10 | Scherben und Alkohol

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»Also, was willst du reden?«, fragte ich Fede und hasste es, wie ablehnend meine Stimme klang.

»Ach, weiße, eigentlich nur übers Wetter.« Dass er angepisst klang, war nicht überhörbar.

Ich zögerte kurz. Wir liefen die Stufen zur Unterführung hinunter und der allumfassende Geruch nach Pisse und einer Duftkerze empfing uns. Letztere stammte von einem Penner, der auf ein paar versifften Matratzen sein Lager aufgeschlagen hat. Mir entging nicht, dass Fede seine Schwester hier unten noch mehr im Blick behielt als ohnehin schon. »Keine Ahnung ... war irgendwie schwierig ... gestern«, setzte ich an und suchte krampfhaft nach Worten. Wie ich weiter machen sollte. Doch da waren keine.

»War doch alles okay, so, wenn du nicht willst, ist das doch kein Ding. Aber ... ich finds halt scheiße, dass du mir gleich kommst mit Schwuchtel und du lässt dich nicht ficken und bla, als wär das was Schlimmes!« Fede schlang seine Hände um seine Rucksagträger und sah mich an.

Schnell löste ich meinen Blick. »Is mir nur so rausgerutscht ...«

»Und das sagt man auch nur, wenn man das so meint.« Er hob eine Augenbraue, während wir auf der anderen Seite der Schnellstraße die Treppen nach oben stiegen. Ich trat kräftig auf eine blaugelbe Durstlöscher-Packung.

»Ich weiß ja nicht, wies dir geht, aber ich für meinen Teil wurde oft genug dumm für meine Sexualität angemacht, dass ich mir das nicht noch im Bett geben will.« Ich sah in seinen Augen ein wütendes Funkeln, das drohte nicht schnell zu erlöschen. Mein Herz begann schneller zu schlagen. Was, wenn er mir jetzt sagte, dass das mit uns auf so einer Basis keinen Sinn hatte?

»Ey, ich schwör, ich hab das nich so gemeint! Ich hab danach selber drüber nachgedacht. Dass das Bullshit ist. Und ich wusste nicht, warum ich sowas sag, wenn ich es nicht mal denk! Ehrlich, du musst mir glauben!« Ich nahm die Verzweiflung wahr, die mich schneller sprechen ließ. Meine Stimme hektischer klingen ließ. Fuck, ey. Wäre ich nicht gefühlt seit zwei Tagen wach, würde das hier auch bisschen souveräner ablaufen. »Weiße ... das war, weil ich so ne scheiß Angst hab. Vor Nähe und so. Ich kann das nich. Aber ich will das. Aber ... ach, keine Ahnung, was weiß ich.« Ich versetzte einem der orangenen Mülleimer am Straßenrand einen festen Tritt und taumelte zurück. Wahnsinnig witzig stand darauf Becherbutler.

»Hey, komm her.« Auf einmal spürte ich Fedes Finger an meinem Arm, dieses Mal nicht um mich vom Rauchen abzuhalten. Dieses Mal zog er mich in eine enge Umarmung. »Ich versteh das«, sagte er leise.

Ich verharrte so, spürte seinen Herzschlag an seiner Brust. Für einen Moment tat es gut, einfach gehalten zu werden. Auch wenns mitten in Berlin war und das Verkehrsrauschen wie aus weiter Ferne zu mir drang.

»Und du hast alle Zeit der Welt. Du musst nichts, nur weil ich will«, fuhr er fort.

Ich lehnte mein Kinn gegen seinen Kopf, roch den Geruch seiner Haare nach Shampoo, als wäre er heute Morgen duschen gewesen. »Okay.« Meine Stimme klang brüchig und mit einem Mal fühlte es sich an, als hätte ich ein schweres Gewicht auf der Hantelbank nach mehrmaligem Stemmen endlich abgesetzt.

Ich spürte Fedes Hand, wie er sanft über meinen Rücken strich. Seine Haare, die mich an der Nase kitzelten. Und da wars kurz okay. Wie die Dinge waren.

Manchmal wärs schon geil gewesen, hätte man auch im Reallife die Starttaste drücken können, um den ganzen Scheiß für einen Augenblick stoppen zu können.


»Ey, mach mal mehr drauf«, fuhr ich Betül an, mit dem ich trainierte. Er nahm eine Zwanziger-Scheibe in die Hand. Steckte sie schrecklich langsam auf die Stange, während meine Gedanken wieder zu Fede gelangten. Wie er in mich eindrang. Wie würde es sich wohl anfühlen, so vollkommen von ihm ausgefüllt zu sein?

»Noch mehr.« Ich hatte meine Zähne aufeinander gepresst.

»Woho, da übertreibt heute aber einer«, lachte Betül und nahm eine weitere Scheibe in die Hand. Grinste gespannt, wahrscheinlich wollte er sehen, wie ich die Hantel sinken ließ. Doch nicht mit mir.

Ich ging bis an mein Limit, doch die Gedanken verschwanden nicht. Ich wollte Fede, wollte ihn so sehr. Wollte noch weiter gehen als das bisschen Oralsex bisher.


Ich dachte daran, als ich am Samstag mit den Jungs feiern ging und so 'ne Olle mit rotbraunen Locken bei uns landete. Sie hatte ein selbstbewusstes Grinsen und sie schien genau zu wissen, was sie wollte. Das war von unserem Laphroaig, das Zeug war fast so alt wie ich, trinken und dann auf meinem Schoß landen.

Hatte ich nichts dagegen. An ihrem abgebrochenen Schneidezahn glitzerte ein silbernes Steinchen, fast so funkelnd wie ihr Lidschatten. »Kommst du mit zu mir?«, flüsterte sie verheißungsvoll an meinen Lippen und natürlich war meine Antwort klar. Die Welt fühlte sich weich an und meine Bewegungen angenehm fahrig,

Natürlich taten wir bei ihr nicht viel, außer dass sie mich ins Bett zog und wir einander die Klamotten vom Leib rissen. Ihre Küsse schmeckten nach herbem Whisky und meinen Kippen und irgendwann hatte ich ihren Lippenstift in der Fresse kleben.

Es ging schnell, Kondom drauf, eindringen. Angestrengtes Atmen, Stöhnen. Als ich sie mit groben Stößen fickte, war da auf einmal Fede in meinen Gedanken.

Vielleicht würde er mich genauso ficken. Vielleicht würde ich genauso lustvoll stöhnen, wenn er mich nahm. Meine Finger in seinem Rücken vergraben, so wie sie es tat. Stellte mir vor, wie ich unter ihm lag, sein Gewicht auf mir und fickte sie nur noch härter.

Verdammt, ich wollte es. Wollte es so sehr.

Wollte spüren, wie er mich in seinen Armen hielt, die kräftiger waren, als ich ihm je zugetraut hätte. Loslassen, nur er war da. Er zeigte mir, wo es langging, er entschied für uns. Ich musste nichts machen als meinen Arsch herhalten für ihn.

»Oh, fuck«, keuchte ich, während ich kam. Meine Muskeln zuckten und ich ließ mich auf die Frau sinken. Ach ja, die war ja auch noch da. Nur langsam wurden meine Gedanken wieder klarer. Der neblige Dunst verschwand und mir wurde klar, dass ich nicht bei Fede war, sondern in so 'nem Zimmer mit absurd hässlichen Animepostern, und dazwischen dem ein oder anderen Bravo-Poster, das sie wohl vergessen hatte abzuhängen.

Ich zog das Kondom aus, verknotete es und schmiss es in Richtung eines kleinen Schuhregals. Dann zog ich sie an mich ran und schloss meine Arme um sie. Keine Ahnung, woher dieses plötzliche Nähebedürfnis kam, aber war manchmal auch okay.

Auf ihren Lippen tauchte ein Lächeln auf. Sie begann damit, meine Brust zu kraulen. Ihr weißer Nagellack war bereits abgeblättert.

Eine Weile herrschte Schweigen. In der Wohnung lief ein Fernseher, ich hörte ihr leises Atmen.

»Ey, wie fühlt sich das eigentlich an, so 'n Schwanz in sich zu haben?«, fragte ich sie. Versuchte, es beiläufig klingen zu lassen.

»Wie bekommst du jetzt darauf?« Sie lachte und sah ein wenig irritiert aus.

Ich spannte mich ein wenig an. »Interesse. Sag halt mal. «

»Weiß nich ...« Nachdenklich legte sie ihre Stirn in Falten. »Also, damals, so bei meinem ersten Mal schon irgendwie ... schmerzhaft. Echt ungewohnt am Anfang. Aber mittlerweile ... so normal.« Sie lachte und sah mich wieder an, doch ich wandte meinen Blick ab.

»Okay. Jetzt lass schlafen.«

Die Verlierer - Herz aus BetonWhere stories live. Discover now