roxy auf mich zu und mein Frieden findet ein jähes Ende.

„Was habe ich verpasst?", frage ich sie, während ich in meinen grauen Umhang schlüpfe.

„Asteria und die Rebellen sind gekommen"; erklärt mir Roxy atemlos, „Hättest du sehen müssen, war beeindruckend, ihr Zug hat sicher den ganzen Weg bis zur Siedlung gereicht."

Das dürfte zwar eine von Roxys Übertreibungen sein, aber ich bin trotzdem zufrieden. „Gut. Will Asteria mich sprechen?"

„Nein. Sie hat gesagt, dass sie allein sein will, bis Damon gesichtet wird. Schätze sie meditiert oder betet oder was die Elfen eben sonst so vor wichtigen Kämpfen tun."

Ich nicke. „Dann werden wir sie eben in ein paar Stunden stehen. Was ist mit Damon? Haben die Späher ihn schon gesichtet?"

„Nein. Aber..." Roxy zögert und wirft mir einen unsicheren Blick zu. „Aus einer versteckten bucht an der Nordseite der Insel ist eine Bootsflotte ausgelaufen. Schiff besetzt mit Fabelwesen. Es sind viele, aber unser Späher denkt, es wird trotzdem nur ein Teil von Damons Armee sein. Sie können bei Sonnenuntergang hier sein."

„Dann hatten wir Recht. Damon hat einen Teil seiner Truppen in Fabelreich stationiert, nicht in der Menschenwelt. Haben die Späher sie angegriffen?"

„Sie haben es versucht. Die müssen Abwehrsysteme für Angriffe aus der Luft haben. Nur ein Phönix von unseren Spähern hat überlebt."

Ich beiße mir auf die Lippe. Das waren keine guten Neuigkeiten. Unsere Luftabwehr war ein zentraler Plan der Verteidigung. Wenn wir nichts haben, dass diese Schiffe ausschalten oder in Brand stecken kann, müssen wir warten, bis ihre Truppen an Land gehen.

„Da ist noch was", sagt Roxy langsam, „Der Phönix hat vorne am Bug des Schiffes einen Mann entdeckt. Zuerst dachte er, es sei Damon Blackwell. Die Ähnlichkeit muss wohl ziemlich groß gewesen sein. Nur der Mann auf dem Schiff war...jünger."

Mortimer.

In meinen Hals formt sich ein Kloß. Er muss ganz schön schnell in der Gunst aufgestiegen sein, wenn Daddy ihm jetzt sogar schon einen Teil seiner Truppen anvertraute. Andererseits war Damon die Alternative zwischen einer Horde blutrünstiger Furien, der Verräterin Constanze und dem eigenen Sohn wahrscheinlich nicht besonders schwer gefallen.

„Danke, Roxy", sage ich, um das Thema zu wechseln. „Gibt es noch etwas zu tun?"

Sie schüttelt den Kopf. „Alle wissen Bescheid. Sobald die Lärmfeuer brennen geht jeder auf seinen Posten. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen bis Sonnenuntergang ausruhen. Wir haben die Küchen aufgestockt, sodass wir mit allen Kämpfern zusammengerechnet drei Tage Belagerung aushalten könnten."

„Hoffentlich wird es dazu nicht kommen." Auch das ist wieder so eine Sache über die ich nicht richtig nachgedacht habe. Was passieren wird, wenn Damon nach dem verpassten Ritual nicht besiegt abzieht, sondern sich trotzdem das Kolleg unter den Nagel reißen will. Ewig können wir nicht gegen ihn kämpfen, wenn wir hohe Verluste vermeiden wollen. Irgendwann müssen wir aufgeben und uns damit zufriedengeben, Damon wenigstens seine Weltherrschaftspläne vermiest zu haben. Zumindest für ein Jahr. Wer weiß, wie lange man Eleanors Blut aufheben kann.

„Magst du mit ins grüne Kollegium kommen? Die anderen Alumni sind auch da. Wir haben beschlossen zusammen zu warten. Faustia hat Pizza bestellt."

„Pizza bestellt?"

FabelblutWhere stories live. Discover now