Kapitel 44

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Fynn

Eine eisige Hand packt meinen Nacken und zerrt mich vor einen mahagonibesetzten Schreibtisch. Mein Vater thront über mir und drückt mir einen Kugelschreiber in die Hand, der Tonnen zu wiegen schient.

„Es ist Zeit, die Firma zu übernehmen, Fynn", sagt mein Vater, die Augen kalt wie Stahl. Sein Gesicht wirkt unmenschlich, als wäre es aus Wachs.

„Sei wie ich, Fynn", flüstert er, doch auch seine
Worte sind gefüllt mit einer Leere, die mich erschaudern lassen. „Nur so wirst du es jemals zu etwas bringen im Leben."

„Nein", murmle ich, doch meine Stimme ist kaum zu hören. Vielleicht höre ich sie auch nur in meinem Kopf. Mein Vater zeigt jedenfalls keine Reaktion. Plötzlich beginnt meine rechte Hand sich zu bewegen und der Kugelschreiber führt automatisch meine Unterschrift unter dem Vertrag aus. Sie ist wie ferngesteuert und ich wehre mich dagegen, doch es bringt nichts. Das zufriedene Lachen meines Vaters lässt meine Haare zu Berg stehen und ich schaue verzweifelt auf meinen krakeligen Namen auf dem Papier, der meine Zukunft besiegelt.

Es ist kurz vor halb fünf morgens, als ich schweissgebadet aus dem Schlaf hochfahre. Sally liegt friedlich neben mir, ahnungslos von dem Sturm, der gerade in meinem Inneren wütet. Mein Herz trommelt so heftig gegen meinen Brustkorb, dass ich befürchte, es würde gleich ein Loch rein schlagen. Ich hatte schon lange keinen so gruseligen Albtraum mehr gehabt. Doch dieser hatte mich fest im Griff und hüllt mich in düstere Gedanken, die ich auch jetzt wo ich aufgewacht bin, nicht mehr losbekomme. Es ist, als würde ich die Stimme meines Vaters immer noch hören. Wie ein Echo, dass in meinem Kopf widerhallt.

Leise befreie ich mich aus meiner Decke und schiebe mich aus dem warmen Bett. Mein T- Shirt ist so verschwitzt, dass ich es mir kurzentschlossen über den Kopf ziehe und auf den Fussboden werfe. Ich schwanke durch das dunkle Zimmer, bis zum Fenster, welches ich aufreisse. Kühle Nachtluft streift mein Gesicht, doch ich fühle mich, als würde ich gleich ersticken. Die altbekannte Panik schleicht sich wie ein Eindringling in meine Brust und schnürt mir die Kehle zu. Es ist das erste mal seit Jahren, dass ich eine so heftige Panikattacke habe. Die letzte hatte ich mit fünfzehn. Damals lag ich mit Angina im Bett und war übers Wochenende wieder einmal alleine zu Hause. Auch damals hatte ich komische Träume, vermutlich bedingt durch das hohe Fieber. Ich war mitten in der Nacht aufgewacht und hatte das Gefühl, an Atemnot zu sterben. Damals endete ich als zitterndes Häufchen Elend in der Notaufnahme, die ich dann kurzerhand angerufen hatte.
Inzwischen weiss ich, dass mich eine Panikattacke nicht umbringen kann. Das es sich trotzdem so anfühlt, kann diese Gewissheit aber auch nicht ändern.

Verzweifelt reibe ich über meine Schläfen, kämpfe gegen die aufsteigenden Gedanken an, die mich immer tiefer in einen Abgrund zu ziehen drohen. Doch der Sog aus negativen Gedanken ist stärker und ich habe keine Chance.

Mit zitternden Händen stütze ich mich am Fensterrahmen ab, versuche verzweifelt wieder Kontrolle über meine Gedanken zu gewinnen, doch sie zerfressen mein Gehirn wie kleine Monster und lassen mich an mir selbst und allem was ich tue zweifeln. Meine Finger fahren durch meine Haare, auf der Suche nach dem letzten bisschen Halt, doch meine Atmung beschleunigt sich. Ich presse meine zittrigen Händen auf meinen Brustkorb, dort wo mein Herz wie ein Presslufthammer dagegen schlägt.

Mein Blick fällt auf die kleine Schachtel Zigaretten auf meinen Fenstersims. Ich habe sie seit dem Tag von Sally's und meinem Deal nicht mehr angerührt.
Ich will mich davon abhalten, doch eine innere, ziemlich hartnäckige Stimme flüstert, dass es mich beruhigen würde.

Ich habe es Sally versprochen", murmle ich, aber in dem Moment als ich nach der Schachtel greife, weiss ich, dass ich eh schon verloren habe.

Als der Rauch langsam aufsteigt, starre ich hinaus in die erdrückende Dunkelheit der Nacht und spüre erleichtert, wie sich mein Kopf langsam leert und die Panik nachlässt. Ich weiss, dass es eine trügerische Ruhe ist. Die Ruhe vor dem Sturm. Aber das ist mir in dem Moment egal.
Ich verharre noch einige Minuten in dieser Position, danach schleiche ich mich zurück zu Sally ins Bett.

Die Zigarette lasse ich im Aschenbecher liegen, ein stummer Zeuge meiner eigenen Schwäche.

*angefügt: Stillleben war die Zigarette ~ Jean Verdier

Vom Leben gezeichnetWhere stories live. Discover now