Hallo“, sage ich, doch es klingt eher wie eine Frage.
Er richtet den Blick auf mich und lächelt „Du bist die, die vorhin durch das Fenster gestalkt hat“
Erneut setzt mein Herz beinahe einen Schlag aus, doch ich verschränke die Arme vor meinem schwarzen Top. „Ich habe nicht gestalkt“, verteidige ich mich „Und außerdem stehst du hier gerade in meinem Cafe, also wer ist hier der Stalker?“
Sein Lächeln vertieft sich, als er entschuldigend die Hände hebt.
„Ich bin Luka“, stellt er sich dann unnötigerweise vor.
„Evangeline“, sage ich und gehe ein paar Schritte vor, dass wir uns gegenüber stehen. „Oder Eva. Oder Evie“
Er nickt. „Was möchtest du Luka“, frage ich, nehme ein Glas aus dem Regal hinter mir und gieße mir zuerst etwas Sirup und dann Mineralwasser ein.
„Ich-“, er blickt auf seine Hände, an denen zwei breite Silberringe sind. „Ich wollte fragen, ob ihr noch jemanden braucht“
Ich blinzle und nehme einen Schluck. „Wie meinst du?“, hake ich nach.
„Als Kellner zum Beispiel. Oder von mir auch aus Tellerwäscher“, er grinst und fährt sich mit der rechten Hand durch die aschbraunen Haare.
„Ja“, antworte ich, trinke das Glas in einem Zug aus und stelle es neben die Spüle. Luka blinzelt als hätte er nicht mit dieser Antwort gerechnet. „Wirklich?“, fragt er unsicher.
„Meine Mutter sucht schon lange einen verzweifelten Schüler, der sich für den Mindestlohn ausbeuten lassen will“, scherze ich.
Er lächelt ungläubig. „Jetzt wirklich?“, hakt er erneut nach.
Ich lache auf. „Ja, wirklich. Allerdings kann ich da nichts sagen, du musst dich selbst bei ihr bewerben“, ich hebe meine Hände und male Anführungszeichen in die Luft bei dem letzten Wort.
„Ich bin heute allein hier, aber morgen ist sie wieder da und dann kannst du sie fragen. Oder du kommst einfach mal rüber. Immerhin sind wir ja Nachbarn“
Luka beginnt zu strahlen. „Sehr gut!“, sagt er und stützt sich wieder auf seine Arme ab.
Ich lege den Kopf schräg und mustere ihn. Er ist etwa eins, fünfundsiebzig groß, hat einen scharf gezeichneten Kiefer, leichte Sommersprossen an den Wangen und eine athletische Statur unter dem weiten, beigefarbenen T-shirt.
Aus dem Augenwinkel sehe ich ein zaghaftes Winken. Es ist der Vierertisch. Die Frau mit den blonden Haaren. „Bin gleich wieder da“, sage ich zu Luka und gehe zu dem Tisch. „Alles okay bei euch?“, frage ich. „Könnte ich bitte noch einen bekommen?“, fragt sie und deutet auf ihr leeres Weinglas, in dem nur noch die Zitronenscheibe und ein fast geschmolzener Eiswürfel liegen.
„Natürlich“, lächle ich. „Ich nehme das Gleiche bitte auch“, schaltet sich die Frau mit dem alkoholfreien Weizen dazu.
Ich nicke und blicke die anderen beiden fragend an, die jedoch nichts neues brauchen.
Ich nehme die beiden leeren Gläser mit, frage im Vorbeigehen bei den beiden Pärchen, ob bei ihnen alles in Ordnung ist. Sie bejahen und der Mann mit der Brille sagt, dass die Platte sehr gut ist.
Zweifellos hat seine Frau ihm gesagt, dass er freundlich sein soll, denn sie nickt zufrieden bei seinen Worten.
Ich lasse den Eiswürfel aus dem Glas in die Spüle rutschen, werfe den Strohhalm und die Zitronenscheibe in den Biomüll, stelle die Gläser in die kleine Spülmaschine hinter der Theke und hole zwei neue Weingläser hervor.
Luka beobachtet mich. „Wieso willst du hier überhaupt anfangen?“, frage ich beiläufig, während ich in jedes Glas drei Eiswürfel fallen lasse.
„Ich hab schon in meiner alten Stadt gekellnert“, antwortet er „Und ich spare für eine neue Gitarre“
Ich ziehe eine Augenbraue hoch und mustere ihn erneut. Er sah genau wie jemand aus, der Gitarre spielt. „Du spielst Gitarre?“, frage ich trotzdem nach.
„Ja“, er verlagert das Gewicht. „Seit ich sieben bin“
„Wow“, sage ich ehrlich beeindruckt und versenke zwei neue Strohhalme in den Gläsern, stelle sie auf ein Tablett und bringe es zu dem Tisch.  „Ich bin wohl der unmusikalischste Mensch auf diesem Planeten“, sage ich und tippe schnell die beiden Cocktails in das Tablet auf den Tisch ein, bevor ich es vergesse.
„Ich kann nicht einmal Noten lesen“, erzähle ich weiter. „Ich muss immer von e hochzählen“
„Wieso denn von e ?“, fragt Luka verwundert.
„Weil das das unterste ist. In dem ersten Kästchen und das kann ich mir merken“.
Seine Mundwinkel zucken, als er sich über die Schläfen reibt. „Das ist das f“, in seiner Stimme klingt unterdrücktes Gelächter mit. Das Lächeln fällt aus meinem Gesicht. „Echt?“, frage ich nach. Er nickt nur.
„Hä nein“, widerspreche ich, nehme einen der Zettel und zeichne fünf Striche drauf und einen Kreis in den ersten Zwischenraum. „Hier“, sage ich, schiebe ihm den Zettel hin und tippe mit dem Kugelschreiber auf den kleinen Kreis.
„Das ist doch das e!“
Er sieht mich an, als wäre ich wahnsinnig geworden und schüttelt wieder den Kopf, sodass ihm eine Strähne der aschbraunen Haare in die Augen fällt. Er nimmt mir den Kugelschreiber aus der Hand und malt einen Kreis auf die Linie darunter. „Das ist das e“. Ich starre auf den Zettel.
„Hm“, mache ich dann, ziehe den Zettel zu mir her, zerknülle ihn und werfe ihn zu einer einsamen Servierte in den Papiermüll.
„Und du wolltest nie ein Instrument lernen?“
„Falsch“, sage ich, nehme eine Zitrone aus dem Kühlschrank und schneide neue Scheiben auf, damit ich etwas zu tun habe.
„Ich habe in der ersten Klasse Blockflöte gelernt“
Luka streicht die Haarsträhne zurück hinter sein Ohr und hebt eine Augenbraue. „Und?“
Ich zucke mit den Schultern, wische das Messer an einem gelben Lappen ab . „Ich wurde nach einem halben Jahr rausgeworfen“
„Was?“, lacht er ungläubig. „Ja“, bestätige ich. „Stell dir mal Klein-Evie vor, wie ihr gesagt wurde, dass sie nicht mehr am Kurs teilnehmen darf, weil ihre Flöte zu sehr quietscht, wenn sie Alle Jahre wieder spielt“
Er schüttelt ungläubig den Kopf. „Die Arme. Wirklich deswegen?“
Ich stütze die Hand in meine Hüfte. „Naja, ich denke, dass unsere Nachbarn sich beschwert haben, weil ich jeden Abend draußen auf der Terrasse geübt und die ganze Nachbarschaft zusammengeflötet habe“
Die ersten Töne von Running up that hill erklingen aus den Boxen.
„Aber immerhin hast du einen guten Musikgeschmack entwickelt“. Ich lächle ihn an. „Danke. Willst du was trinken?“
Doch er schüttelt den Kopf und rutscht von der Bank herunter.
„Tut mir leid, aber ich habe meiner Mum versprochen, auf Sophie aufzupassen, solange sie noch die letzten Kartons aus unserer alten Wohnung holt. Meine kleine Schwester“, setzt er noch hinterher. Ich nicke „Ich weiß. Wir sehen uns“, ich winke leicht. „Ja. Bis bald“, er dreht sich um und verschwindet aus dem Laden in den leisen Nieselregen, der eingesetzt hatte.
Ich seufze, zücke dann mein Feuerzeug und gehe durch den Raum, um alle Kerzen anzuzünden.
„Was war das denn für ein hübscher, junger Mann?“, fragt Rose, als ich zu ihrem Tisch komme.
„Unser neuer Nachbar“, antworte ich so neutral wie möglich.
„Aha“, macht sie und schmunzelt.
Als die Tür erneut aufgeht, weht ein frischer Wind herein.
Roxy kommt hereingestürmt und springt auf den Platz, wo ein paar Momente vorher noch Luka gesessen hatte.
Ich zünde die letzte Kerze an.
„Und wie war der Alexander?“, ich ziehe den Namen ihres Dates extra in die Länge, um auszudrücken, wieviel ich von ihm halte. Nämlich gar nichts.
Roxy wirft mir aus kayalumrandeten, bernsteinfarbenen Augen einen finsteren Blick zu.
„War ganz okay“, sie kratzt mit ihren langen, schwarz lackierten Fingernägeln an einem Fleck auf der Theke herum.
Ich werfe ihr den gelben Lappen zu. „Nicht auf dem Holz kratzen!“
Während Roxy mit dem Lappen den Fleck bearbeitet, ziehe ich die gespülten Gläser aus der Spülmaschine, hebe das Gitter an und stelle es auf die Ablagefläche, um die Gläser abkühlen zu lassen. Mit dem Fuß kicke ich gegen die Tür, um sie hochschnalzen zu lassen. Etwas, das ich nur tat, wenn ich allein war, denn meine Mum hasste es, wenn ich das tat, auch wenn bisher noch nie etwas kaputt gegangen war.
„Jetzt sag halt was“, sage ich schließlich. Ich hebe eine Flasche nach der anderen hoch, bis ich die richtige gefunden habe. In einem hohen Bogen gieße ich den lieblichen Weißwein in zwei Gläser, schiebe Roxy eines hinüber und nehme dann selbst das andere. „Stößchen“, murmelt sie. Die Gläser klirren leise, als sie gegeneinander stoßen. „Also es war ganz nett. Wir waren halt in diesem Cafe und haben was getrunken“
„Hat er dir endlich gesagt, wie alt er ist?“, ich kann den spöttischen Unterton in einer Stimme nicht unterdrücken.
„einundzwanzig“, antwortet Roxy und malt mit dem Zeigefinger Muster in das Kondenswasser am Glas.
„Hm“, mache ich erneut, gehe um die Theke herum und setze mich zu ihr auf die Bank.
„Aber er war echt nett“
„Ich weiß nicht. Irgendwie ist allein die Tatsache, dass er keinen Kaffee trinkt eine red flag“
„Du vergisst den Alkohol“, sie grinst und nimmt demonstrativ einen Schluck.
„Oh ja. Der tolle Polizist trinkt nicht, raucht nicht, nimmt keine Drogen und verbringt seine Freizeit damit, Bilder von sich im Fitnessstudio oder auf seinem Motorrad zu posten“. Ich stütze mein Kinn auf das Handgelenkt und tippe mit meinem Finger gegen meine Unterlippe.
„Aber wie war das nochmal? Er ist ja auch supergut im Erste-Hilfe leisten“
Roxy schnaubt leise „Ja genau. Mund-zu-Mund Beatmung“
Ich lache auf. „Junge der Typ ist so abgehoben“
„Das sind seine hohen Ansprüche“, der Sarkasmus trieft geradezu von Roxys Lippen.
„Du meinst seine Kompromisslosigkeit. Anders kann man das nicht nennen“, ich schüttle nur den Kopf.
„Und? Trefft ihr euch nochmal?“
Sie zuckt nur mit den Schultern.
„Roxana!“ Roxy dreht sich um. Es war Rose, die ihr freundlich zuwinkt
„Sie ist echt die einzige, die mich bei meinem vollen Namen nennt. Ich weiß nicht einmal, wie sie ihn herausgefunden hat“
„Mich nennt sie auch immer Evangeline“
Roxy verdreht die Augen, nimmt ihr Weinglas vom Tisch und geht mit schwingenden, dunkelbraunen Pferdeschwanz zu dem alten Ehepaar. Kurz sehe ich ihr nach, dann rutsche ich ebenfalls von der Bank und räume den Tisch der beiden Pärchen ab, die alle noch etwas zu trinken bestellen.

Cinnamon DreamsWhere stories live. Discover now