Before I fall

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TW! (Keine Sorge niemand wird sterben;))
Ich war müde. So unglaublich müde. Völlig erschöpft. Ich wollte gehen, erlöst werden. Wie sollte ich das je ertragen?

Taub. Alles ertaubte und das Atmen fiel mir schwer. Es war, als hätte mir jemand jegliche Gefühle entzogen, weggesperrt, und mich zurückgelassen zum verrotten in völliger Einsamkeit. Ich hatte niemanden. Und niemand würde sich je zu mir erbarmen. Weshalb auch, hatte ich doch bereits jegliche Chancen auf das Kanzleramt meiner Partei ruiniert, förmlich konnte ich sehen, wie alle meine, unsere Träume vor meinen Füßen niederbrannten. Doch am meisten hatten seine Blicke geschmerzt.

Diese Blicke aus seinen treuen, stürmisch blau-grauen Augen. Niemals würde ich sie vergessen, ließen sie mir auch heute noch das Blut in den Adern gefrieren. Diese Abneigung, ja gar angewidert hatte er auf mich herabgeblickt, mir ganz wortlos signalisiert, dass ich für ihn, unsere gesamte Beziehung, die Zusammenarbeit, ja alles, was wir hatten gestorben war.

Doch viel mehr als diese Enttäuschung aus seinen Augen, erstach mich diese drückende Erleichterung in seinem Gesicht. Die Erleichterung, die der Tatsache geschuldet war, dass er mich nie wieder sehen müsste, wir uns kein gemeinsames Büro mehr teilten. Es war vorbei, wir waren vorüber. Niemals hätte ich mir erträumt, dass es eines Tages so weit kommen würde, hatten wir uns noch geschworen, dass uns der Wahlkampf nichts ausmachen würde. Und doch erkannte jeder von Beginn an, dass er derjenige hätte sein sollen, der uns in diesen Kampf führte.

Endlich hatte mich das Schicksal ereilt, welches mir seit Monaten zustand. Verschmäht von den Wählerinnen und Wählern, totgeschwiegen von meiner gesamten Partei, verachtet von dem einen Mann, der mir etwas bedeutete. Wagte ich es auch nur für einen Moment, das Gegenteil zu behaupten, bewies mir ein Blick in die Presse, die sozialen Medien den allgegenwärtigen Hass der Menschen. Meine Welt zerbrach, wurde stockfinster und ich hatte keinen blassen Schimmer, wie alles so unglaublich schnell gescheitert war.

Ein Schluchzen entfloh mir, obgleich es eher einem Husten glich. Mein Hals ausgetrocknet durch das Meer an Tränen, meine Augen geschwollen. Wie erbärmlich konnte ein Mensch verenden? Lohnte sich dieses Leben überhaupt noch? Was tat ich hier eigentlich? Das Versinken in Selbstmitleid würde meine Probleme gewiss nicht lösen. Wäre es nicht besser, wenn es alles endete? Niemand würde über mich spotten, wüssten sie, dass es mir nichts ausmachen könnte. Ich wäre frei, würde ewige Ruhe finden, Erlösung von all der Grausamkeit dieser Welt.

Was war nur geschehen? Gänzlich benommen fiel mein Blick auf die leeren Wodkaflaschen. Die letzten Tage fassten sich in einer Orgie zusammen. Der Alkohol, so angenehm im Rachen brennend, wie kleine Flämmchen durch meine Blutbahn pulsierend, ließ mich spüren, noch immer am Leben zu sein.

Es tat gut, diese Welt für wenige Stunden gänzlich hinter sich zu lassen, die ganzen Probleme der Politik, diese stechende Einsamkeit, das Gefühl, eine einzige Enttäuschung zu sein, das alles verschwand im Rausch des wohltuenden Likörs. Bald wäre es vorbei, ich könnte Frieden finden, doch selbst das war mir nicht möglich. Zwar hatte ich aufgegeben, alles vernachlässigt, wofür ich so hart gekämpft hatte, doch meiner Verantwortung den Wählern gegenüber, konnte ich mich nicht entziehen. Man würde spotten, mich als Versagerin in Erinnerung behalten.

Versagerin.

Ein trockenes Lachen entfloh meiner Kehle. Mit blutigen Fingern bemühte ich mich, die letzten einsamen Tränen zu vernichten, brannten sie doch so unglaublich in den frischen, hellroten Wunden. Ich lernte, mit diesen Schmerzen zu leben, sie waren das, was ich verdiente, brauchte, ja in gewisser Weise machen sie süchtig, verlangten förmlich nach mehr.

Die ewige Stille stieß mir lautstark entgegen. Es gab kein Entkommen. Mein Körper arbeitete auf Hochtouren, das einzige Ziel mich am Leben zu erhalten, aber wie sollte er es schaffen, legte mein Gehirn doch alles daran, dies zu verhindern. Ich nahm nichts mehr wahr. Mein Blick steif auf die Decke fixiert, die spröden Fingernägel im weichen Laminat verankert, fürchtete ich doch jeden Moment den Boden unter mir zu verlieren.

Better Together - Oneshots (Baerbeck/Mélalena)Where stories live. Discover now