Letztlich machte ich mich also auf die Suche nach der Packung mit dem besagten Medikament. Ich fand die blau/weiße Schachtel in einer kleinen Kiste unter meinen Klamotten. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, warum ich die Sachen versteckt habe. Erst als ich nachsah was noch so in der Kiste war, ergab es Sinn. Neben Longpapes, war auch eine kleine Tüte Gras darin versteckt. Dieses musste nun aber auch schon etwas älter sein, das letzte mal, dass ich an einem Joint gezogen habe, ist bestimmt schon über ein Jahr her...

Alles bis auf die Packung Ritalin verstaute ich wieder unter meinen Klamotten, vielleicht ist es doch ganz gut, wenn mein Vater nichts von den Sachen erfährt... Da ich mich nicht mehr erinnern konnte, wie viel ich von den Tabletten genommen habe, schluckte ich ganze zwei Stück. Im Anschluss daran setzte ich mich zurück an meinen Schreibtisch, von dem ich eine schöne Aussicht ins grüne hatte. Bäume, deren Baumkronen von der Nachmittagssonne beleuchtet wurden. Der blaue Himmel, der gelegentlich hindurchblitzte und Vögel, die sich auf die Äste setzten und fröhlich ihre Lieder zwitscherten.

Ich hätte mir dieses Spektakel ewig anschauen können, so schön beruhigend. Jedoch fingen die Pillen an zu wirken und mein Gehirn verlangte förmlich danach, etwas zu lernen. Ich las, geduldig, Seite für Seite. Kapitel für Kapitel. Ich hatte das Gefühl, den Stoff förmlich aufzusaugen. So hätte ich wahrscheinlich die ganze Nacht weiter machen können, wenn nicht plötzlich etwas dieses lernen störte.

Ich unterbrach mein Tun, als ich eine gewisse Hitze in meinem Nacken spürte. Als würde jemand hinter mir stehen und mich anatmen. Irritiert fuhr ich mir mit der Hand über den Hals, aber ich drehte mich nicht um. Mein Blick blieb starr auf das Buch gerichtet.

Irgendwann wurde dieses Empfinden stärker. So stark, dass es unmöglich war, dies zu ignorieren. Aber ich war mir sicher, mein Kopf spielte spiele mit mir! „Hör auf, du bildest dir das nur ein!" Ermahnte ich mich selber, um nicht aus dem Konzept zu fallen. Ich musste mir das eingebildet haben, schließlich war ich alleine. „Bist du dir da sicher?" Raunte eine Stimme in die unangenehme Stille. Ein eiskalter Schauer rannte mir den Rücken hinab. Mein Kopf fuhr nach oben, die Augen weit aufgerissen. Sie war so nah, direkt bei meinem Ohr. Es klang, als würde er breit grinsen und ich kannte das Grinsen.

„Hast mich schon gehört..." Erwiderte er und lachte. Mein Brustkorb zog sich schwer zusammen, ich schüttelte ablehnend den Kopf. „Du bist nicht hier..." Krampfte ich durch meinen geschlossen Kiefer hervor. Aber die Stimme ging nicht, sie war immer noch da.
Er war immer noch da.
Seine Stimme, sein Grinsen. Das Grinsen, bei dem sich kleine Fältchen neben den Augen und Mundwinkeln bildeten. Der glitzernde Stein an seiner Nase, der immerzu funkelte, wenn Licht drauf fällt.

„Wenn du meinst..." Ich hörte Schritte. Langsam und schwer. Bis sie wieder verstummten. Der Kuli in meiner Hand, drehte sich unruhig hin und her. Ich ließ ihn fallen, als ich wieder seinen heißen Atem in meinem Nacken spürte. Mein Kopf fuhr herum und da war er. Er stand vor mir. Seine Hände in den Hosentaschen seiner schwarzen Jeans. Das weiße T-shirt ohne Aufschrift und die Käppi auf dem Kopf. Er war es. Ganz sicher. „Bin ich immer noch nur eine Einbildung?" Er grinste und kam einen Schritt näher. Nun stand er direkt vor mir. „Mein Gehirn spielt mir Streiche, mehr nicht." Sprach ich und er lachte erneut. Ich wollte es glauben, wirklich. Aber er machte es mir schwer. So lebhaft, so echt, so-
Gefühlvoll.

Er strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. „Du hältst mich also für einen Streich deines Gehirns? Warum?" Seine Hand griff neben mich und schnappte sich die Tablettenpackung. „Weil du diese Dinger hier geschluckt hast und jetzt denkst, dass sie Halluzinationen ausgelöst haben?" Er hielt sie mir vors Gesicht und stützte seine andere Hand auf die Armlehne meines Stuhls. „Hör auf!" Zischte ich, doch er lachte nur. „Lass mich in Ruhe!" Er hob ergebend seine Hände und trat einen Schritt zurück. Sofort erhob ich mich von meinem Stuhl. „Ich glaube zwar nicht, dass du das wirklich willst, aber gut." Ich schluckte. „Ich hasse dich!" Mein Kiefer krampfte vor Wut. Am liebsten würde ich meinen Kopf gegen die Wand schlagen und so dafür sorgen, dass er verschwindet. Aus meinem Kopf, meinen Gedanken. Am besten aus meinem Leben! „Mag sein. Trotzdem denkst du die ganze Zeit an mich. An das was wir tun könnten..." Sein Grinsen war wissend. Er kannte meine Schwachstelle, woher auch immer, aber er tat es. Er kannte sie und wusste sie auszunutzen.

„Hab ich nicht recht?" Er kam wieder auf mich zu, nur diesmal blieb ich stehen. Ich sagte nichts. Was sollte ich auch sagen? Selbst wenn ich gewollt hätte, könnte ich nicht. Ich war schlicht und ergreifend erstarrt, als er zu mir kam und seine Hand auf meine Taille legte. Sie fühlte sich so echt, so warm an. Er kam immer näher, bis ich sein T-shirt an meinem streifen spürte. „Sag mir, dass ich recht habe..." Erwiderte er, woraufhin ich kaum merklich nickte. Seine Augen funkelten, ich konnte nicht anders, als in ihnen zu versinken. „Sag es." Seine Lippen berührten fast meine. „Du hast recht..." Hauchte ich, was ihm ein schmunzeln auf die Lippen legte. Es sagte förmlich aus was er dachte, nämlich: ich wusste, dass ich recht hatte.
Und das hatte er. Leider.

Seine Hand wanderte langsam, über meine Taille. Auf und ab, immer wieder. So sanft und vorsichtig, als wäre die Berührung Luft. Gut, das war sie, sie existierte faktisch nicht einmal. Nur in meinem Kopf, das ist der einzige Ort, an dem wir hier gerade so stehen. Und doch, fühlte es so real an. Viel zu real.

Die Augen meines Gegenübers, glitten in meinem Gesicht auf und ab. Von meinen Lippen, zu meinen Augen und wieder zu meinem Mund. Mindestens dreimal, bevor er die Lücke zwischen uns schloss. Er lehnte sich nach vorne und küsste mich. Genauso wie an jenem Abend, der nun exakt fünf Tage zurück liegt. Sanft, verlangend und gefühlvoll. Ich erwiderte den Kuss natürlich, auch wenn ich wusste, dass das gerade nicht passiert und so auch nie wieder passieren wird. Es darf so einfach nicht passieren.
Nicht im echten Leben und auch nicht in meinem Kopf. Eigentlich.

„Warum kannst du nur so gut küssen?" Seufzte ich gegen seine Lippen, was ihn zum schmunzeln brachte. Als würde er das nicht schon die ganze Zeit tun... „Ich kann so einiges ziemlich gut, wenn du's genau wissen willst." Wir lösten uns wieder. „Vielleicht sind es aber auch einfach nur deine Gedanken, denn vergiss nicht, ich bin eigentlich gar nicht hier." Sein Schmunzeln wich einem breiten Grinsen, bevor es ganz weg war. Stattdessen funkelten mir die blau/grünen Augen von Max entgegen. Ich machte einen Satz zurück und stieß dabei gegen meinen Schreibtisch. „Geh weg!" Schrie ich und lief weiter rückwärts, bis mein Rücken die Balkontüre berührte. Mein Herz klopfte und mein Brustkorb zog sich schwer zusammen.

Als der Niederländer einen Schritt auf mich zu ging, überkam es mich. Ich griff nach dem Wasserglas, welches auf meinem Tisch stand und warf es in seine Richtung. Szenen aus dem Hotelzimmer spielten sich vor mir ab. Wie ein nicht endender Film. Alles wiederholt sich!
Das zerbrochene Glas.
Der Kuss.
Die Wut.
Unsere Blicke flogen gleichermaßen auf den Boden. Die Scherben waren meine Schuld. Schon wieder. Sie waren meine Schuld, weil ich das Glas auf den Boden geworfen habe. Weil mir mein Kopf Dinge vorspielt, die so nicht passieren. Der Kuss eben ist nicht passiert. Max steht hier nicht. Ich bin ganz alleine. Und das war ich auch.

Ich schlug meine Augen auf, nachdem ich sie kurz geschlossen hatte. Scherben auf dem Boden, doch niemand war da. Ich war alleine. Die Stimmen in meinem Kopf waren verstummt. Nur noch Stille. Elendige Stille. Solange, bis meine Atmung einsetzte und den Raum mit Geräuschen füllte. Laut und schwer, hob sich mein Brustkorb. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn und Nacken, doch ich wischte sie nicht weg. Alles was ich in diesem Moment tun konnte, war auf den Boden zu schauen. Auf die Scherben und das wenige Wasser, was noch in dem Glas drin war, bevor ich es zerstört habe.

Toxic Love - When hate becomes Love | Lewis Hamilton FFWhere stories live. Discover now