Die nächste Kreuzung mündete in einen Trampelpfad, der über die hügelige Landschaft bis zu einem dichten Kiefernwald führte. Umrandet wurde die Straße von mehren Bauernhöfen, die sich mit der Zeit hier angesiedelt hatten. Die Hauptgründe hierfür waren wohl die schnelle Anbindung an den Markt, sowie die Ruhe, die man hier trotzdem genoss. Man blieb unter sich und da hier alle dieselben Interessen verfolgten, störte das auch keinen. Doch als das Königshaus feststellte, wie beliebt der Standort wurde, schickte man schleunigst Lehnsherren, die zusammen mit den Bauern die Steuer- und Ernteabgaben festlegten.

„Ein Unding ist das", schimpfte meine Mutter immer mal wieder. „Sie nehmen uns ein Viertel der Ernteerzeugnisse weg, geiern aber zusätzlich noch auf fünf Goldmünzen pro Quartal".

Als unterste Schicht sind wir nicht mehr als Ratten der Gesellschaft, obwohl sie scheinbar doch auf uns angewiesen sind. Zumindest dann, wenn andere Gebiete nicht unseren Ertrag erwirtschaften können. Hoffnung auf einen Aufstieg hat man dann nur noch durch eine Heirat in eine wohlhabendere Familie. Mit meinen dreiundzwanzig Jahren habe ich mir diese Option allerdings schon verbaut. Außerdem haben die meisten Frauen in meinem Alter bereits die Chance ergriffen und haben eine Stelle am königlichen Hofe ergattert.

Wer als Mann nicht todesmutig genug war, um sich als Soldat ausgebildet von anderen Armeen, mit wahrscheinlich ebenso vielen Junggesellen, ermorden zu lassen, blieb in seiner Heimat und gründete eine möglichst große Familie. Letzteres hatte bei meinen Eltern zwar nicht geklappt, aber vielleicht war dies in Hinblick auf die Hungersnot, die das Land überkommen hatte, auch gut so. Dürren und Hitze setzten der Landwirtschaft massiv zu, sodass die Bevölkerung sich an jeden Funken Hoffnung auf Besserung klammerte.

Schließlich erreichten Smila und ich das schiefe Haus, welches genauso bleich und schmal wirkte, wie meine Mutter, die mühevoll einen weiteren Flicken in ihr Kleid nähte. Unzählige Male hatte sie das jetzt schon getan, was die vielen anderen Stoffvierecke darin verrieten. Doch Stoff war fast genauso rar, wie Nahrungsmittel, sodass man sich damit begnügen musste, was eben da war.

Vorsichtig räusperte ich mich, um ihre konzentrierte Arbeit nicht zu unterbrechen. Daraufhin hob sie ihren Blick, welcher sich zunächst überrascht zu Smila wandte und dann fragend zu mir wechselte.

„Hallo Mutter, ich habe alles versucht, aber ich wurde die kleine Nervensäge einfach nicht los", lachend befreite ich Smila von ihrer aus Fasern geflochtenen Leine, woraufhin sie sich gemütlich hinter das Haus verzog.

Die Erleichterung, die meiner Mutter ins Gesicht geschrieben stand, wechselte drastisch in Sorge.

„Eliza, unsere Vorräte von der letzten Ernte gehen langsam zur Neige...", begann sie und sah an mir vorbei.

Ich schluckte, als ich das einbrechende Zittern in ihren Fingern bemerkte. Die Angst um das Leben von meinem Vater und mir schien sie auch körperlich voll und ganz einzunehmen. Sanft ließ ich mich neben ihr auf den Boden sinken und legte einen Arm um sie. Dankbar lehnte sie ihre Stirn gegen meine Schultern.

„Alles wird gut", flüsterte ich in ihr Ohr.

Früher haben wir stundenlang so gesessen, die Sterne gezählt und darüber gerätselt, wie es wohl sei auf einem der winzigen Punkte zu leben. Immer, wenn ich an die Zeit zurückdenke, kommen mir die Tränen. Damals war sie voller Leben, hatte Träume und Hoffnungen. Jetzt wirkt sie, als sei sie nur noch eine Hülle ihres alten Ichs.

Unauffällig wischte ich mir die Tränen weg und hörte Schritte auf uns zu kommen. Dankbar für die Ablenkung spähte ich hinauf. Mein Vater trat besorgt auf uns zu, während er gleichzeitig eine Tasche auf der Schulter stemmte.

Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn. Vermutlich von der schweren Arbeit auf dem Feld, die, wenn das Wetter nicht mitspielte, vielleicht sogar umsonst sein mochte. Mit einem Blick deutete ich auf meine Mutter, woraufhin er sofort die richtigen Schlüsse zog.

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