Im Haus der Spiegel (2)

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„Passend. Du hast dich ja schon immer gerne als Gott inszeniert."

„Früher fandst du das anziehend."

Eleanor ignoriert ihn. „Also hast du beschlossen, die Fehler aller Schattenwächter vor dir zu wiederholen? Du hast heimlich und abgelegen einen Parallelstaat aus Nachtwesen aufgebaut. Beeindruckend. Und die Wächter haben das einfach so zugelassen? Ein Gefängnis, das für seine Gefangenen arbeitet und eine Armee aus missratenen Fabelwesen züchtet? Erzähl mir nicht, dass keiner im Kolleg was davon mitbekommen hat!"

„Das Kolleg sieht, was es sehen will", sagt Damon mit einem Lächeln. „So war es schon immer, so wird es auch immer sein. Harmoniesüchtige Nichtsnutze. Vollkommen naiv, was Macht und Aggression angeht."

„Dieses Gefängnis wurde überwacht. Es gab Berichte!"

„Natürlich gab es Berichte. Ich habe sie selbst diktiert."

Eleanor starrt ihn an. „Du hast deine Leute bei uns eingeschleust?"

„War nicht nötig. Im Kolleg gab es genug, die mir bereitwillig geholfen haben. Manche davon aus deinem direkten Umfeld. Oh, ja", fügt er mit einem halben Lächeln hinzu, als er Eleanors Miene sieht. „Ziemlich naiv von dir, jedem um dich herum zu vertrauen. Gerade du müsstest doch wissen, wie gefährlich Verrat ist."

„Ich glaube dir kein Wort", sagt Eleanor, aber aus ihrem Ton spricht das Gegenteil.

Auch Damon scheint das zu merken, sein Grinsen wird nur noch breiter. „Wie hätte ich sonst an dich rankommen können? Du hast dich jahrelang hinter der Magie des Kollegs versteckt, geschützt, vor meinem Zugriff. Dein Name musste aus diesem Buch verschwinden. Nur die Priora selbst hätte dich rauswerfen können."

„Und dafür musste Reigen sterben?"

„Ich gebe zu, Timing und Umstände liefen anders als geplant. Der Tod des Phönix war nicht vorgesehen. Sie hat Dinge mitbekommen. Aber dann fügte sich eins zum anderen, wie auf wundersame Weise. Das Kolleg hat dich ohnehin verdächtigt. Mein Kontakt musste das Feuer nur noch ein wenig anschüren. Und ehe du dich versahst, wurde aus der Alumna Eleanor die Mörderin Eleanor." Damon legt den Kopf schief und betrachtet Eleanor mit einem seltsamen Ausdruck, eine Mischung aus Genugtuung und Mitleid. „Es hat mich selbst überrascht, wie schnell Demetra dich fallen ließ. Hättest du das gedacht? Mit einem einzigen Federstrich wirft sie dich mir zum Fraß vor. Offenbar war ihre Treue zu dir nicht ganz so groß, wie deine zu ihr."

„Demetra wollte das nicht. Sie hat getan, was sie tun musste", sagt Eleanor, jetzt sehr langsam, mit Gewicht auf jedem Wort. „...was die anderen Alumni ihr eingeflüstert haben."

„-oder, was ich ihr eingeflüstert habe?"

 „Sie würde dir niemals helfen. Nie!"

„Wenn du meinst." Damon lehnt sich in seinem Thron zurück und überschlägt die Beine, jetzt sichtlich entspannter, als er zusieht, wie Eleanor schluckt und um Worte ringt.

„Warum?" Es ist zu dunkel, um Details zu erkennen, aber ich höre an Eleanors Stimme, dass sie Tränen in den Augen hat. „Dieser ganze Aufwand, nur um mich umzubringen?"

„Umbringen?" Damon klingt ehrlich überrascht. „Oh nein, meine Liebe, nein." In einer schwungvollen Bewegung löst er die Verschränkung seiner Beine und steht auf. „Du solltest wissen, wie es sich anfühlt", sagt er und steigt die Stufen des Altarraums hinunter. „Verraten, von denen, die man am meisten liebt." In ein paar Schritten ist er bei Eleanor. Dicht vor ihr bleibt er stehen, sein Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt. „Es hat dich entsetzt, oder?", flüstert er. „Wie schnell nach Reigens Tod die Hexenjagd begann. All die Jahre, in denen du gebuckelt und gehorcht hast, in denen du die Maske des Mittelmaßes getragen und deine Talente vergraben hast...diese ungeheuren Talente, diese unfassbare Macht. Und trotzdem war es nicht genug. Trotzdem warst wieder du der Sündenbock. Jedes Monster kommt aus dem Kollegium der Schatten, ist es nicht so?" Ohne Vorwarnung packt Damon Eleanor am Kinn und reißt es nach oben, sodass sie gezwungen ist, ihn anzusehen. „Ich wollte dir die Augen öffnen. Ich wollte, dass du es am eigenen Leib spürst. Sie haben sich nicht verändert. Für das Kolleg bist du ein Kettenhund. Eine Bestie, die man auf unliebsame Gäste und Eindringlinge hetzt, aber niemals auf seinem eigenen Sofa dulden würde."

Damons Worte versetzen mir einen Stich in der Magengegend. Nicht, weil sie unverschämt gewesen wären. Weil sie wahr sind.

„Siehst du jetzt, was es für Leute sind, die dich und deine Talente seit Jahren in Ketten halten?", fährt er fort, „Die du mir vorgezogen hast?"

„Im Moment bist du es, der mich in Ketten hält", sagt Eleanor kühl.

Damon senkt den Blick auf ihre gefesselten Hände. Als er wieder zu ihr aufschaut schüttelt er nachdenklich den Kopf. „Was ist passiert, Eleanor? Du warst meine beste Schülerin. Und mehr als das. Viel mehr. Ich dachte wir verstehen uns. Sehen einander, für das, was wir wirklich sind."

„Ich habe dich gesehen." Eleanors Stimme ist jetzt ebenso leise. „Wer du wirklich bist."

Damon scheint sie nicht zu hören. „Was hat Demetra dir versprochen, das ich dir nicht bieten konnte? Ich hätte dir die Welt gegeben! Du und ich gemeinsam... wir hätten die Wächter reformieren können, dieses ganze alte, unterdrückerische System. Wir hätten die verstaubten Eliten rausgeworfen, ihre alte Ordnung zerschmettert! Wir hätten Fabelreich besser gemacht." Damon fährt mit dem Daumen über Eleanors Kinn, sachte, aber ich sehe, wie sich ihr Körper sofort verkrampft. „Vorbei mit den ewigen Schuldkomplexen, für ein Talent, das uns geschenkt wurde. Vorbei mit den Demütigungen. Keiner hätte es mehr gewagt, uns herabzusetzen. Sie hätten uns den Respekt entgegengebracht, der uns gebührt. Wir beide hätten es schaffen können." Seine Finger zeichnen Eleanors Kiefer nach, streichen ihre losen Haare zurück, fahren über ihre Wangen und verharren dort. „Ich kenne dich, Eleanor. Ich weiß, was du suchst. Was du brauchst. Nach was du dich sehnst, mit allem, was du bist." Er senkt seine Stirn gegen ihre. Ich höre wie sie scharf ausatmet, aber sie weicht nicht zurück. „Ein hungriger Geist", haucht Damon. „ein hungriges Herz. Bei dir gehen beide Hand in Hand. Keiner hat dich je geliebt. Und selbst wenn, wer wäre dir gewachsen? Diesem Herzen, das für triviale Naturen ein bodenloser Abgrund ist?" Seine Hand schließt sich um ihre Wange, hebt ihr Kinn an. „Niemand. Nur ich." Seine Lippen schließen sich um ihre. Ein Schaudern geht durch Eleanors Körper. Zuerst scheint sie wie erstarrt, festgefroren im Schock.

Ich bin genauso geschockt. Mir wird schlecht. Ernsthaft.

Will mich hier eigentlich jeder verarschen?

FabelblutWhere stories live. Discover now