Um mich für die nächste Zeit zu beschäftigen, ziehe ich mein Handy heraus. Ich höre mir Caspars Sprachnachrichten an, reagiere ausführlich auf seine Fragen, weil er sonst beleidigt wäre. Anthelia hat mir auch geschrieben, erst vor einigen Sekunden. Gerade will ich mir ihre Nachrichten durchlesen, da ruft sie mich auch schon an.

     Seufzend drücke ich das Handy an mein Ohr und sehe nur am Rande, dass Emilian mit einem schnelleren Trab begonnen hat: »Hey, Theli. Was gibt's?«

     »Mir ist langweilig.« Ihre Stimme ist rau, als wäre sie gerade erst aufgestanden.

     Ich muss mir das Lachen verkneifen, stütze die Ellenbogen auf meine Knie und beobachte Emilian, wie er auf Hades seine Runden dreht. Ich kann nicht anders, als ihre Harmonie und Eleganz zu bewundern. Es ist jedes Mal erstaunlich.

     »Aquila?«, brummt Anthelia. »Bist du eingeschlafen oder was?«

     »Ne, bin noch da.«

     »Gut so.«

     »Was kann ich machen, damit dir nicht mehr langweilig ist?«, frage ich.

     Eine kühle Brise zieht über uns hinweg, aber immerhin lichtet sich die Wolkenwand allmählich. Ich vermisse die Sonne, und wenn es nur zarte Strahlen sind. Irgendwas braucht es, damit ich mich lebendig fühle.

     »Eigentlich gar nichts«, erwidert meine beste Freundin. Es raschelt. Vermutlich liegt sie noch im Bett.

     Ich strecke die verkrampften Finger meiner freien Hand, mein Blick richtet sich auf den Himmel. »Du könntest vorbeikommen. Bin mit Lian bei Hades. Und das Wetter scheint besser zu werden, also könnten wir noch was machen.«

     Ihr enttäuschtes Seufzen mindert meine ohnehin nur gedämpfte Vorfreude. »Sorry, kann nicht. Muss arbeiten. Aber morgen passt. Wie lange bleibst du?«

     »Wahrscheinlich drei Wochen«, antworte ich nach einer kurzen Pause, nehme an, dass sie wieder im Laden ihrer Eltern aushelfen muss. »Da sollten ein paar Treffen schon drin sein.«

     Sie lacht und ich muss lächeln. Dann raschelt es wieder. »Wie spät ist es?«

     »Kurz nach eins«, sage ich, nachdem ich einem kurzen Blick auf mein Handy geworfen habe.

     »Fuck!«

     Ich unterdrücke das Lachen und lausche ihren hastigen Bewegungen. Plötzlich dringt ein dumpfer Laut durch mein Handy, ein schmerzhaftes Stöhnen folgt sofort. Ein paar leise Flüche auf Italienisch, dann beginnt Anthelia zu sprechen: »Ey, es tut mir so leid, aber ich muss los. Hätte schon vor zehn Minuten da sein müssen. Merda!«

     Grinsend blicke ich zu Emilian, der mit einem entspannten Trab begonnen hat. »Alles klar. Viel Spaß und bis später.«

     »Ti voglio molto bene, aquila.«

     Es ist der einzige Satz, den ich auf Italienisch beherrsche. Anthelia hat es nie für nötig gehalten, uns auch nur einen weiteren beizubringen.

     »Ich hab' dich auch lieb, Theli.«

***

Ein letztes Mal kommen Hades' Hufe nach einem atemberaubenden Sprung auf dem Boden auf. Die Ohren des schwarzen Pferdes sind weiterhin aufmerksam gespitzt, aber ich glaube, er weiß, dass es vorbei ist. Dass er gute Arbeit geleistet und jetzt Pause hat.

     Emilian tätschelt den gereckten Hals des Hengstes, der schwarze Handschuh ist von Hades' dunklem Fell kaum zu unterscheiden. Ein angedeutetes Lächeln liegt auf seinen Lippen, weil heute fast alle Stangen an ihrem Platz geblieben sind. Doch sein Blick hat sich nach jedem weiteren Hindernis verfinstert, die Augenbrauen sind unruhig zusammengezogen. Weil eben nicht alle Stangen oben geblieben sind.

DER FINNE UND DER GRIECHEWhere stories live. Discover now