Komme, was da will

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„Zucker?" Ich halte meine Nase in das Glas. Tatsächlich. Riecht eindeutig süß. Was zur Hölle hat Mo da zusammengepanscht?

„Du hast mir immer noch nicht gesagt, warum du zurückgekommen bist", bemerkt er.

Ich seufze. „Ich hab deinen Rat befolgt und nachgedacht."

Über Mos Miene huscht ein Anflug schlechten Gewissens. „Hör mal. Was ich gestern am Strand gesagt habe...das war dumm. Ich war geschockt und wütend und-"

„-beleidigt?"

„Ja, das auch. Du hattest ja Recht. Ich kann nicht von dir erwarten, dass du Fabelreich aufgibst. Wieso sollst du an Eleanors Unschuld glauben, wenn es das ganze Kolleg nicht tut?"

„Vielleicht, weil ich schlauer bin, als das ganze Kolleg?" Ich grinse, beim Anblick seiner verwirrten Miene. „Es stimmt, du kannst nicht von mir erwarten, Fabelreich aufzugeben. Und ich fand ziemlich frech, dass du es versucht hast. Aber um deine Frage von gestern zu beantworten: Nein, ich denke nicht, dass Eleanor Reigen umgebracht hat. Und nein, ich werde vor den Wächtern nicht das Gegenteil behaupten, nur um hier bleiben zu können. So ehrlos bin selbst ich nicht."

Mo blinzelt nur verdutzt, als müsse er sich immer noch an das viele Licht gewöhnen. „Das heißt, du wirst gehen? Mit mir?"

„Es gibt eine Bedingung. Aber ja" Über meine Lippen zieht sich ein grimmiges Lächeln. „Come hell or high water", erinnere ich ihn, „Wenn sie unser Kollegium dichtmachen, dann sollen sie es tun. Aber ohne meinen Segen. Zeigen wir ihnen, was eine-wie haben sie es genannt?- eingeschworene Gemeinschaft ist."

Come hell or high water", murmelt Mo und nickt. Eine Weile schweigen wir uns an, jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach. Dann sagt Mo: „Sie werden uns unsere Portalbücher wegnehmen, das weißt du? Mit Eleanor haben sie das gleiche gemacht. Es wird keinen Weg für uns zurück geben. Das sind unsere letzten zwei Tage im Kolleg."

„Ist schwer für dich, oder? Als würdest du dein Zuhause aufgeben."

„Eleanor ist mein Zuhause. Ohne sie ist Stormglen Manor nur ein großer, alter Steinkasten. Solche findet man auch in deiner Welt."

„Was ist mit Demetra?"

Mos Miene wird dunkel. „Ich hoffe, sie kommt uns regelmäßig besuchen. Und wenn nicht...naja. Dann sieht es wohl so aus, als hätte ich ihren Charakter überschätzt." Er schüttelt den Kopf, wie um den Gedanken zu vertreiben. „Du hast was von einer Bedingung gesagt?"

„Ja." Ich schlucke. Zuhause habe ich mir die Wortwahl genau überlegt, aber trotzdem ist es schwer, sie vor Mo auszusprechen. „Bevor ich irgendwas für Eleanor opfere, will ich die Wahrheit wissen. Über den Mord und den Wald. Von ihr persönlich. Wenn sie mir nicht vertraut, hat sie mein Vertrauen auch nicht verdient."

Ich erwarte, dass Mo wieder wütend wird. Ungläubig, enttäuscht. Aber stattdessen nickt er nur. Offenbar bin ich nicht die einzige, die letzte Nacht zum Denken genutzt hat. „Ehrlich gesagt treibt mich das auch um", sagt er, „Dieses heimliche Treffen im Wald. Nicht nur, dass Eleanor etwas vor den Wächtern geheim hält. Sie verschweigt es auch mir. Das hat sie noch nie."

„Vielleicht ein heimlicher Liebhaber"?, sage ich, mehr im Scherz.

„Möglich. Aber dann hätte sie es doch spätestens jetzt gesagt. Wenigstens Demetra, im Vertrauen. Nein." Mo holt tief Luft, „Es gibt für mich nur drei Möglichkeiten."

„Na, dann. Schieß los."

„Entweder schweigt sie, weil dieser Ausflug in den Wald wirklich etwas mit Reigens Tod zu tun hat. Oder sie schweigt, um denjenigen zu schützen, den sie da getroffen hat. Oder drittens, weil die Wahrheit über dieses Treffen sie in die gleichen, wenn nicht sogar größere Schwierigkeiten bringen könnte, als sie eh schon ist."

„Schlimmer als aus dem Kolleg zu fliegen? Was sollen das für Schwierigkeiten sein?"

Mo zögert, dann senkt er die Stimme, „Ich glaube, du lagst gar nicht so falsch mit deiner Vermutung. Es kann eigentlich nur eine Sache geben, die ihr Verhalten irgendwie logisch erklärt: Eleanor steht in Verbindung zum Widerstand. Und wenn der Widerstand etwas mit Reigens Mord zu tun hat..."

„Dann steckt sie jetzt richtig tief in der Scheiße", murmele ich.

„Genau." Mo presst die Lippen zusammen. „Eleanor schuldet uns ein paar Erklärungen. Zeit für einen Besuch." Er greift in seine Hosentasche. Ich versuche nicht allzu dümmlich auszusehen, als er eine zerknitterte alte Fahrkarte hervorzieht. Eine Day-Travell-Card für London, so wie wir sie beim letzten Urlaub hatten. „Willst du mit der U-Bahn zu ihr fahren?"

Mo lächelt. „Du weißt doch noch, was Demetra zu uns gesagt hat? Darüber, dass wir Eleanor abholen sollen, wenn die drei Tage um sind?" Ich nicke langsam. „Dafür hat sie mir das hier gegeben. Wir nennen es One-Way-Ticket. Es funktioniert wie ein Portalbuch, nur einmalig und mit einem festen Ziel. Wenn wir es aktivieren wird es uns zu Eleanor bringen. Sicherheitshalber habe ich mir gleich mehrere genommen."

„Aber die drei Tage sind noch nicht um", sage ich, den Blick auf das Ticket geheftet. „Wir haben Kontaktverbot, schon vergessen? Was, wenn Demetra erfährt, dass wir sie besucht haben?"

„Dann, was? Wirft sie uns raus?" Mo lacht trocken. „Warum sollten wir noch nach ihren Regeln spielen?"

„Weil es um Eleanors Bedenkzeit geht! Vielleicht hat sie es sich anders überlegt und will jetzt doch reden. Dann bringen wir sie um die Chance."

Mo winkt ab. „Keine Sorge. Demetra ist gerade viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Du wolltest doch Antworten. Also, was ist?"

„Na, gut." Ich zögere. "Aber wenn Eleanor fragt, es war deine Idee!"

„Klar." Mo grinst. „Bereit?" Er hält mir das Ticket hin.

„Bereit." Ich nehme es, lasse mich einsaugen von dem gewohnten Strudel eines Portals. Sekunden später schlage ich meine Augen wieder auf. Ich weiß nicht, ob ich ihnen trauen kann.

„Mo? Ich glaub, wir sind in Hogwarts."

FabelblutWhere stories live. Discover now