Da ich mir das Spektakel nicht länger als nötig anschauen wollte, setzte ich meine Reise fort. Im Bad angekommen, checkte ich ob sich alles noch an Ort und Stelle befand. Ob mein MakeUp sitzt und ob mein Kleid immer noch genauso gut aussieht wie vorhin. Der schwarze satin Stoff, zierte meinen Körper. Das Kleid mit den dünnen Spaghettiträgern, ging mir bis zur Mitte meiner Oberschenkel. Mein Vater meinte zwar, es wäre sehr kurz, aber ich sehe das ganze ein bisschen anders. Es mag vielleicht kurz sein, aber bestimmt nicht zu kurz. Zu kurz ist maximal das hässliche, olivgrüne Kleid von Lewis' neuer Bekanntschaft...

Ich lehnte mich etwas nach vorne, um mir neuen Lipgloss aufzutragen. Im gleichen Moment, in dem ich fertig damit war, klopfte jemand an der Türe. Ich bitte den jenigen rein, wunderte mich aber, warum jemand an dieser Türe klopfen sollte. Diese Frage verwarf ich aber direkt wieder, als ich sah wer es war.

Das breite Schmunzeln von Lewis leuchtete mir entgegen. „Das ist die Mädchen Toilette." Erwiderte ich trocken und entfernte den überschüssigen Lippenstift von meinen Lippen. Er schloss die Türe hinter sich und lehnte sich dann dagegen. Dabei legte er einen Arm auf die Klinke, es konnte also niemand rein und/oder raus. „Ich weiß." War seine Antwort. Nicht mehr und nicht weniger. „Okay und was machst du dann hier?" Fragte ich weiter, ohne meinen Blick, von meinem Spiegelbild zu lösen. „Ich hab dich gesucht..." Fing er an und ich beendete den Satz. „Und du hast mich offensichtlich gefunden..." Ich drehte meinen Lipgloss zu und steckte ihn anschließend zurück in meine kleine, schwarze Handtasche.

„Also? Was möchtest du von mir?" Fuhr ich fort und wendete mich dem Briten zu. Sein Schmunzeln, fast schon Grinsen, war immer noch da. War er betrunken? Was für eine Frage, natürlich war er das, ich hatte ja selbst schon ein paar Drinks gehabt und die machten sich langsam auch bemerkbar. Mein Gesicht war heiß und meine Sicht etwas unbefestigt.

„Wenn du dich für vorhin entschuldigen willst-" Er unterbrach mich, bevor ich überhaupt fertig gesprochen hatte. „Will ich nicht." Ich drehte genervt mit den Augen. Warum überrascht mich das überhaupt? „Ich meine das alles genauso wie ich es gesagt habe." Redete er weiter und blieb stehen. Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und blickte ihm direkt in die Augen. „Gut, dann erwarte auch nicht, dass ich mich bei dir entschuldigen werde. Das werde ich nämlich nicht. Nicht heute und auch nicht morgen." Ich warf ihm ein kurzes Lächeln zu. Seine Augen glitzerten wie Glasmurmeln. Warum mussten sie nur so beschissen schön sein?

„Ganz schön frech, findest du nicht?" Schmunzelte er, wobei er mir schon gefährlich nahe gekommen war. „Ich weiß doch, dass du drauf stehst." Flüsterte ich, mit diesem Konter hatte er nicht gerechnet. Kurze Stille. Wie gerne ich jetzt meine Hände um seinen Hals legen würde, um seine Lippen auf meine zu pressen. Ob das am Alkohol gelegen hat, vermag ich nicht zu leugnen, aber falsch wäre es trotzdem. Es wäre doch falsch, oder? Natürlich wäre es das, mehr als falsch. Falsch und verboten, mein Vater würde uns beide umbringen. Da bin ich mir sicher!

„Ich geh mal lieber wieder zurück zu den anderen, bevor sich noch jemand Sorgen macht. Du solltest auch wieder zurück zu deiner Gesellschaft, sonst denkt sie noch, du versetzt sie für etwas wie mich..." Ich lächelte noch einmal, bevor ich meine Tasche an mich nahm und an ihm vorbei lief. Vor der Türe, wurde der Bass schon wieder lauter, davor hatte man ihn nur gedämmt durch die Badezimmertüre hören können.

„Ich dachte schon du bist entführt worden. Wo warst du so lange?" Lachte mir Max entgegen. Er machte ganz den Anschein, als hätte er in der Zeit in der ich weg war, mindestens zwei weitere Drinks getrunken. Seine Stimme klang, als bräuchte es nur noch einen Cocktail, bis er anfängt zu lallen. „Ich musste nur kurz meinem Vater schreiben..." Log ich, da ich nicht unbedingt sagen wollte, dass ich mich gerade mit Lewis unterhalten habe. „Okay, sollen wir zurück? George, Lando und Carlos sind schon gegangen..." Ich nickte zustimmend.

Gemeinsam gingen wir zurück zu den anderen. Die Gruppe war, wie Max schon gesagt hatte, um drei Leute geschrumpft, dementsprechend war auch wieder etwas mehr Platz. Ich setzte mich neben den Niederländer, wo mir direkt das nächste Getränk von Daniel in die Hand gedrückt hatte. „Frag nicht was drin ist, trink einfach!" Grinste mir der Australier entgegen und hob sein Glas, was den gleichen Inhalt hatte wie meins, um mit mir anzustoßen.
Gesagt, getan.

So verging die Zeit. Ich folgte den Gesprächen mehr oder weniger aufmerksam, auch wenn ich zu den meisten Dingen nicht wirklich etwas beitragen konnte. Es ging hauptsächlich um die nächsten Rennen und sowas in der Art, nichts, was mich so sehr interessierte, als dass ich mich einmischen musste. Zuhören reichte mir eigentlich schon. Was mich viel mehr interessierte war Lewis. Der Brite stand auf der anderen Seite des Clubs, in seiner Hand ein Getränk und er schaute direkt in unsere Richtung. Er schaute in meine Richtung, direkt in meine Augen. Währenddessen hatte Max wieder seinen Arm um meine Schulter gelegt und der Mercedes Pilot machte nicht gerade den Anschein, als würde es ihm passen. So ganz und gar nicht. Unser Augenkontakt war so intensiv, dass ich spüren konnte, wie wütend er war. Sein Gesicht musste glühen vor Hass, und sein Kiefer krampfen vor Druck.

Irgendwann löste er diesen Augenkontakt und ging. Er verschwand in der Menschenmenge und sah dabei ziemlich angepisst aus. Aber er soll ruhig sehen, was er nicht hat. „Ganz ganz dünnes Eis meine Liebe..." Flüsterte mein Nebensitzer und riss mich damit zurück in die Realität. Ich blickte zu Pierre, der mich angrinste. Er musste wohl gesehen haben, wie wir uns angeschaut haben. „Ich weiß gar nicht was du meinst..." Kicherte ich leise und widmete mich dann wieder der ganzen Gruppe, die immer noch über irgendwelches Zeug redeten. Wirklich anwesend war ich aber trotzdem nicht, der Alkohol machte mir einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Die blinkenden Lichter verschwommen und ich hatte das Gefühl, sie mehrmals zu sehen.

*

„Und du schaffst das wirklich alleine?" Wollte Max zum zichtausendsten mal wissen, was ich mit einem müden Nicken bejahte. „Ich bin groß genug, wirklich." Ich warf dem Niederländer, der mich netterweise zu meinem Zimmer gebracht hat, ein warmes Lächeln zu. „Wir sehen uns, okay?" Damit schloss ich die Türe, hinter der ich mich dann direkt ins Bett fallen ließ. Betrunken, müde, aber nicht bereit zum schlafen, so viel stand schonmal fest.

So schnell wie ich es in meinem Zustand irgendwie auf die Reihe brachte, wechselte ich mein schwarzes Kleid gegen eine Jogginghose und ein kurzes CropTop. So lebst es sich eindeutig gemütlicher, aber schlafen wollte ich trotzdem noch nicht. Keine Ahnung warum, aber meine Gedanken waren absolut wirr. Ich dachte über morgen nach, über den Flug und über Dienstag, wenn ich wieder Schule habe. Wie es wohl sein wird und ob mich jemand im Fernsehen entdeckt hat? Bisher hatte ich es geheim gehalten, wer mein Vater ist, aber so ist das ja mehr oder weniger von selber rausgekommen. Ich hoffe einfach mal, dass ich keine Formel eins Fans in der Klasse habe, die dieses Rennen geschaut haben. Auf dumme Fragen und Fake Freundschaften habe ich nämlich jetzt schon kein Bock mehr. Ich habe meine Freunde fürs Leben schon gefunden, nur sind die leider nicht hier, sondern auf meiner alten Schule in Brackley...

Wenn ich genauer darüber nachdenke, gab es in der letzten Zeit so einige Dinge in meinem Leben, die ich zurücklassen musste. Ob freiwillig oder nicht, sei mal dahingestellt, aber es tut definitiv weh. Es tut weh, zu sehen, wie mein Leben früher war. Wir unser Leben früher war. Es war nahezu perfekt. Ich hätte mir gewünscht, für immer in dieser perfekten Welt zu leben. Diese Blase ist aber geplatzt, als meine Mutter vor zwei Jahren gestorben ist. Es war klar, wir wussten es alle, dass sie es wird, aber es kam unerwartet. Wobei, eigentlich trifft einen der Tod immer unerwartet, oder? Eine Ausnahme dafür, ist vielleicht Selbstmord, wobei auch das meistens für die Hinterbliebenen, mehr als unerwartet passiert. Aber so war es nicht. Es war kein Selbstmord, es war das reine Schicksal. Es hatte bestimmt, dass es nun zu Ende ist und wir konnten nichts tun.

Ich wollte es lange nicht wahrhaben, ich will es immer noch nicht, aber mittlerweile weiß ich, dass es die Realität ist. Es ist die gleiche Realität, in der auch mein Vater und ich leben. Eine Realität, in der Menschen kommen und gehen. Sie ist gegangen. Alleine. Und wir sind noch hier. Auch alleine. Seit ihrem tot, habe ich das Gefühl, mein Vater lebt sein Leben, in das er mich versucht miteinzubeziehen und ich lebe mein Leben, aus welchem ich ihn bestmöglich raushalte.
Wir sind zu zweit alleine.

Toxic Love - When hate becomes Love | Lewis Hamilton FFحيث تعيش القصص. اكتشف الآن